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Der Ruf nach Todesstrafe als Neonazi Mobilisierung

Einleitung

Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen wird gerne verschwiegen und als »feministisches Kampfthema« diffamiert. Eine Auseinandersetzung um die Ursachen von Mißbrauch und Vergewaltigungen - eine patriarchale Gesellschaft, in der Männer u.a. über Sexualität ihre Macht über Frauen ausüben - findet nach wie vor kaum statt. Stattdessen »entdecken« Medien und Politiker Sexualverbrechen an Kindern als »Thema«, bei dem sich alle gruselnd über die Täter empören, weiße Westen zeigen und härtere Strafen fordern können. Angesichts der herrschenden Doppelmoral wundert es kaum, daß auch Neonazis versuchen, auf den Zug aufzuspringen, und lauthals »die Todesstrafe für Kinderschänder« fordern, wie am 5. April 1998 bei einem Aufmarsch in Cloppenburg.

Cloppenburg als gut bewachte Bühne

Die niedersächsische Kleinstadt Cloppenburg hatten sich die Anmelder von der NPD/JN nicht ohne Grund ausgesucht. Wenige Tage vor dem Aufmarsch fiel eine 11jährige einem Sexualmord zum Opfer. Diese Tat ereignete sich in der rund 15 Kilometer von Cloppenburg entfernten Ortschaft Strücklingen. Die Neonazis hofften, daß sie mit der Forderung ihres Aufmarsches in der Öffentlichkeit auf Zustimmung treffen würden, schließlich lag die grausame Tat erst wenige Tage zurück. Vermutlich um nicht noch mehr Aufsehen um die neonazistische Demonstration und den Mord an dem Mädchen zu machen, hatten die Cloppenburger Behörden den rechten Aufmarsch sfort genehmigt. Gekommen waren unter anderem frühere GdnF-Kader um Christian Worch und die mit ihnen verbundenen norddeutschen Neonazikameradschaften.

Anfangs versuchten AntifaschistInnen, dem rechten Aufmarsch direkt entgegen zu treten. Doch schon beim ersten Versuch, den Neonazis den Platz streitig zu machen, bekamen sie dann zu spüren, was es heißt, sich einer genehmigten Neonazi-Demonstration in den Weg zu stellen. MEK-Gruppen der Polizei sicherten mit ihren Knüppeln die gesamte Aufmarsch-Route. Jeder und jede, die nicht in das klassische bürgerliche Umfeld von Cloppenburg paßte und zugleich den Eindruck erweckte, eine antifaschistische Grundhaltung zu haben, wurde, wenn er/sie noch Glück hatte, nur des Platzes verwiesen. In der Regel wurden die AntifaschistInnen aber erst einmal ins Polizeigewahrsam gebracht.

Die erhoffte Zustimmung aus der Bevölkerung erhielten die Neonazis in Cloppenburg allerdings nicht. Zwar hatte die Polizei alle offensichtlichen Linken von dem Aufzug fernhalten können. Aber sie war nicht in der Lage, »ordentliche« Cloppenburger BürgerInnen von der Straße zu prügeln. Immer wieder hörte mensch von ihnen: »Aufhören, seid doch still.« So zog der Aufmarsch, geschützt von Polizei und neonazistischen Ordnern, unter denen sich auch der Bielefelder Neonazikader Bernd Stehmann befand, schnellen Schrittes durch die Kleinstadt.

Todesstrafe als Thema

Die Parole »Todesstrafe für Kinderschänder« scheint derzeit in rechten Kreisen ein beliebtes Agitationsfeld zu sein. Im Frühjahr diesen Jahres hat sich eine sogenannte "Initiative - Todesstrafe für Kinderschänder", die bundesweit Unterschriften sammelt, gegründet. In einem Aufruf bittet die Initiative den Justizminister des Bundes, sie bei ihrer Forderung nach einer Strafrechtsverschärfung zu unterstützen. Presserechtlich verantwortlich und Kontaktanschrift für die Initiative ist der Neonazi Peter K. Maaßen aus dem nordrhein-westfälischen Bochum. In den "HNG Nachrichten" der neonazistischen "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) sucht Peter K. Maaßen Kontakt zu Kameraden, die mit ihm die Initiative durchführen wollen. Der Neonazi-Fanzine-Herausgeber Marco Happke gilt als eine weitere Person hinter der "Initiative".

