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CDU-Schönbohm: »Sprich deutsch!«

Einleitung

Die Debatte um Integration und Abgrenzung der in Deutschland lebenden »Ausländer« in diesem Sommer war mehr als nur ein Wahlkampfthema der CDU/CSU. Sie kann den Auftakt zu einer langfristigen, prinzipiellen Kampagne bilden. Ausgelöst hat sie Jörg Schönbohm, Berlins Innensenator, durch seine Forderungen, Ausländer sollten durch deutsche Sprachkenntnisse ihre »Integrationswilligkeit« beweisen; »Ghettos« gelte es aufzulösen. Im Mittelpunkt steht dabei die größte Gruppe: die türkischen ImmigrantInnen.

Foto: Christian Ditsch

Jörg Schönbohm (Bildmitte) versucht auf einem Kreuzberger Wochenmarkt dem Berliner Fernsehsender SFB seine Positionen zu erklären.

Die Äußerungen Schönbohms gehen auf ältere Debatten zurück. Wie in der Frage des Asylrechtes sind auch in diesem Falle Diskussionen, die im ultra-rechten Lager seit 15 bis 20 Jahren diskutiert werden, über den rechten Rand der Union langsam in die Partei eingedrungen. Seit längerem werden sie hier - im Zusammenhang mit der langfristig angelegten »Werte«-Debatte der Union - diskutiert. Zu meinen, daß hier »bloß« rechte Stammtische bedient werden, verharmlost insofern die Angelegenheit. Tatsächlich geht es um die Konstruktion einer neuen Form des »Deutschtums«.

KritikerInnen werden dabei in äußerst aggressiver Form angegriffen. Auch in den Methoden bedient sich Schönbohm dabei jener Provokationstaktik und Begriffsumdeutungsstrategie, die die sogenannte »Neue Rechte« seit längerem entwickelt hat: »Brand-Sätze«, begriffliche Zeitbomben, werden gezündet, bei der kalkulierten öffentlichen Empörung inszeniert man sich dann als ungerechtfertigt angegriffener Demokrat, der nur ganz unverkrampft seine Gedanken ausspreche und von der fiesen »PC-Diktatur« unterdrückt werde. An Schönbohm verblüfft indessen die ausgesprochene Aggressivität der »Gegenangriffe«. Nachdem ihn Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, in erfreulich offener Weise kritisiert hatte, veröffentlichte der Innensenator einen Artikel, der zu Unrecht als Rückzug gewertet wurde. Tatsächlich ging Schönbohm über seine Position insofern hinaus, als er in die Generalattacke noch gleich »die Linke« mit einbezog, die mit einem ideologischen Begriff von Multikulturalität die »sachliche« Debatte und politische Steuerung des Problems bewußt verhindere. Er dagegen sei ein an sachgerechten Lösungen ganz unideologisch interessierter Politiker, der sich eben den Realitäten stelle. Schönbohm kann sich dieses Vorgehen schon deswegen leisten, weil er als Innensenator unangezweifelte »Führungsstärke« zeigt. In der CDU und auch in der Großen Koalition ist er in fachlicher Hinsicht hochangesehen, da man seine - z.T. als "inkompetenten" angesehenen- Vorgänger noch allzu gut in Erinnerung hat. Das er Vize-Präsident des ultra-rechten "Studienzentrum Weikersheim" ist wurde kaum thematisiert. Auch seine Anbindung an neu-rechte Kreise ist kaum bekannt. Im November 1997 stellten Heimo Schwilk und Ulrich Schacht den (z.T. neu-rechten) Publizisten-und Journalisten-Kreisen im Deutschen Dom in Berlin ihr Buch "Für eine Berliner Republik" vor. Die Laudatio hielt hierbei Jörg Schönbohm. Laut Presseberichten sollen hierfür auch der rechte Historiker Ernst Nolte und der ultra-rechte Funktionär Hans Ulrich Pieper erschienen sein.

Umkehrung der 'Schuld'

Die Debatte ist nicht einfach die Fortsetzung der bisherigen Politik der Union. Noch in der Asylkampagne war man peinlich darum bemüht, die ausländische Wohnbevölkerung aus dem Konflikt herauszuhalten. Unter Integrationspolitik verstand man in der Bundesrepublik über Jahre das Problem, das »Ausländer« damit haben, sich in einer fremden Gesellschaft zurechtzufinden. Dementsprechend wollte man die Integration erleichtern - in der Schule, durch Sprachunterricht, durch kulturelle Aktivitäten zum gegenseitigen Kennenlernen, durch wirtschaftliche Förderung. Die Logik, die dahinter steckte, lautete: Ausländer haben ein Problem, sich zu integrieren. Man muß ihnen dabei helfen, ohne von ihnen völlige Assimilation zu fordern. Diese Problemstellung ist seit der neuen Debatte exakt umgekehrt.

