Neonazismus in Ostdeutschland: Dominanz statt Subkultur
Marschmusik dringt aus den runtergekurbelten Fenstern. Etwa zehn Fahrzeuge stehen auf dem kleinen Platz an der Tankstelle. Daneben eine Gruppe von Gestalten, die Haare auffällig kurz. Das dumpfe Stimmengewirr steigert sich, unverständlich werden Parolen gebrüllt. Schon lange sind sie die einzigen hier. Der Tankstellenpächter ist genervt, die Kundschaft blieb aus, seitdem die Rechten aus dem Ort hier ihren allabendlichen Treffpunkt gefunden haben. Das Szenario ist austauschbar. Fast überall in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands sieht man sie, auf Parkplätzen, Tankstellen, am Bahnhof. Eine Randgruppe, das sind sie schon lange nicht mehr. Sie dominieren die Jugendkultur im Osten, ihre Hochburgen sind die Kleinstädte und die Plattenbausiedlungen. Sie sind nicht unbedingt überzeugte Neonazis, sie bezeichnen sich selbst als rechts oder als Stinos (Stinknormale). Doch in einem sind sie sich einig: Die »Asylanten« und die »Zecken« sind ihre Feinde. Sie sind stolz darauf, deutsch zu sein. NPD und DVU, die würden sie wählen, die vertreten deutsche Interessen.
Im Osten Deutschlands sind die Grenzen verschwommen, die Grenzen zwischen rechter (Jugend)Kultur und Mainstream. Rassistische Weltanschauungen gelten nicht als etwas Negatives. Der Begriff politisch rechts ist positiv besetzt und rechts zu sein ist chic. Die rechte Dominanz unter den Jugendlichen Ostdeutschlands ist kein neues Problem, auch wenn sie durch den Aufwind der NPD und den Wahlerfolg der DVU in Sachsen-Anhalt Thema in allen Medien ist. Die Analyse der Ursachen durch die bürgerlichen Medien beschränkt sich auf hohe Arbeitslosigkeit und Protestwahlverhalten, doch die Ursachen liegen tiefer und einfache Erklärungen gibt es nicht.
Das gesellschaftliche Klima im Osten Deutschlands war auch nach 1989 noch stark durch die DDR beeinflußt. Latenter Militarismus und Intoleranz gegenüber allen, nicht die deutschen Sekundärtugenden verkörpernden Menschen, waren oft (inoffizieller) Teil der Staatsdoktrin. Daraus resultierende rassistische Ressentiments und Autoritätsdenken wurden auch der Nachwendegeneration mit auf den Weg gegeben. Der im Zuge der deutschen Vereinigung propagierte Rassismus und Nationalismus führte zur Bildung eines rechten Klimas. Vor allem jugendliche Neonazis fühlten sich bei ihren Aktionen als Vollstrecker eines nicht näher definierten Volkswillens.
Der staatlich (mit)geschürte Rassismus mündete schließlich in der Pogromwelle anfang der Neunziger Jahre. Während dieser Pogromwelle zeigte sich deutlich die Zustimmung anderer Teile der Bevölkerung für die Aktionen der Neonazis. Vielerorts äußerte sie sich durch Beifallklatschen, während jugendliche Neonazis Steine und Brandsätze gegen Flüchtlingsunterkünfte warfen. Auch wenn die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung der Brutalität der rassistischen Übergriffe ablehnend gegenüber stand, zeigte sie doch Verständnis und Sympathie für die dahinterstehenden Weltbilder.
Die Dominanz der rechten Jugendkultur zeigt sich im Osten Deutschlands insbesondere in den Plattenbausiedlungen der Großstädte und den ländlichen Regionen. Dort sind Neonazis nicht nur der bestimmende Faktor, die daraus entstandene rechte Hegemonie unter Jugendlichen macht es anderen schwer, sich ihr zu entziehen. In die cliquenartigen Zusammenhänge von Neonazis sind auch Jugendliche integriert, die zwar AnhängerInnen des rechten Lifestyles sind, sich jedoch nicht mit nationalsozialistischer Ideologie identifizieren. Diese Jugendlichen werden oftmals nicht als rechts(radikal) wahrgenommen, da sie sich teilweise anderen Jugendkulturen (Stilen) zugehörig fühlen. Die Entwicklung von einer an die Identifizierung als rechter Skinhead gebundenen Jugendkultur hin zum Mainstream und zu einem Lifestyle unter dem Motto: »Wir sind deutsch und rechts« ermöglicht die Integration anderer kultureller Stile, von Techno bis Death-Metal. Deren entscheidender Identitätsfaktor ist das Bewußtsein, zu etwas wie einer »völkischen Avantgarde« zu gehören. Dieser Avantgardeanspruch wird von den einzelnen rechten Cliquen militant durchgesetzt. Dabei geht es nicht um die gesellschaftliche Provokation, sondern um das Sichern und Ausweiten des eigenen Territoriums gegen - entsprechend der rechten Ideologie - als »minderwertig« angesehene Menschen. Das Okkupieren von Jugendeinrichtungen, Kneipen etc. gehört ebenso dazu. Dabei besteht bezüglich der eroberten Klubs und Kneipen gar kein Bedürfnis, diese zu besuchen, zumal das Kulturangebot zumeist als anders oder gar feindlich angesehen wird. Dieses Handeln dient einzig und allein dem Ausbau der eigenen Vormachtstellung, der eigenen kulturellen Dominanz.
