Antifa + Passau = kriminell?
Am 12. Mai 1998 durchsuchte die Polizei bundesweit Wohnungen von 28 Personen. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach dem Ermittlungsparagraphen § 129 vorgeworfen. Behauptungen der Münchner Staatsanwaltschaft zufolge sollen die Beschuldigten für über 100 Straftaten im Raum Passau verantwortlich sein. Das Verfahren ist Teil der Bemühungen, AntifaschistInnen einzuschüchtern und in der Öffentlichkeit als »kriminell« zu isolieren.
Laut Durchsuchungsbeschluß war das Ziel der Razzia, den »Bezug der Beschuldigten zum antifaschistischen Spektrum« zu belegen. Insbesondere die Zugehörigkeit zu »Gruppierungen des antifaschistischen Spektrums« gilt dem Staat heutzutage offenbar schon als kriminell. Seit spätestens 1993 soll eine Gruppe von insgesamt 39 Personen innerhalb eines organisatorischen Rahmens Straftaten begangen haben. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde offiziell im März 1997 eröffnet, stützt sich aber auf angebliche Staatsschutzerkenntnisse, deren Sammlung Anfang der 1990er Jahre begann. Durchsucht wurde jetzt in Passau, München, Nürnberg, Berlin, Hamburg, Göttingen, Mühldorf und Bielefeld. Viele der Betroffenen wohnen schon seit 1993 nicht mehr in Passau. Die Verbindung zwischen ihnen besteht lediglich in ihrer Herkunft aus Passau und ihrem antifaschistischen Engagement. Zu »spektakulären Funden«, so Oberstaatsanwalt Manfred Wick, sei es bei den Durchsuchungen nicht gekommen. Beschlagnahmt wurden allerdings etliche Computer, Handies, Kontoauszüge sowie persönliche Aufzeichnungen. Insgesamt ist durch die Durchsuchungen ein Sachschaden von über 50.000 Mark entstanden.
Zum politischen Hintergrund der Kriminalisierungsversuche: Seit über zehn Jahren findet in der niederbayerischen Kleinstadt Passau (50.000 EinwohnerInnen) jährlich eine Großveranstaltung der ultra-rechten DVU statt. Gegen eines der europaweit größten (Neo)Nazi-Treffen (jedes Jahr ca. 5.000 TeilnehmerInnen) hat sich über die Jahre eine Antifa-Bewegung entwickelt, die sich insbesondere unter Jugendlichen einiger Beliebtheit erfreut. Höhepunkt der antifaschistischen Proteste in der Stadt stellten am 7. Februar 1998 die Gegenaktionen gegen den Bundeswahlparteitag der NPD dar. Dagegen entstand u.a. die »Passauer Aktion Zivilcourage«, mit der mehrere hundert BürgerInnen zu einer Blockade der Nibelungenhalle aufriefen. Gegen die Initiatorin dieser Aktion, eine Passauer Rechtsanwältin, wird nach einer Anzeige der NPD ebenfalls staatsanwaltschaftlich ermittelt.
Die Kriminalisierungsmaßnahmen stehen offensichtlich im Zusammenhang mit dem bayerischen Wahlkampf, in dem sich die CSU zum Ziel gesetzt hat, mit harten Sprüchen zu den Themen »Innere Sicherheit« und »Ausländerkriminalität« ein Abwandern ihres Wahlpublikums zur rechten Konkurrenz zu verhindern. In Bayern hat die DVU bereits zugunsten der CSU auf eine Kandidatur verzichtet. Nicht zufällig stellte der Freistaat am Tag der Durchsuchungen seine neue »Sicherheitsoffensive« vor, mit der das von CSU-Politikern erst erzeugte Bedrohungsgefühl der BürgerInnen bedient werden soll. Die Hetze gegen Linke steht hoch im Kurs: Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel erklärte zunächst die PDS zur »kriminellen Vereinigung« und schreckt neuerdings auch nicht vor dem Vorwurf zurück, auch Gerhard Schröder stehe nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. In einem solchen Klima verwundert es nicht, wenn auch gegen antifaschistische Gruppen die Keule des § 129 ausgepackt wird.
Neben der Einschüchterung der zumeist jugendlichen Passauer Antifas geht es den Staatsschutzbehörden offensichtlich auch um ein Ausspionieren der bundesweiten Antifa-Strukturen in der BRD: In einem der Durchsuchungsbeschlüsse, der sich gegen einen Göttinger Buchladen richtet, ist ausdrücklich von der Suche nach Mitgliedslisten des Rechtshilfevereins »Rote Hilfe e.V.« sowie der »Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation« die Rede. Diese Organisationen sollen durch die Nähe zu einer angeblichen »kriminellen Vereinigung« ebenfalls kriminalisiert werden.
Die Existenz einer »kriminellen Vereinigung« scheint die Staatsanwaltschaft offenbar aus der gemeinsamen Herkunft der Beschuldigten ableiten zu wollen. Im aktuellen bayerischen Verfassungsschutzbericht werden die entsprechenden Konstruktionen hierfür publizistisch vorbereitet. So wird darauf verwiesen, daß angebliche Mitglieder der Passauer Antifa-Szene auch nach ihrem Wegzug eine wichtige Rolle in der antifaschistischen Szene spielen. Der Verfassungsschutz behauptet weiterhin, Szene-Aktivistinnen hätten im ersten Halbjahr 1997 durch Verkleben von Aufklebern und Wandschmierereien Sachschäden in Höhe von 40.000 Mark verursacht. Rechnet man dies auf einen Zeitraum von fünf Jahren hoch, so ergibt sich daraus eine knappe halbe Million Mark - genau die Summe des angeblich von der »kriminellen Vereinigung« verübten Sachschadens. Als weiteres Indiz muß im VS-Bericht die Personalienfeststellung von drei ehemaligen Passauern in Göttingen in der Nähe einer eingeworfenen Fensterscheibe herhalten. Aber: Das Verfahren wurde längst wegen mangelnder Beweise eingestellt.
Und nun?
AntifaschistInnen erklären zu den Ermittlungen: "So lächerlich die Begründung des Verfahrens auch zunächst anmutet, so ernst müssen wir als Linke und Antifaschisten die Bemühungen des Staates nehmen, die Antifa-Bewegung mittels solcher Vorwürfe zu kriminalisieren. Die Antwort: Solidarität mit den Betroffenen und die Fortsetzung der antifaschistischen Politik, die der Staat für kriminell erklären will."