Gegenwärtig stellt die Politik die Frage so: Ausländer machen ein Problem bei der Integration. Sie wollen sich nicht integrieren. Verlangt wird Assimilation. Die 'Schuld' liegt nicht mehr in der Undurchlässigkeit der gesellschaftlichen Mehrheit. Schuld sind nun die Ausländer. Von sachlichen Argumenten ist die Diskussion dabei weitgehend frei; sie knüpft an alltägliche, unhinterfragte Wahrnehmungen an. Beispielsweise werden vermutlich auch einige AIB-LeserInnen der Auffassung zunächst zustimmen, innerhalb der türkischen Bevölkerung sei eine Tendenz zu Abschottung und eine Hinwendung zum Fundamentalismus gegeben. Setzt man aber kritische Maßstäbe an, so wird diese Wahrnehmung sofort schief. Eine Studie der Ausländerbeauftragten zeigt, daß die Gruppe, die zu Abschottung und zum Fundamentalismus neigt, eine Minderheit darstellt. Der Trend geht - beispielsweise in der Berufswahl, in Werten und kulturellem Verhalten, in der Wahl des Wohnumfeldes und auch bezüglich binationaler Partnerschaften und Ehen - für die Berliner TürkInnen in die genau entgegengesetzte Richtung. Allerdings mag sich die Minderheit radikalisieren und ist vielleicht nach 40 Jahren im Straßenbild auch deutlicher wahrzunehmen. Die Mehrheit der TürkInnen will sich integrieren, jedoch ohne ihre unterschiedliche kulturelle Herkunft zu leugnen.

Es ist die deutsche Mehrheit, die sich in zunehmend aggressiver Weise abschottet. So nimmt etwa der Berliner Mittelstand seine Kinder aus den Schulen der Innenstadtbezirke oder verläßt diese Bezirke gleich vollständig. Schaut man aber in die relativ »deutschen« Bezirke Ostberlins, so erkennt man, daß die Vernachlässigung der Innenstädte mit dem ausländischen Bevölkerungsanteil gar nichts zu tun hat - abgesehen davon, daß eben in Berlin ein türkisches Proletariat gewachsen ist, dem im Osten ein deutsches entspricht. Zugleich entsteht aber ein florierender türkischer Mittelstand, der seinerseits aus den bisherigen Quartieren herausdrängt - sofern man ihn denn läßt. Um einen Bezirk verlassen zu können, muß man in den besseren Bezirken auch mit dem Namen Öztürk eine Wohnung finden und Nachbarn gewinnen können, die einen nicht schneiden. Die Ballung türkischer BewohnerInnen und entsprechender Infrastruktur in bestimmten Quartieren ist eine logische Folge der Immigration und an sich unproblematisch - diese Viertel lösen sich in aller Regel früher oder später auf. Mit »Ghettobildung« hat das gar nichts zu tun. AntirassistInnen weisen darauf hin: Ghettos bilden immer die Mächtigen, sie sind Zwangsmaßnahmen der Herrschenden bzw. des Staates.

Die Verkehrung der Begriffe in ihr genaues Gegenteil ist das charakteristische Merkmal der gegenwärtigen Debatte. So auch, wenn die CSU den Begriff »Gastrecht« verwendet. Gastrecht ist eine uralte, gewissermaßen »heilige« und damit unantastbare Einrichtung, die den Fremden mit Rechten ausstattet und den Gastgeber verpflichtet. Was die CSU meint, aber sich nicht zu sagen traut, ist der Begriff des »Fremdenrechtes«, der den Fremden bestimmter Ansprüche berauben soll und zum nur geduldeten Außenseiter macht, von dem ständiges Wohlverhalten erwartet wird.

Die Logik dieser Debatte läuft auf eine immer stärkere Radikalisierung der Positionen heraus. Innerhalb der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Strukturen können die TürkInnen die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen, ob sie wollen oder nicht. Bleibt der Trend ungebrochen, so wird früher oder später die Frage noch ganz anders gestellt werden: Die AusländerInnen machen dann nicht mehr Probleme, sie sind das Problem. Assimilation ist ausgeschlossen, nur Absonderung kann »Lösungen« bringen.

Sprache und Kultur - Grundkategorien der Völkischen

Tatsächlich ist die Debatte eine völkische, denn sie kreist um die Grundkategorien der deutsch-völkischen Bestimmung dessen, was das Eigene und das Fremde sei. Am Beginn der antisemitischen Debatten des 19. Jahrhunderts steht ebenfalls die Debatte um Sprache und Kultur. Bis heute bestimmt das »blutsrechtliche« Staatsbürgerschaftsrecht für die osteuropäischen »deutschen Volksgruppen«, daß ihre Angehörigen als Deutsche gelten, wenn sie:

- deutscher Abstammung sind
- sich zur deutschen Sprache bekennen
- sich zur deutschen Kultur bekennen.

