Skip to main content

Wahl in Sachsen-Anhalt 1998: DVU sahnt ab

Einleitung

Mit einer finanziellen Investition von etwa drei Millionen Mark, rassistischen Parolen und ohne eine einzige Wahlkamfveranstaltung erreichte die DVU bei den Landtagswahlen am 26. April 1998 in Sachsen Anhalt rund 12,9 Prozent der Stimmen.

Viel hilft viel ?

Parteichef Gerhard Frey ließ rund 20.000 Plakate aufhängen, zwei Flugzeuge mit Werbebannern kreisten am Himmel und allein 1,2 Millionen JungwählerInnen erhielten DVU-Post. Es hat sich offenbar gelohnt. Mit fast 13 Prozent der Stimmen wird die DVU im neuen Landtag von Sachsen-Anhalt 16 Abgeordnete stellen. Überrascht von einem solchen Erfolg und sich wohl selbst der Qualität seiner "erstklassigen Kandidaten« (0-Ton des DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey) nicht sicher, gab der am Wahlabend in Magdeburg anwesende Frey seinen von den Medien umlagerten Schützlingen die Anordnung: »Nichts sagen!«.

Wes schwachen Geistes Kind einige von ihnen teilweise sind, offenbarte sich dann in den letzten Wochen bei den zahlreichen Interviews, welche die Abgeordneten in spe JournalistInnen gaben. So kündigte Helmut Wolf aus Sandersdorf bei Bitterfeld, künftiger Fraktionsvorsitzender der DVU im Landtag, am Dienstag nach der Wahl an, in vier Jahren werde man die Regierung stellen. Bis dahin möchte sich die DVU »als eine knallharte Opposition« profilieren, so Wolf. Auch die Äußerungen der anderen Abgeordneten zeugen von eher wenig politischer Kompetenz: Der Abgeordnete Mirko Mokry (19) aus Nachterstedt forderte das Ende staatlicher Transferleistungen nach Ostdeutschland, und der mögliche Alterspräsident des Landtages Rudi Wiechmann aus Oranienbaum rief dazu auf, keine Autos der Marken Audi und VW zu kaufen, da deren Motoren in Ungarn hergestellt werden. Beim Thema »Kriminalität« - deren Bekämpfung die DVU vehement fordert -, weisen einige DVU-Abgeordnete eine besondere Form der "Kompetenz" auf. Der schon erwähnte Helmut Wolf soll seine Ex-Frau mit einer Pistole bedroht und ein neunjähriges Mädchen mißhandelt haben; ein Verfahren gegen Mirko Mokry wegen Hakenkreuz-Schmierereien wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Phantom Wahlkampf

Wie schon aus anderen Bundesländern bekannt, führte die DVU auch in Sachsen-Anhalt ihren Wahlkampf ohne landespolitischen Bezug. Alle Wahlkampfmaterialien kamen aus der Parteizentrale in München und wurden über ein Postfach in Halle an der Saale vertrieben. Die Koordination des Wahlkampfes erfolgte nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden von einem Büro im Raum Halle/Merseburg aus. WahlkampfhelferInnen wurden wahrscheinlich auch über die Abonnentenliste der "National Zeitung" angeworben.

Flächendeckend wurden Parolen wie »Diesmal Protest wählen!«, »Arbeitsplätze meist für Deutsche« und »Laß Dich nicht zur Sau machen!« geklebt bzw. auf Flugblättern verteilt. Außerdem bediente sich die DVU der Daten der Einwohnermeldeämter. So bekamen beispielsweise alle Jung- und ErstwählerInnen einen Standardbrief zugesandt. Nur in Dessau verweigerte der SPD-Bürgermeister die Herausgabe der Meldedaten an die DVU. Deren Versuch, die Herausgabe gerichtlich einzuklagen, scheiterte.

Öffentliche Veranstaltungen während des Wahlkampfes fanden nicht statt - nach DVU-Angaben aus Sicherheitsgründen, wahrscheinlich aber, um Skandale im Zusammenhang mit dem Auftreten von abschreckend aussehenden Neonazi-Skins bzw. linken Protesten zu vermeiden. Selbst der Landeswahlparteitag fand außerhalb der Landesgrenzen in Niedersachsen statt.

Die DVU in Sachsen-Anhalt ...

ist faktisch nicht existent. Nach Angaben des Verfassungsschutzes hat die Partei in Sachsen-Anhalt nur etwa 50 aktive Mitglieder. Der Landeschef war Dieter Haubach und die Parteiarbeit ein Stammtisch in Halle. Nach eigenen - weit übertriebenen - Aussagen sind es 1.500 Mitglieder, zu denen täglich etwa 100 hinzukommen würden. Die Partei verfügt bislang über keinerlei arbeitsfähige Strukturen und war in der Zeit vor dem Wahlkampf nicht in der Öffentlichkeit präsent. Noch 1994 konnte die DVU nur in Halle den Kandidaten Holger Keilholz aufstellen, der mit 0,25 Prozent scheiterte.

Kaum eine/r der zukünftigen Abgeordneten um Wolf, Mokry, Wiechmann, Dieter Kannegießer (Halle), Veronika Brandt (Körbelitz), Wofgang Buder (Stendal), Jörg Büchner (Halle), Rudi Czaja (Wolfen), Kerstin Helmecke (Magdeburg), Werner Kolde (Drübeck), Horst Mertens (Schopsdorf), Torsten Miksch (Merseburg), Horst Montag (Magdeburg), Gunther Preiss (Stendal), Claus-Dieter Weich (Magdeburg) und Claudia Wiechmann (Kakau) hat eine politische Biographie im rechtskonservativen/neofaschistischen Spektrum oder überhaupt Erfahrung mit politischer Arbeit.

