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Neues vom Weimarer Vereinshaus/Jugendclub Dichterweg

Einleitung

Treue LeserInnen des Antifaschistischen Infoblattes (AIB) werden sich erinnern, daß wir in unserem Artikel über das »Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt« (AgAG) des Bundesministeriums für Familie und Jugend (BMFJ) auch die Vorgänge im Weimarer Dichterweg beschrieben haben, wo sich Neonazi-Kader wie Heinz Reisz, Roman Dannenberg und Michael Petri um eine Beeinflussung von Jugendlichen bemühen1 . Neue Informationen bestätigen nun unsere Vermutung, daß das Projekt nichts weiter ist, als ein öffentlich geförderter Neonazi-Treff.

  • 1Antifaschistisches Infoblatt Nr. 21, März/April 1993, S.14
Foto: Screenshot von mdr.de

Weimarer rechte Jugendliche erhalten öffentliche finanzielle Unterstützung für ihren Treffpunkt.

Eine teure rechte "Bürgerwehr" ?

Leider war es uns in unserem letzten Artikel noch nicht möglich, detaillierte Angaben über den Umfang der Förderungsmaßnahmen zu geben. Da das BMFJ solche Informationen immer noch nicht öffentlich gemacht hat, ist dies auch im Weimarer Fall nicht möglich. Weimarer AntifaschistInnen geben jedoch an, es handele sich um »ca. 60.000 DM, die zur Organisation von Kameradschaftsabenden genutzt und auch in Bier umgesetzt« würden.

Einen Eindruck über den Umfang der Förderung dieses Projekts - ob aus lokalen oder Bundesmitteln bleibt unklar – gewinnt man aber aus einem Kostenvoranschlag, den das Weimarer Architekturbüro Layer/Biskop für den Bauherrn - das Hochbauamt der Stadt - erstellt hat. Danach werden für den Umbau des »Jugendstadtteilzentrums« 755.000 DM errechnet. Für das Baugrundstück werden insgesamt 1.350 DM, für die Erschließung 26.000 DM geschätzt. Das Gebäude selbst ist eine ehemalige Handelsschule mit Erd- und Obergeschoß sowie einem ausbaufähigen Keller. Es wurde 1991 von einer rechten Gruppe aus der näheren Umgebung des Dichterweges besetzt und Mitte Mai 1992 aus baupolizeilichen Gründen vorläufig gesperrt und durch einen Bauwagen ersetzt.

Die Jugendlichen nutzten das Gebäude trotz der Sperrung. Das Jugendamt schrieb in einem Brief an die Gruppe (vom 18.12.1992): »...Ihr haltet Euch auf eigene Gefahr in dem Haus auf und die Stadt Weimar übernimmt keine Haftung bei eventuell auftretenden Schäden an Personen und Sachen... Mit freundlichen Grüßen und guten Wünschen für das neue Jahr...« Mehr als diese rechtliche Absicherung hält der zuständige Beamte nicht für nötig. In der Zeit der Sperrung wird das Gebäude renoviert. Im Kostenvoranschlag führt das Architektenbüro über 482.000 DM auf. Der Punkt »Gerät« wird auf 113.000 DM geschätzt, darunter 59.000 für Möbel, für allgemeines Gerät 28.000 und für sonstiges Gerät weitere 8.000 DM. Die Außenanlagen sollen insgesamt 66.600 Mark kosten, davon 10.500 Mark für die Einfriedung und 15.000 für Grünflächen. Als Baunebenkosten sind weitere 66.000 DM ausgewiesen. In den drei Etagen sollen dann 50 Leute Platz haben. Geplant  sind unter anderem ein Billardraum, ein »Freizeitraum (zur Nutzung von öffentlichen Veranstaltungen)«, Clubräume - einer mit Barbetrieb – und zwei Gruppen- sowie ein Kindergruppenraum. Dazu kommt ein Büro, ein Lager und eine Werkstatt.

Wir sind freilich nicht der Ansicht, daß so »viel« Geld für Jugendarbeit nicht angebracht sei. Einen Jugend-Club auszubauen ist teuer. Aber das Geld kommt gerade zwölf Personen zu Gute, wie wir noch zeigen werden. Und diese zwölf sind, obwohl noch sehr jung, bereits aktive Neonazis. Im Jahr 1992 sind bereits 43.527,72 DM in die Renovierung des Clubs gesteckt worden. Auf einzelne Punkte in diesem Etat werden wir gleich zurückkommen.

