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»Das war damals alles irgendwie normal«

Bild: Screenshot YouTube.com

Rassisten und Neonazis am 11. September 1992 vor der Flüchtlingsunterkunft in Quedlinburg.

Interview mit der Antifa Ha/Qu aus Halberstadt/Quedlinburg

AIB: Erzählt doch mal, wann Ihr euch als Antifa-Gruppe gegründet habt und wie damals die Situation in Eurer Region war.

Michael: Einen direkten Gründungstermin gab es glaub' ich in dem Sinne nicht. Es gab schon vor 1990 eine größere Gruppe von Leuten, die sich als AntifaschistInnen verstanden. In den umliegenden Städten, wie Halberstadt oder Wernigerode, gab es in dieser Zeit die ersten Hausbesetzungen. Mit den Leuten, die dort gewohnt haben, hatten wir recht guten Kontakt. Da diese Häuser oft von Faschos angegriffen wurden und wir uns an der Verteidigung oft beteiligt haben, haben wir uns dann öfter zusammengesetzt, um erst mal unseren Selbstschutz zu organisieren. Da auch in Quedlinburg die Neonaziszene rasch stärker wurde und es vermehrt Übergriffe gab, haben wir dann auch selbst viele Aktionen gemacht. Das war sozusagen die Geburt der Autonomen Antifa Quedlinburg, wie wir uns damals nannten.

AIB: Wie war denn das zahlenmäßige Verhältnis zu den Neonazis?

Karsten: Zu diesem Zeitpunkt waren wir eigentlich mehr. In den anderen Städten war das völlig anders.

AIB: Wart Ihr als Autonome Antifa nur mit der Abwehr von Neonazis auf der Straße beschäftigt, oder habt Ihr auch andere politische Aktionen gemacht?

Michael: Wir haben uns erst mal nur um die Neonazis gekümmert. Deren Szene wurde immer stärker und sie haben begonnen, unsere Treffpunkte anzugreifen. In dieser Zeit gab es in Quedlinburg die ersten Straßenschlachten mit den Faschos. Die erste war glaub' ich im Frühjahr 1991. Die ging über mehrere Stunden und beruhte eigentlich nur auf einem Mißverständnis. Es gab aber auch sonst ständig irgendwelche Auseinandersetzungen und Prügeleien. Die Faschos haben beispielsweise einen unserer Treffpunkte, den »Bodekeller« ständig mit 20 - 50 Leuten angegriffen.

Karsten: Das war damals alles irgendwie normal.

AIB: Wie hat sich Eure Gruppe denn dann weiterentwickelt?

Michael: Wir haben im Laufe der Zeit dann viel mehr politisch gearbeitet. Wir haben z.B. eine Ausstellung zu Neofaschismus gemacht, die wurde auch ziemlich gut angenommen.

Karsten: Es gab aber auch ganz andere Sachen, so haben wir 1992 uns um die beiden Flüchtlingsheime in der Stadt gekümmert. Eines davon ist mehrfach angegriffen worden. Wir haben dann über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg einen Schutz organisiert. Wir haben uns jeden Abend im Heim aufgehalten und die Neonaziangriffe konnten immer gut zurückgeschlagen werden. Der Kontakt zu den Flüchtlingen war damals ganz gut. Es gab dann auch noch eine Hausbesetzung in Quedlinburg und andere Sachen. Wir haben damals schon eine ganze Menge hingekriegt.

AIB: Im Sommer 1992 gab es in Quedlinburg das Pogrom gegen das Flüchtlingsheim. Wie habt Ihr darauf reagiert?

Michael: Wir haben davon erst mal aus der Zeitung erfahren. Vom ersten Tag haben wir eigentlich überhaupt nichts mitbekommen. Das war erst mal ein ziemlicher Schock. Kurz vorher war das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und das so etwas in der eigenen Stadt passiert, hätten wir
nie gedacht. Die Neonaziszene war ja auch total unorganisiert, daß kam scheinbar völlig spontan

Karsten: Anfangs waren wir auch erst mal völlig ratlos und sind am zweiten Tag, das war ein Dienstag, erst mal Streife gefahren. Vor dem Flüchtlingsheim standen dann schon circa 80 Faschos und 100-150 Bürgerinnen schauten zu und applaudierten, genau wie in Rostock. Die Faschos wurden von uns zwar an einigen Punkten angegriffen, aber das hat überhaupt nichts bewirkt. Das Flüchtlingsheim wurde immer wieder mit Steinen und Brandflaschen attackiert.

Michael: Am nächsten Tag waren dann schon einige UnterstützerInnen aus der Region da und einige Neonazis haben auch was abgekriegt. Der Mob von Faschos und bürgerlichen Rassisten war aber erheblich größer geworden. Am Donnerstag gab es dann die erste Antifa-Demonstration gegen das Pogrom. Zu der kamen dann auch etwa 250 Antifaschist_innen aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Vor dem Flüchtlingsheim stand eine Mahnwache von ca. 30 Bürgerinnen. Als sich unsere Demonstration mit vor das Flüchtlingsheim gestellt hat, waren dann auf einmal die Polizei da, die sich vorher immer schön aus allem rausgehalten hatten. Auf dem Rückweg wurde die Demonstration von Faschos mit Brandflaschen angegriffen. Am gleichen Abend wurde dann eine weitere Demonstration für den Samstag geplant.