Nur Rudi Wiechmann saß bereits für die FDP im Kreistag des Kreises Gräfenhainichen und war dort Fraktionsvorsitzender. Der DVU-Kandidat Eberhard Lehnert aus dem Saalkreis war früher CDU-Mitglied und erklärte schnell sein Landtagsmandat lieber doch nicht annehmen zu wollen.

Es darf insgesamt bezweifelt werden, daß die Abgeordneten zu einer ernsthaften Ausschuß- oder Parlamentsarbeit in der Lage sind oder diese leisten werden. Allerdings ist der DVU-Reisekader und DVU-Wahlkampfleiter Heinrich Gerlach als erfahrener DVU-Politiker und eine Art "Polit Profi" vor Ort. Seine Politkarriere begann er bei einer "neonazistischen Bande", später wurde er Führer der NPD-Jugend in NRW bis er gar als NPD-Geschäftsführer benannt wurde.

Vielleicht machen eher Skandale um "Vetternwirtschaft" bald Schlagzeilen. Mirko Mokry soll angeblich versuchen seiner Mutter einen Job bei der DVU zu verschaffen. Die Tochter von Rudi Wiechmann, Claudia Wiechmann, gehörte ganz offiziell auch der DVU-Fraktion im Landtag an.

Allerdings erhält die Partei nicht destsotrotz im Landtag eine nicht zu unterschätzende Öffentlichkeit für ihre rassistischen Parolen

Einschätzung

In Sachsen-Anhalt führte diese Art des Wahlkampfes zum Erfolg. Die Größe des Erfolges dürfte auch daran liegen, das REPs und NPD keine ernsthafte Konkurrenz aufbauen konnten. Allein in den Wahlkreisen Dessau 11 und Wölfen erhielt die Partei 17,5 Prozent der Stimmen. Auch in den Großstädten Halle und Magdeburg erreichte die DVU ca. zehn Prozent Wählerinnenanteil. Unter den Jung- und ErstwählerInnen im Alter von 18 bis 24 Jahren wurde die DVU mit 28 Prozent gar stärkste Partei.

Dieses Ergebnis ist Ausdruck der in Ostdeutschland zur "Normalität" gewordenen rechten bzw. rassistischen Grundeinstellung von vielen Jugendlichen. Diese Wählerinnenschicht wählte die DVU bewußt wegen ihrer rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Inhalte. Der Erfolg bei vielen älteren WählerInnen ist neben "Alltagsrassismus" auch die Polemik »gegen die da Oben« und die Autforderung, »Protest zu wählen!« zurückzuführen. Für diese Schicht sind die bürgerlichen Parteien nach wie vor vertraute Adressaten ihres politischen Willens, die allerdings mittels »Protest-Wahl« unter Druck gesetzt werden sollen. Bei dieser Wahl wurde dafür das Angebot der DVU genutzt.

Die DVU ist nicht wie der französische FN eine Partei, die wegen ihres Programms gewählt wird oder weil WählerInnen ihr die Lösung von bestehenden bzw. empfundenen Problemen zutrauen. Diese WählerInnen votierten damit nicht für einen radikalen Politikwechsel im Sinne einer »nationalen Revolution«, wie die NPD sie anstrebt. Während die PDS von Protest-WählerInnen trotz ihrer - von Ausnahmen abgesehen - vor allem historisch ausgerichteten antifaschistischen Politik gewählt wird, entscheiden sich die WählerInnen für die DVU eher wegen ihrer rassistischen Inhalte - unter Ausblendung der offenen faschistischen und revanchistischen Ausrichtung der Gesamtpartei. Allein mit den Inhalten der "National Zeitung" wären im Unterschied zu den Wahlkampfparolen der DVU breite WählerInnenschichten wahrscheinlich nicht zu gewinnen. Dies gilt allerdings nicht - wie oben beschrieben - für die Gruppe der JungwählerInnen.

Nach der Wahl kündigte der Landesvorsitzende der DVU Berlin, Olaf Herrmann, in einem Fernsehinterview beim MDR an, daß die DVU in Sachsen-Anhalt mit dem Aurbau von Jugendstrukturen beginnen wollen. Außer dem unternimmt die Partei jetzt den Versuch, in allen Wahlkreisen »Bürgerberatungsbüros« zu eröffnen. Im Anschluß daran sollen dort entsprechend handlungsfähige Kreisverbände entstehen.

Das Wahlergebnis der DVU in Sachsen-Anhalt ist insgesamt gesehen Spiegelbild der spezifisch ostdeutschen Gemengelage aus rassistischer Grundstimmung, Ostalgie, Arbeitslosigkeit und der Dominanz rechter Jugendkultur sowie dem Scheitern der westdeutschen Gesellschaftskonzeption im Osten. Eine »zivilgesellschaftliche« Pufferzone gegen das offene Auftreten von Neonazis und ihrem kulturellen Umfeld - wie sie im Westen eine vor Ort oft funktionierende Linke und die restliberale Öffentlichkeit darstellen - existiert im Osten nur ansatzweise in den größeren Städten.