Rudolf-Heß-Gedenkmarsch 1994
Zum siebten Mal jährte sich dieses Jahr der Todestag von Rudolf Heß. Zum siebten Mal nahmen Neonazis aus mehreren Ländern dies zum Anlaß, ihren inzwischen zum »Fanal für Deutschland« hochstilisierten Umzug zu veranstalten. Zum siebten Mal stehen den Neonazis scheinbar völlig hilflose deutsche Sicherheitsbehörden gegenüber. Traditionspflege?
Aufmarsch vor der Botschaft
Am 13. August 1994 gegen 14.00 Uhr versammelten sich ca. 50 Neonazis vor der deutschen Botschaft in Luxemburg, entrollten ihre Transparente und formierten sich zu ihrer geplanten Kundgebung. Doch der Aufmarsch für den Märtyrer der Neonazis endete in einem Debakel. Die herbeigeeilte luxemburgische Polizei bereitete dem Treiben ein schnelles Ende. Schon mit wenigen Einsatzkräften vor Ort ging sie entschlossen gegen die, nun nicht mehr so glorreiche, überraschte Menge vor. Vor der Botschaft wurden 30 Neonazis festgenommen. Einige Minuten später versuchten 70 Neonazis, die mit einem Reisebus auf einer anderen Route nach Luxemburg eingereist waren, im Stadtteil Kockelscheuer zu marschieren. Aber auch hier war das Resultat dasselbe. Wenige, sehr entschlossene Polizisten nahmen alle Beteiligten fest. Insgesamt waren an den Aktivitäten in Luxemburg ca. 180 Neonazis, vornehmlich aus der BRD, beteiligt. Anwesend waren Neonazis aus Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Großbritannien.
Die Leitung des Aufmarsches lag allem Anschein nach in den Händen der Nordrhein-Westfalen-FAP. Siegfried Borchardt von der FAP Dortmund und Dieter Riefling von der Ruhrfront aus Recklinghausen schienen die Leitung vor Ort zu beanspruchen. Riefling soll sich, nach Angaben luxemburgischer Journalisten, bei der Polizei als eine Art Verantwortlicher zu erkennen gegeben haben. Als weitere Teilnehmer wurden die bekannten Neonazi-Aktivisten Norbert Weidner (FAP Bonn), Christian Malcoci (HNG -Vorstand), Matthias Brodbeck (Baden Württemberg), Uli Diehl (Saarland), Detlef Walk (Zweibrücken), Pascal Zinn (Dortmund) und Roland Sokol (Karlsruhe) erkannt.
Die luxemburgische Polizei zeigte sich relativ überrascht von der Aktion. In einer ersten Stellungnahme erklärte sie, daß sie von den deutschen Behörden davon in Kenntnis gesetzt worden sind, daß mit Aktivitäten im »Drei Länder Eck« zu rechnen sei. Trotz der Überraschung, daß sich die Faschisten in Luxemburg versammelten, griffen die Behörden dort entschlossen durch. Die Festgenommenen wurden in verschiedene Polizeistationen gebracht, erkennungsdienstlich behandelt und dann umgehend über die Grenze abgeschoben. Der Bundesgrenzschutz, der sie dort empfing, nahm lediglich Borchardt vorübergehend fest. Das Gros der Nazis konnte ungehindert die Heimreise antreten. Die deutsche Polizei war den ganzen Tag über faktisch abgemeldet. Es wurde zwar versichert, daß die »Kräfte« im Raum Eifel konzentriert würden was sich aber im wesentlichen durch einige BGS'ler an der Deutsch-Belgischen Grenze ausdrückte. Und auch sie verhinderten nicht, daß ein Teil der Neonazis diesen Grenzübergang nutzte.
Die Aufmarsch Organisation
Die Organisation des Aufmarsches lief über das Netz der "Nationalen Infotelefone" (NIT), welches somit wieder einmal seine Wichtigkeit für die "Rudolf Heß"-Marsch-Organisationsstruktur unter Beweis stellte. Die NIT's Hamburg, Düsseldorf und Bonn riefen morgens dazu auf, sich in den Raum westliches Westdeutschland zu begeben. Um evtl. Störaktionen der deutschen Behörden vorzubeugen, war zusätzlich ein NIT in den Niederlanden unter der Nummer des Bereichsleiters der GdNF Niederlande, Eite Homann, eingerichtet. Die NIT riefen dann ab 10.15 Uhr dazu auf, sich in der belgischen Stadt Eupen-Malmedy zu versammeln. Gegen 11.00 Uhr wurde dann das eigentliche Ziel bekanntgegeben. Die Fahrzeuge der Neonazis waren durchgehend mit Funktelefonen ausgerüstet und konnten so von den NIT geleitet werden. Das NIT Nürnberg war die ganze Zeit über direkt besetzt und hielt Verbindung mit einer Nummer aus Hamburg, die auf Nachfrage bereitwillig weitergegeben wurde und über die direkte Informationen bezogen werden konnten.