Karsten: Am Freitag haben die Neonazis einige Leute aus der Mahnwache zum Teil schwer verletzt und einen Krankenwagen angegriffen. Als am Sonnabend unsere Demonstration stattfand, waren auf einmal jede Menge Polizei mit Wasserwerfern und allem drum und dran im Einsatz. An der Demonstration beteiligten sich so ungefähr 500 AntifaschistInnen. Die Faschos mußten sich an dem Tag zurückhalten, einige wurde auch angegriffen. Das Pogrom war durch diese Demonstration dann glücklicherweise beendet. Trotzdem wurden die Flüchtlinge in eine andere Stadt „deportiert“. Quedlinburg war sozusagen »ausländerfrei« - die Neonazis hatten ihr Ziel erreicht.

AIB: Die Neonaziszene in Quedlinburg ist durch ihren hohen Organisierungsgrad bekannt. Wie ist es zu dieser Organisierung gekommen?

Dennis: 1993 ist Steffen Hupka nach Quedlinburg gezogen und hat die Faschos massiv geschult und organisiert. Als ehemaliger NF-Führungskader brachte er ziemlich viel Erfahrung mit, die ihm sicherlich sehr nützlich war. Die Neonazis hatten ja nur auf so einen gewartet. Allein wären sie nie dazu in der Lage gewesen.

Michael: Wir haben das eigentlich nur durch Zufall mitbekommen. Im Winter 1993 gab es ein Treffen von ca. 15 Faschos in einer Kneipe, die gleich neben unserem Szenetreff, dem »Kulturzentrum Reichenstraße«, liegt. Das war schon ziemlich dreist und als wir das mitbekommen haben, sind erst mal ein paar Leute hingegangen, um sich das anzuschauen. Kurz darauf sind wir mit einem größeren Pulk in die Kneipe rein und in den Raum mit den Faschos eingedrungen. Die haben sich ungestört von uns abfotografieren lassen. Auf den Bildern war Hupka auch mit drauf, aber wir wußten nicht, wer er ist. Das hat sich auch erst später eher zufällig rausgestellt.

Dennis: Als klar war, wer Hupka ist und was er macht, fing die eigentliche Recherche an. Zu diesem Zeitpunkt war unsere Gruppe personell ziemlich stark, wir waren etwa 30 Leute und hatten in einer Kleinstadt wie Quedlinburg auch gute Möglichkeiten zu recherchieren. Trotzdem haben wir nicht sofort etwas unternommen, sondern uns eine ganze Weile Zeit gelassen, um Informationen zu sammeln und uns zu überlegen, wie wir damit umgehen. Das hat sich als ziemlich vorteilhaft erwiesen, da sich Hupka in Sicherheit wiegen konnte, obwohl wir schon an ihm dran waren. Ende 1994 haben wir dann alles öffentlich gemacht, die existierenden Neonazistrukturen waren auch kaum mehr zu übersehen. Im Januar 1995 gab es dann die erste Demonstration gegen Hupka und seine Strukturen. Das hat in Quedlinburg wie eine Bombe eingeschlagen, da wir mit vielen Informationen aufwarten konnten und die Leute erst mal ganz schön geschockt waren. Die Demonstration wurde als Bündnisdemonstration organisiert, verschiedene bürgerliche Gruppen und Personen hatten sich zu einer »Bürgerinitiative gegen rechts« zusammengeschlossen und beteiligten sich an der Demonstration. Das Bündnis hat sich zwar nicht unbedingt nach unserer Zufriedenheit entwickelt und hatte auch nicht lange Bestand, aber immerhin.

Michael: Nicht zu vergessen ist, daß in dieser Zeit die Abwehrkämpfe gegen die Faschos noch immer viel Raum einnahmen. Immer wieder kam es zu Angriffen auf das Kulturzentrum, die wir zwar abwehren konnten, die Stimmung in der Stadt war trotzdem ziemlich aggressiv und
die Neonazis hatten eine ziemliche Hochphase.

Karsten: Das Kulturzentrum war für die Neonazis schon immer ein Hauptangriffspunkt, daß ist auch heute noch so. Vermutlich durch Hupkas Einfluß sind die Angriffe der Faschos aber besser koordiniert abgelaufen, sein Einfluß war schon deutlich zu spüren.