Eine »Raumordnung« mit Überraschungen

Zunächst wollen wir aber noch einmal die Gruppe ins Auge fassen, die da so großzügig mit Geld bedacht wird. Denn der Begriff »Jugendstadtteilzentrum« ist verwirrend. Rufen wir uns also die Selbstdarstellung des Projektes: Vereinshaus/Jugendclub ins Gedächtnis: »Die Jugendlichen, die sich selbst als 'rechtsradikal' bezeichnen, suchten eine Stätte der Begegnung untereinander, wie auch anderer Gruppen. Eine letzte Orientierung haben sie noch nicht gefunden... Ziele und Angebote sind die sozialpädagogische Beratung (...) in einer Begegnungsstätte für Jugendliche zum Gedankenaustausch über politisch relevante Themen.« Wie z.B. das Thema Kroatien am 9. November letzten Jahres. Aber zunächst weiter im Text: »Ferner die Errichtung eines Informationszentrums, Durchführung von (...) Foren und Bildungsveranstaltungen sowie Öffentlichkeitsarbeit.«1 . Von einem Stadtteilzentrum kann derzeit keineswegs gesprochen werden.

In einer Art Hausordnung, die sich die Jugendlichen gegeben haben, führen sie nämlich gleich unter Punkt 1 aus: »Den Raum dürfen nur unten genannte Personen betreten«. Es sind neun Jungen und drei Mädchen aus der Umgebung des Dichterweges. Einen Schlüssel besitzen nicht weniger als 7 Personen aus dieser Liste. In Punkt 4 heißt es: »...Personen, die oben nicht genannt sind, dürfen außer bei besonderen Anlässen den Raum nicht betreten. Ausnahmen müssen unter den unter erstens genannten Personen besprochen werden.« Die Hausordnung liest sich bis Punkt 7 wie eine normale Clubordnung (Ordnungsdienst, Beschädigungen etc.) Dann heißt es: »8. Nationalgesinnte verfolgte DEUTSCHE genießen ASYLRECHT. 9. Bei Dunkelwerden und bei Gefahr sind die Fenster mit den dafür vorgesehenen Fensterläden zu schützen 10. Bei Gasangriffen sind folgende Maßnahmen zum Schutz von Menschen und Material zu ergreifen: - Schutzmasken sind sofort anzulegen. - ist das Haus noch feindfrei, ist sofort zu lüften. — der Gasposten, der vom wöchentlichen Ordnungsdienst gestellt wird, hat nach dem Gasalarm festzustellen, ob und in welchem Umfang noch Gas in den Räumen ist. - nach dem Alarm sind die Gasmasken und andere verwendete Sachen in ordentlichem Zustand abzugeben.« Woher haben diese 14 bis 16jährigen Gasmasken? Wer bezahlt »2x Schlagstöcke, 1x Handschellen, 1x Taschenlampe (eventuell Funke)...«,  die auf einer Liste nötiger Anschaffungen unter der Abkürzung A. - vermutlich »Ausrüstung« - aufgeführt werden? Die »Haushaltsüberwachung 1992«, die Auflistung der o.g. 43.500 DM, nennt in Punkt 11 und 12 unter »Name des Empfängers und Grund der Ausgabe«: »Dichterweg/Schwitalla Barausz. Material/ Ausrüstung«. Diese nicht näher genannten Ausrüstungsgegenständen haben je 500,- DM gekostet. Die runde Summe läßt darauf schließen, daß das Geld vor Anschaffung als "Barauszahlung" an die Jugendlichen selber ging und nicht ein bereits ausgegebener Betrag, streng an bestimmte Gegenstände gebunden, unter Vorlage von Quittungen abgerechnet wurde. Worum es sich bei diesen Ausrüstungsgegenständen handelt, ist nicht angeführt. Wolfgang Schwitalla, der für die Richtigkeit der Haushaltsüberwachung zeichnet, ist übrigens Ansprechpartner der Gruppe beim Kinder- und Jugendamt Weimar. Die beiden letzten Punkte der Hausordnung wollen wir unseren Leserinnen nicht vorenthalten. Die Jugendlichen rechnen nämlich nicht nur mit Gasangriffen: »11. Im Falle eines Angriffs hat sich jeder im wehrfähigen Alter für die Verteidigung des Hauses bereitzuhalten, Wehrdienstverweigerung und Wehrkraftzersetzung wird als grober Verstoß gegen die Raumordnung geahndet. 12. Wehrunwürdig ist, wer zur Zeit wegen eines Verstoßes gegen die Raumordnung angeklagt ist und noch nicht verurteilt ist...« In dieser »Raumordnung« wird die Sprache der Wehrmacht des nationalsozialistischen Deutschland bewußt kopiert. Da ist es kaum mehr verwunderlich, daß im Club auch Liedtexte der Wehrmachtn, der Luftwaffe, aber auch von SA und SS ausliegen sollen.