Verlogene Doppelmoral

Daß es sich bei dem scheinbaren Kampf der Neonazis gegen den sexuellen Mißbrauch von Kindern nur um öffentlichkeitswirksame Aktionen und nicht um einen Kampf gegen sexuelle Gewalt und Unterdrückung handelt, liegt auf der Hand. In den sog. "Bundeswehr Videos" stellten die beteiligten Neonazis z.B. Vergewaltigungsszene nach, so als gehörten sie "zum guten Ton". Bekannte Neonazi(-Häftlinge) wie Bernd T., Mike D./S. und Norbert P. können sich trotz Vergwaltigungs-Vorwürfen weiterhin ungestört in der Neonazi-Szene bewegen.

Der Neonazi, dreifache Mörder und mehrfache Vergewaltigter Thomas Lemke aus Gladbeck erfreute sich in seinem Prozeß vor dem Essener Landgericht sichtbarer Solidarität aus der Neonaziszene. Den Prozeß beobachteten neben dem HNG-Funktionär Erhard Kemper (Laupin) auch die JN-Kaderin Melanie Dittmer (Dorsten), Sebastian D. (Dortmund) und der JN-Aktivist Andreas P. (Dortmund). Laut Prozess-Beteiligten sollen sie sich bei der Verlesung der Protokollaussagen zu den Vergewaltigungen "amüsiert" haben. Bei den den Aussagen der Gerichtsmediziner, als diese die Verletzungen der von Lemke vergewaltigten und ermordeten Frauen beschrieben, sollen sie demnach "gewitzelt" haben. Nach Applaus für den Ausruf Lemkes „Somit haben die Juden ihren Willen bekommen“ sollen die anwesenden Neonazis Ernst Tag (Ludwigshafen), Markus W. und Ralf P. (Duisburg) sogar eine kurze Zeit Ordnungshaft kassiert haben. In "Der Weisse Wolf", einem wichtigen bundesweiten Neonazirundbrief der bis Ende 1996 in der JVA Brandenburg hergestellt und vertrieben wurde, wird zur Solidarität für Lemke aufgerufen.

Vernetzung der "Freien Kameradschaften"

Auch wenn sich insgesamt nur ein harter Kern von knapp 150 Neonazis vor allem aus Norddeutschland in Cloppenburg zum Marschieren einfand, machte der Aufmarsch doch eine Entwicklung in der westdeutschen Naziszene deutlich: Seit der Haftentlassung des ehemaligen Führungskaders der "Nationalen Liste", Christian Worch, im Herbst 1997, ist zu beobachten, daß die alten GdnF-Strukturen wieder vermehrt die Aktionen auf der Straße suchen. Zunächst waren Worch und Co. vor allem in Schleswig-Holstein, u.a. bei den Aufmärschen des »Bündnis Rects für Lübeck« unterwegs, bis sie dann den Norden Niedersachsens als neues Aufmarschgebiet entdeckten. Inzwischen haben Worch und seine rechte Hand Thomas (Steiner) Wulff, Hamburger Führungskader der "Freien Nationalisten" (Vgl. AIB Nr. 43), ihren Aktionsradius noch mehr erweitert.

Bei einem Treffen von rund 100 Neonazis aus ganz Nordrhein-Westfalen am 28. März 1998 in Düsseldorf war Wulff eingeladen worden, über die weiteren Perspektiven der (militanten) und "freien" Neonaziszene zu debattieren. Denn auch in Nordrheinwestfalen versuchen die organisierten Neonazistrukturen, vom momentanen gesellschaftlichen Rechtstrend zu profitieren. Das Treffen in Düsseldorf fand quasi in Sichtweite zur dortigen Bereitschaftspolizeikarserne statt und konnte somit ohne Probleme über die Bühne gehen.

Kurz darauf, Am 4. April 1998, lud das neonazistische "Deutsche Kulturwerk" nach Bonn. Hans Robert Klug, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Bonn, hatte den verurteilten Neonaziterroristen Manfred Roeder zu einem Vortrag über die Bundeswehr eingeladen. Unter den rund 100 Zuhörern befanden sich neben den biederen Altnazis im Anzug und Krawatte auch die jüngeren "Stiefelfaschisten" aus dem Kreis um den Lüdenscheider "Donner Versand".