Der rechte Lifestyle hat sich im Osten Deutschlands auf die jeweils nachwachsenden Kinder und Jugendlichen übertragen, da ihnen von den älteren rechten Gruppen und Cliquen vorgelebt wurde, wie sie sich durchzusetzen haben und daß jegliches Abweichen vom rechten Lifestyle gefährlich wäre. Gerade diese nachwachsenden, oftmals weit jünger als 16 Jahre alten, »Jungrechten«, machen einen Großteil des rechten Gewaltpotentials aus. Die Dominanz von Rechten in ihrem Dorf, in ihrem Wohnbezirk und der daraus resultierende Drang dazuzugehören, führt oftmals dazu, daß sie sich durch besonders brutale Aktionen hervortun. Das bedeutet nicht, daß diese Jugendlichen nicht wüßten, was sie tun. Nein, das ist ihnen nur zu gut klar, doch diese Taten sind in vielen Fällen weniger Ausdruck einer direkt politisch motivierten Handlung, als vielmehr eines alltäglichen und kollektiven Handlungsschemas. Sie wurden Bestandteil der Lebensart und Alltagskultur des rechten Lifestyle, losgelöst von Unrechtsbewußtsein oder etwaigen moralischen Erwägungen. Ebenso sind sie Ausdruck des Elite- bzw. Avantgardebewußtseins, eben jene zu sein, die den, in ihren Augen existierenden, »Volkswillen« der Deutschen durchsetzen.
Vor diesem Hintergrund sind beispielsweise die Morde an Frank Böttcher in Magdeburg und Jana Georgi in Saalfeld zu bewerten. Gerade in Ostdeutschland zeigt sich, daß entgegen der landläufigen Meinung Neofaschismus keines hohen Organisierungsgrades bedarf, um Ausstrahlungskraft zu erhalten. Die Überlegungen, es müßten nur alle neofaschistischen Organisationen zerschlagen werden und das Problem wäre gebannt, erweisen sich zunehmend als falsch, denn Neofaschismus ist in Ostdeutschland momentan eine Kulturbewegung mit Tendenz zur sozialen Bewegung mit einer organisierten politischen Komponente und nicht umgekehrt.
An diesem Punkt lassen sich Unterschiede in der Ausrichtung der rechten Bewegung in den alten und neuen Bundesländern feststellen. In Westdeutschland ist Neofaschismus eher noch an Vereinen, Parteien und festen Gruppen orientiert, die ihre Ziele ideologisch klarer umreißen und ihre politischen Bemühungen meist stark an der medialen Aufmerksamkeit und möglichen Wahlteilnahmen ausrichten. Im Osten fällt jedoch zuerst die starke Gewalt- und Militanzorientierung und das kulturelle und ideologische Dominanzstreben auf. Die Szene ist dort zudem vielmehr in der Jugend verankert und orientiert sich mehr an ihrem kulturellen Umfeld.
Auffällig werden diese Unterschiede im Zusammenhang mit dem momentanen Aufschwung der NPD/JN, die ihre Basis vor allem im Osten Deutschlands hat. Ihre Faszination für die Neonazis im Osten erlangt sie nicht durch ein Parteiprogramm oder die Möglichkeit zur festen Mitgliedschaft. Ihre Fähigkeit, Massenerlebnisse zu bieten, macht sie interessant. Das Erleben der eigenen Stärke bei Konzerten, aber eben vor allem auf der Straße, bei Anlässen wie in München, Passau oder Leipzig sind wichtiger Identifikationspunkt für die extreme Rechte. Insofern bedingen sich rechte Jugenddominanz und organisierte politische Gruppen wie die NPD gegenseitig. Ohne die breite Basis wären Neonaziaufmärsche in der Dimension von München etc. nicht möglich, doch ohne diese Anlässe würde die weitere Politisierung der rechten Jugendkultur erschwert.