Zentrale einer rechten »Bürgerwehr« ?

Die »privilegierten« Jungs, die den »Raum« betreten dürfen, wohnen zur Hälfte in der Walther Victorstrasse, außerdem im Dichterweg, der Bodelschwinghstrasse und Am Waldschlößchen. Sie haben eine »Bürgerwehr« gegründet, die täglich zwei Mann vom Dichterweg aus auf Streife schicken will. Der »Bürgerwehr« haben sich außerdem noch fünf andere Jugendliche, z.T. ebenfalls aus der Umgebung des Dichterweges, angeschlossen. Ganz offensichtlich ist der Dichterweg also ein aus Geldern der öffentlichen Jugendarbeit finanzierter Stützpunkt einer gewaltbereiten neonazistischen Guppe - denn nichts anderes verbirgt sich hinter dem Namen »Bürgerwehr«.

Gewaltprävention ?

In gewissem Sinne schon. 5.562 DM für eine Stahlbaufirma, die die Haushaltsüberwachung 1992 ausweist, umfassen auch den Einbau von Stahltüren. Punkt 6 - der vierthöchste Posten im Etat – ist das Honorar für einen weiteren Planungsauftrag an das Architekturbüro Layer/Biskop: »Planerische Bearbeitung der Sicherheitsmaßnahmen«. Kostenpunkt: 4.389 DM. Gegenwehr gegen Aktionen der »Bürgerwehr« wird damit erschwert, weil sich die jungen Neonazis in ihr gut geschütztes Zentrum zurückziehen können. Mit diesen Informationen dürfte der Dichterweg endgültig als neonazistisches Zentrum entlarvt sein.

Vergessen wir nicht, daß es sich bei den BesucherInnen nicht um etwas überspannte Kids handelt, die Abenteuerspielchen betreiben, nicht um »liebe« Rechte, wie die Stuttgarter Zeitung am 16. Oktober 1992 die Gruppe nannte. Den Einfluß neonazistischer Kader der GdNF haben wir schon in der vorletzten Ausgabe geschildert. Einige der Jugendlichen gehören der „Deutschen Alternative“ an. Diese Partei aus dem Netzwerk der GdNF hielt trotz der Verbotsverfügung bis in den Februar hinein Veranstaltungen im Dichterweg ab. Im Club liegen auch Exemplare des »Beobachter« aus, des Mitteilungsblattes des NPD-Landesverbandes Thüringen.

Die Präsenz neonazistischer Kader im Dichterweg ist auch der Bundesministerin Angela Merkel bekannt, die sich im Oktober von der Beeinflussung der Gruppe selbst überzeugen konnte. Bei ihrem Besuch begegnete ihr ein »Ralf«, den die Stuttgarter Zeitung recht eindeutig als Neonazi-Kader beschreibt. Das Projekt wird ungeachtet dessen weiter mit Mitteln des AgAG gefördert. Im Gegensatz zu anderen uns bekannten Projekten der Jugendarbeit, aus denen Neonazis ihren Nutzen ziehen, gibt es beim Dichterweg keinerlei Möglichkeit mehr, das Blatt zu wenden. Es ist nötig, den politischen Kampf für die Beendigung des Projekts und zugunsten von antifaschistischer Jugendarbeit im Weimarer Norden zu führen. Die Namen und Adressen der jungen Neonazis veröffentlichen wir nicht, obwohl sie mittlerweile bekannt sind. Wir geben die Hoffnung nicht auf, daß einzelne oder alle Mitglieder der selbsternannten »Bürgerwehr« dem Einfluß neonazistischer Gruppen noch zu entziehen sind - schließlich sind sie noch relativ jung. Aber mit Sicherheit nicht, indem man ihre Gruppe festigt und Strukturhilfe zum Aufbau eines neonazistischen Zentrums gibt .

(Stand Anfang Mai 1993)

  • 1Informationsdienst AGAG 1/92, S.80