Dennis: Im November 1995 gab es dann eine zweite Demonstration gegen die Neonazistrukturen in der Region. Nach unseren Erfahrungen mit dem Bürgerinnenbündnis, war für uns klar, daß das nur eine autonome Demonstration werden kann. Wir wollten uns nicht vereinnahmen lassen und da wir uns als Gruppe nach 1993 auch weiterentwickelt hatten, wollten wir keine reine Anti-Nazidemo machen. Es war uns sehr wichtig, zum einen natürlich Hupkas Rolle und die bestehenden Strukturen zu thematisieren, aber andererseits auch unsere Gesellschaftskritik, einen revolutionären Anspruch klarzumachen. Es ist zwar ziemlich schwierig, das mit einer einzigen Demonstration zu machen, aber die Demonstration war ja nur der Höhepunkt in der mehrjährigen Kampagne gegen organisierten Neofaschismus im Ostharz, in die aber auch immer wieder andere Politikfelder eingebunden wurden. Unser Ziel war, der Demonstration nicht nur einen entschlossenen sondern durchaus auch militanten Charakter zu geben. Das wäre mit den Bürgerlichen niemals gegangen. An der Demonstration beteiligten sich ca. 1.200 AntifaschistInnen und die Demonstration war zu 2/3 ein einziger »Schwarzer Block«. Am Tag der Demonstration gab es eine Gegendemonstration von 50 Menschen, die teilweise von den Leuten organisiert wurde, die sich vorher in der Bürgerinitiative engagiert hatten. Das war schon ziemlich bitter, da diese ihre Demonstration mit einer Rechts-Links-Gleichsetzung begründeten. Im nachhinein gab es mit diesen Leuten noch eine ganze Menge Knatsch.

Michael: Den Initiatorinnen der Gegendemonstration ging es ziemlich offensichtlich um ihre eigene Profilierung.

AIB: Was hat sich für Euch dadurch verändert.

Dennis: Die Demonstration war für uns ein ziemlicher Knackpunkt. Es war unsere erste Aktion, die wir bundesweit vorbereitet hatten. Wir waren zwar regional oder auch überregional mit anderen ostdeutschen Gruppen vernetzt, aber das schmorte oft ein wenig im eigenen Saft. Zum Zeitpunkt der Demonstration hatten wir uns aber schon im Bundesweiten Antifatreffen (BAT) vernetzt, was unseren Handlungsspielraum erheblich erweiterte.

Karsten: Andererseits sind wir nach der Demonstration auch an einem ziemlichen Nullpunkt gelandet. Wir hatten über einen verdammt langen Zeitraum schon Aktivitäten gegen Hupka und seine Neonazizellen organisiert. Trotzdem hatte sich an dem Problem nichts wesentliches geändert. Das hat dazu geführt, daß wir uns immer mehr anderen Themenbereichen widmeten, so z.B. der rechtskonservativen DSU. Unsere Zeitung »Der Maulwurf«, der anfangs monatlich erschien und dann in immer größeren Abständen, wurde quasi nochmal modernisiert. Mittlerweile ist dieses Projekt jedoch so ziemlich tot. Da sich Teile unserer Szene entpolitisierten, wurde die Zeitung zum Schluß auch etwas an der Szene vorbeiproduziert.

AIB: Du sprichst gerade von Entpolitisierung Eurer Szene, erklärt das doch bitte genauer.

Dennis: Na ja, gerade die jüngeren Leute rutschten nicht mehr nach. Die Situation war einfach anders als damals, als wir uns politisiert haben. Es gab die direkte physische Bedrohung von Neonazis immer weniger. Wir als Gruppe spezialisierten uns immer mehr auf die Neonazistrukturen, das war vielen zu abstrakt, Strukturen sind schwerer greifbar, sie sind nicht erfahrbar, wie eine Horde prügelnder Neonaziskins. Und unsere Erfahrung ist sehr oft gewesen, daß sich viele aktive Leute zurückziehen, wenn sie keine direkte Bedrohung mehr gespürt haben. Das war in Wernigerode und in Halberstadt so. Dort gibt es schon sehr lange keine Antifagruppen mehr. Mit den wenigen aktiven Leuten aus Halberstadt haben wir uns ja schon vor vielen Jahren zur Antifa Ha/Qu (Halberstadt/Quedlinburg) zusammengetan. Da aus unserer Gruppe, wie in Kleinstädten ja immer so, viele Leute sich verabschiedet haben und in größere Städte gezogen sind, sind wir gerade bemüht, jüngere Leute wieder besser einzubinden.

AIB: Was habt Ihr denn demnächst so vor?

Michael: Dieses Jahr wird von verschiedenen Veranstaltungen begleitet, die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht in Jugoslawien« soll gezeigt werden. Das ist schon mal ein konkreter Punkt, um viele Leute wieder näher an uns heranzuführen.

Dennis: Dann wird es eine Kampagne gegen die Deutsche Soziale Union (DSU) geben. Die Kampagne wird sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, da die DSU bei den Kommunalwahlen sicher wieder viel Erfolg haben wird. Dagegen anzukämpfen und ihnen die Suppe zu versalzen wird ein schönes Stück Arbeit.

AIB: Danke für das Gespräch.