Neonazi-Überfall auf Punks in Magdeburg
Keine elf Monate nach dem Mord an dem Punk Frank Böttcher durch Neonazis überfielen Anfang Januar rechte Skinheads eine Gruppe Punks und ihre FreundInnen in einer Wohnung. Dabei wurde der 23jährige Gordon G. lebensgefährlich verletzt. Die Situation gleicht der im Vorjahr: die regionale Presse spricht vom »Szenekrieg«, und die Stadt bangt um ihr Image.
Am späten Abend des 3. Januar überfielen 13 Neonazi-Skinheads eine von Punks gemietete Wohnung im Magdeburger Stadtteil Cracau. Bis auf den schwerverletzten Gordon G. konnten alle Anwesenden aus der Wohnung flüchten. Der Überfall galt Peter Böttcher, dem Bruder des ermordeten Frank Böttcher. Peter Böttcher hielt sich zum Zeitpunkt der Tat jedoch nicht in Magdeburg auf. Er hatte in den letzten Monaten immer wieder mündliche und schriftliche Todesdrohungen erhalten. Außerdem sollen Personen aus der rechten Szene seit längerem versucht haben, die Meldeadresse Peter Böttchers zu bekommen.
Bei ihrer polizeilichen Vernehmung gaben die Täter an, den Punks »eine Lektion erteilen« zu wollen. Laut Staatsanwaltschaft hatte sich eine Hausbewohnerin bei ihrem Schwiegersohn über die Lärmbelästigung beschwert. Dessen Zögling war am Überfall beteiligt.
Eine neue Qualität erhält dieser Überfall vor allem dadurch, daß er zielgerichtet erfolgte und die rechten Skinheads ihre Tat geplant hatten. Laut "Der Spiegel" soll die Tat in der Wohnung des Neonazis Andreas L. (20) geplant worden sein. Demnach habe Andreas L. bis zum 31. Dezember als Panzergrenadier bei der Bundeswehr gedient und sei, entgegen seinem Wunsch, wegen rechtsradikaler Umtriebe vorzeitig entlassen worden. Eine Beschreibung seiner Wohnung zeigt seine Gesinnung: "Lampes 40-Quadratmeter-Appartement zieren Deutschlandfahnen-Vorhänge, und das Nürnberger Prozeß-Schlußplädoyer von Rudolf Hess hängt in Glas gerahmt an der Wand. Im Schrank liegen Munition und Videos über »Hitler als Privatmann«."1 Der Kreis der Täter bzw. der Tatverdächtigen, unter ihnen Andreas L. Enrico K. und Marcel D., rekrutiert sich aus der rechten Szene des Neubaugebietes Magdeburg Olvenstedt, eben jenem Stadtteil, aus dem auch der Mörder Frank Böttchers kam. AntifaschistInnen sind sie zum Teil seit mehreren Jahren als zum Kern der rechten Schläger gehörend bekannt. Mindestens zwei von ihnen sind u.a. wegen der Beteiligung an den rassistischen "Ausschreitungen" zu Himmelfahrt 1994 vorbestraft. Alle gefaßten Täter sind voll geständig. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen »versuchten Totschlag« und »schweren Landfriedensbruch« vor.
Allerdings befinden sich sieben Tatbeteiligte wieder auf freiem Fuß. In Olvenstedt verfügt die rechte Szene unverändert über einen starken Einfluß auf die dort lebenden Jugendlichen. Er wird über informelle Strukturen wie Cliquen, Jugendclubs und die Präsenz auf der Straße aufrecht gehalten. Es ist normal, rechts zu sein. Ungehindert werden nicht nur in Olvenstedt fast täglich SkaterInnen, RapperInnen, AusländerInnen und Linke angegriffen.
Vor diesem Hintergrund kann die Szene beim Agieren in diesem Stadtteil auf die Einbindung in feste Neonazi-Strukturen wie Parteien und Verbände verzichten. An einer gezielten, längerfristigen politischen Arbeit ist diese rechte Subkultur ohnehin meist nicht interessiert. Jedoch sind viele rechte Skinheads/Hools durchaus für Aktionen der organisierten Neonaziszene, wie Aufmärsche und Konzerte, mobilisierbar.
Der Kontext, in dem dieser Überfall geschah, reduziert sich allerdings nicht auf die rechte Szene in Olvenstedt. So hat die Stadt einerseits für insgesamt 6,7 Millionen DM einen Jugendclub bauen lassen und auch die Polizei in Gestalt eines Sportvereins in die Jugendarbeit eingespannt. Bei diesem sogenannten ALSO-Projekt spielen die Neonazi-Jugendliche Fußball mit Polizeitrainern. Andererseits versuchen sich Teile der Stadtverwaltung, vor allem aber die CDU-Fraktion, beim Umgang mit alternativen Wohnprojekten/Jugendclubs im Vorfeld des Wahlkampfes, auf dem Feld der inneren Sicherheit zu profilieren. Polemisiert wurde gegen den »Straßenterror linker Chaoten«. Gemeint waren damit nicht Angriffe auf StadtviertelbewohnerInnen, sondern Sprühereien und Farbeier an Häuserwänden.
Noch im Oktober '97 hatte die städtische CDU »die Ausschöpfung aller juristischen Möglichkeiten zur Räumung« der Wohnprojekte Uhlandstraße und Raabestraße gefordert. Gerade diese Projekte sind es jedoch, die den betroffenen Punks und ihrem Umfeld einen gewissen Schutz vor rechten Überfällen bieten.
Wie nach dem Mord an Frank Böttcher, versuchen die Stadtpolitiker ihr Scheitern und die verschärfte Bedrohungssituation von Randgruppen herunterzuspielen. AntifaschistInnen betonten dagegen die ungebrochene Kontinuität rechter Überfälle: Dafür stehen die Ermordung Thorsten Lamprechts 1992, die Ausländerhatz 1994 und der Mord an Frank Böttcher. Die Stadt fürchtet nun wieder nur um ihr ehedem beschädigtes Image und sah sich nur genötigt, zu einer Lichterkette »gegen Gewalt« am 16.01.1998 aufzurufen.
Um den Gesamtzusammenhang zu thematisieren und an die Ermordung von Frank Böttchers im Februar 1997 zu erinnern, rufen AntifaschistInnen am 8. Februar '98 zu einer bundesweiten Demonstration in Magdeburg auf.
- 1DER SPIEGEL 3/1998: "»Deutsch, sauber, besser«" von Susanne Koelbl, 11.01.1998.