Aus dem Süddeutschen Raum hatten Neonazis einen Reisebus gechartert, welcher zuerst nach Frankreich , in die Grenzstadt Lauterbourg, beordert wurde. Dort stiegen 49 Neonazis zu. Der skeptisch gewordene Busfahrer rief noch vom Fahrzeug aus seine Frau an, damit diese die Polizei verständigt. Die Polizei riet dem verunsicherten Busfahrer, seine Fahrt doch einfach fortzusetzen. Erst die luxemburgischen Grenzbehörden verweigerten ihnen die Einreise. Diese Zurückweisung wurde aber dann umgangen, indem der Bus über eine kleine Nebenstraße nach Luxemburg einfuhr. Die Aktion in Luxemburg war anscheinend die Hauptaktion der »imposanten« Aktionswoche, die Christian Worch vollmundig versprochen hatte.
Klein-Aufmärsche
Insgesamt haben Neonazis in ca. 30 Städten versucht, Aufmärsche anzumelden. Darunter der NPD-Vorsitzende Günther Deckert in Stuttgart, der HNG-Schriftleiter und FAP Aktivist Markus Privenau in Bremen und Sascha Wagner von der NPD-Jugend in Aachen. Das NIT Düsseldorf hatte als Ausweichort bei einem Verbot dieses Aufmarsches das Fußballstadion in Wuppertal angegeben.
Festnahmen in Berlin
In Berlin wurde am 13.8.1994 am Rande einer antifaschistischen Demonstration 26 Neonazis festgenommen. Darunter die stadtbekannten Neonazi-Aktivisten Arnulf Winfried Priem, Enno Gehrmann, Hans-Jörg Rückert, Matthias Ridderskamp, Marcus Bischoff, Detlef Cholewa und Kay Diesner. Die Festnahmen fanden in der Wohnung von Priem im Wedding statt. Einige seiner Kameraden schossen aus dem Haus heraus mit einer Zwille auf die Pressemenschen. Da die Polizei nicht immer nur zusehen kann, mußte sie unter den Augen der Presse eingreifen. Nach den Festnahmen kam es zu Hausdurchsuchung in der Priemschen Wohnung. Dabei wurden Messer, Dolche, Molotowcocktails, verschiedene Glas- und Stahlkugeln, Gaswaffen mit verändertem Lauf sowie Propagandamaterial sichergestellt. Am Sonntag wurde Priem dem Haftrichter vorgeführt, ihm wird mehrfacher Verstoß gegen das Waffengesetz sowie die Bildung eines »Bewaffneten Haufen« (§ 127 StGB) angelastet. Gegen den 20jährigen Oliver Werner besteht der Tatverdacht der gefährlichen Körperverletzung, er konnte nach der Haftprüfung nach Hause gehen. Soweit bekannt, sitzt Priem immer noch in Untersuchungshaft.
Was bleibt ?
Alles in allem aber kann die Aktion vom 13.8. als Flop für die Neonazis gewertet werden. Nicht nur ihr unentschlossenes Auftreten in Luxemburg, sondern auch die geringe Resonanz zeigen, daß die Mobilisierungsfähigkeit der rechten Szene für Schnitzeljagden a la Rudolstadt (1992) und Fulda (1993) deutlich nachgelassen hat. Seit 1991 ist den Neonazis somit kein größerer Aufmarsch mehr gelungen. Es waren im Vergleich zu den Rudolf-Heß-Gedenkmärschen 1990 und 1991 auch keine »Größen« der internationalen Neofaschisten vertreten. Anscheinend setzt sich die Position der "Nationalistischen Front" (NF) in der Neonazi-Szene mehr und mehr durch, daß zur Zeit solche Aufmärsche und öffentliche Demonstrationen nicht durchsetzbar sind.
Vor dem Hintergrund, daß es den Neonazis gelungen ist, nach Luxemburg auszuweichen, müssen die vollmundigen Ankündigungen der Innenminister, jegliche Neonazi-Aktivität an diesem Tag zu verhindern, wohl eher im Zusammenhang mit dem Wahlkampf 1994 als mit neu entdeckter, antifaschistischer Gesinnung gesehen werden. NRW- Innenminister Schnoor muß zudem im Moment noch um sein politisches Überleben bangen, da im Zusammenhang mit dem rassistischen Brandanschlag auf das Haus in Solingen und der möglichen Mitwisserschaft seines Geheimdienst-Spitzels Bernd Schmitt, sein Stuhl kräftig wackelt. Auch das scheinbar konsequente Vorgehen der sächsischen Polizei, die sich rühmte, 60 Neonazis festgenommen zu haben, relativiert sich, wenn man bedenkt, daß bei dieser Aktion 40 andere Personen quasi als Nebenprodukt festgenommen wurden, die ebenfalls auf den Fahndungslisten standen. Die umstrittene Schleppnetzfahndung wird so, mit Verweis auf die rechte Gefahr, etabliert.