Seit mehreren Jahren ist zu beobachten, daß sich die rechte Jugendkultur im Osten Deutschland in vielen Regionen zum Mainstream entwickelt hat, sie hat die Transformation von einer Subkultur zu der dominierenden kulturellen Orientierung von Jugendlichen abgeschlossen. Das bedeutet, daß für Jugendliche, die sich nicht dieser Dominanzkultur anpassen wollen, die Situation schwieriger und gefährlicher wird. Sie werden bedroht, angegriffen, ausgegrenzt. Vielerorts kann von einer kulturellen Hegemonie der Rechten gesprochen werden, deren Einfluß nicht auf Jugendliche begrenzt ist. Auch ältere Generationen verfügen oftmals über ein rechtes bzw. rassistisches Weltbild, sie zeigen Verständnis bis Sympathie für die Weltanschauung ihrer Sprößlinge. Auch wenn die militanten Aktionen nicht unbedingt gutgeheißen werden, so werden sie lieber verharmlost und weggeredet.
Das gesellschaftliche Klima im Osten Deutschlands wird rauher, es verschiebt sich immer weiter nach rechts. Trotz allem gibt es noch etliche Menschen, die sich nicht in den rechten Mainstream integrieren wollen, die aber lieber wegsehen und schweigen. Der Einfluß, den die NPD/JN mittlerweile innerhalb der rechten Bewegung hat, ist nicht zu unterschätzen. Sie hat es als erste Organisation geschafft, die sehr heterogene rechte Jugendkultur für sich zu begeistern und massiven Einfluß auf sie auszuüben. Somit kann sie auf eine relativ große Basis zurückgreifen, die aber sicherlich entgegen den Wünschen der NPD-Kader nicht total auf die NPD einzuschwören ist.
Momentan ist dieses Spektrum für die NPD nicht nur leicht mobilisierbar, sondern läßt sich auch noch kontrollieren und disziplinieren. Sollte die NPD nicht mehr in der Lage sein, Massenveranstaltungen zu organisieren und vielleicht aus wahltaktischen Überlegungen heraus ihre Radikalität einbüßen, wird sich die Basis nicht unbedingt weiter an der NPD orientieren.
Angesichts der beschriebenen Situation stehen AntifaschistInnen vor dem Problem, verstärkt mit einer undurchsichtigen Szene, die sich viel auf kulturelle und soziale Bindungen, anstelle fester Parteistrukturen stützt, konfrontiert zu sein. Unsere bisherigen Konzepte, immer nach organisierten Strukturen zu suchen, die Verantwortlichen an die Öffentlichkeit zu zerren und politischen Druck zu erzeugen, kommen an diesem Punkt kaum weiter. In einem Stadtteil wie Magdeburg-Olvenstedt nach den für die neofaschistischen Übergriffe verantwortlichen Neonazistrukturen zu fahnden, dürfte sich schnell als sinnlos erweisen.
In den Regionen, in denen es keine antifaschistischen Strukturen gibt, erschöpfen sich unsere Interventionsmöglichkeiten ohnehin sehr schnell. Gegen eine rechte Jugenddominanz von außen zu demonstrieren kann allenfalls die antifaschistischen Strukturen vor Ort stärken, wobei abzusehen ist, daß ein solcher Erfolg nur von sehr kurzer Dauer ist. Eine Jugendkultur läßt sich nicht wegdemonstrieren.
Mit der kulturellen Vorherrschaft der Rechten haben sich im Osten Gesellschaft und staatliche Institutionen bestens arrangiert. Eine liberale Öffentlichkeit fehlt nahezu völlig. Um die extreme Reproduktionsfähigkeit der rechten Jugendkultur und ihre damit einhergehende Dominanz zu durchbrechen, scheint es sinnvoller, eine Politik der kleinen Schritte zu betreiben. Die Situation ist viel zu verhärtet, als daß mit kurzfristigen Erfolgen gerechnet werden könnte. Die weitere Stärkung antifaschistischer Strukturen und vor allem einer linken kulturellen Alternative vor Ort, schafft die Freiräume, die es ermöglichen könnten, den rechten Aufschwung zurückzudrängen. Dazu bedarf es aber langfristiger Konzepte, die nicht am eigenen Szene-Tellerrand enden und einer genauen Analyse der regional oft sehr unterschiedlichen Situation.