Sprache und Kultur - das sind zentrale Begriffe der völkischen Politik in Deutschland, wobei Kultur ein wertender, aber nicht sinnvoll eingrenzbarer Begriff ist. Derzeit wird er an den »Werten des Abendlandes« festgemacht im Gegensatz zum Islam. Der Kulturkampf bezieht sich auf Symbole, die denen der Jahrhundertwende sehr ähnlich sind: Dürfen Moscheen gebaut werden? Dürfen rituelle Tierschlachtungen vorgenommen werden? Unter welchen Bedingungen dürfen Muslime in den Staatsdienst übernommen werden? Aber kann sich denn eine solche Sicht am Ende des 20. Jahrhunderts überhaupt durchsetzen? Zeigt nicht die öffentliche Reaktion auf Schönbohm, daß die demokratische Gesellschaft der Bundesrepublik sich nicht auf solche Ausgrenzungen festlegen läßt? Wer die Stimmung in der Bevölkerung aufmerksam beobachtet, der wird eine große Bereitschaft feststellen, pauschale Urteile über die hier lebenden TürkInnen zu treffen. Diese Tendenz reicht weit bis in die Linke hinein und betrifft nicht nur die Berichterstattung der "die tageszeitung" (taz). Auch in antifaschistischen und sogar antirassistischen Kreisen macht sie sich bemerkbar. Z.B. werden angebliche oder tatsächliche Erfahrungen mit »Türken« - und nicht etwa: mit proletarischen jungen Männern - hochstilisiert, der Minderheit als Ganzes angelastet, nicht weiter hinterfragt. Aus der Kritik sexistischer Verhaltensweisen wird die Kritik »der Türken«. Durch die Verknüpfung mit der Offensive gegen eine vermeintliche islamistische Gefahr in Deutschland wird der Konflikt unüberschaubar. Im Juli 1998 wurde gerichtlich bestätigt, daß eine muslimische Lehrerin mit Schleier eine Gefahr für ihre SchülerInnen darstelle.

Im Berliner "Der Tagesspiegel" konnte man dann am 26.7.1998 den Brief einer Kreuzberger Diplom-Politologin lesen, die aus feministischer Argumentation heraus den Schleier als Mittel der Unterdrückung von Frauen brandmarkte, anschließend aber schrieb: »Hier sollte das ewige, undifferenzierte 'Gelaber' über die multikulturelle Gesellschaft aufhören bzw. den hier lebenden Ausländern einmal abverlangt werden, daß auch sie multikulturell denken, handeln und leben können. Sie sterben daran nicht! Vor alleinaber sollte damit aufgehört werden, jede Minimalforderung an Ausländer mit ausländerfeindlichem Verhalten gleichzusetzen(...) wo bleiben [die] Fürsprecher, wenn unsere Töchter an den Schulen sie brauchen?«.

Ein »Ausländerproblem«

Auch die KritikerInnen Schönbohms gestehen zu, daß es ein »Ausländerproblem« gebe - ein Problem der mangelnden Integrationsbereitschaft der AusländerInnen. Gegen reale Angebote zur Integration sperrt sich die Mehrheitsgesellschaft allerdings zunehmend. Die CDU/CSU blockiert wirksam die Anerkennung der Realität: daß Deutschland ein Einwanderungsland war, ist und bleiben wird. Die entscheidenden Auseinandersetzungen der kommenden Jahre in diesen Fragen werden auf dem Feldern der Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes und der juristischen Fixierung Deutschlands als Einwanderungsland geführt werden. Der Union gelingt es aber, von diesen Fragen abzulenken und mit der Umkehrung der Problemstellung Breschen bis tief in die Linke hinein zu schlagen. Denn die Bereitschaft zu einem Konsens in der Ablehnung der TürkInnen ist erstaunlich groß.

Für die AutorInnen stellt sich die Frage "Wie können wir als Linke reagieren?" Wir sind eher ratlos. Schon bei der Verteidigung des Asylrechtes haben wir versagt. Welche Strategien können wir nun dieser Tendenz entgegensetzen? Zunächst und vor allem gilt es, sich bewußt zu machen, daß auf diesem Feld eine der zentralen Auseinandersetzungen der kommenden Jahre ins Haus steht. Wir stehen hier am Anfang und müssen dringend Handlungsmöglichkeiten diskutieren und entwickeln.