Hooligans im neuen Aufschwung, Neonazis mischen mit.
Fußball-WM in Frankreich 1998. Nach dem Spiel BR Deutschland - BR Jugoslawien am 21. Juni 1998 in Lens verprügelten deutsche Hooligans den Polizisten David Nivel. Zur Zeit läuft der Prozeß gegen die beteiligten Hooligans Frank R., Andre Z., Tobias R., Christopher R. (Berlin) und Daniel K. vor einem Gericht in Essen. Der Prozess gegen den Haupttäter Markus Warnecke ("Maxe") aus Hannover soll in Frankreich stattfinden. Ein Jahr nach dem Angriff ist das Thema »Hooligans« wieder auf der Tagesordnung der Innenpolitiker und der Medien. Zeit also, um auf neue Entwicklungen und Tendenzen in der deutschen Hooliganszene einzugehen
Randale in Offenbach
»Offenbach ist schockiert und ratlos«, titelte die Frankfurter Rundschau am 15. Mai, zwei Tage nach den Krawallen rund um die Fußball-Regionalliga-Partie Offenbacher Kickers gegen Waldhof Mannheim.
Bereits seit Wochen wurde dem Datum in der bundesweiten Hool- undNeonazi-szene entgegengefiebert. Auf den Rängen des Bieberer Bergs und in den umliegenden Straßenzügen lieferten sich Hooligans aus mehreren Bundesländern, aus Österreich und der Schweiz eine Straßenschlacht mit der Polizei. Sowohl auf Offenbacher wie auch auf Mannheimer Seite mischten Neonazis tatkräftig mit.
Allein in der für ihre neonazistischen Tendenzen bekannten Mannheimer Truppe waren ca. 100 klar erkennbare Neonaziskins auszumachen. So war auch Ronnie R. von der „Anti Antifa Saarpfatz" und Herausgeber des Neonazi-Fanzines „Süd-West Wind" vor Ort. Unter den Offenbachern befand sich neben einer Reihe Neonaziskins aus dem Umland auch die Clique um Lars Schultz aus dem Blood & Honour-Milieu. Er ist Betreiber des Bieberer Neonaziladens CD-Room, mittlerweile umbenannt in Wayward. Hierbei konnte die interessante Beobachtung gemacht werden, daß der (Ex-) CD-Room offensichtlich als offizieller Ausstatter der »Rechten« unter den hiesigen Hools und Skins fungiert - auffallend viele Schläger des Offenbacher »Mobs« trugen Klamotten der Neonaziskin-Kult-Band Screwdriver, für die Lars Schultz mit seinem Skrewdriver Services Deutschland die Verkaufsrechte besitzt.
Auf Mannheimer Seite scheinen eher die »modischen« Kreationen aus dem Sortiment des Ludwigshafener Sturm-Versandes gefragt zu sein, der vom ebenfalls anwesenden Blood&Honour-Neonaziskinhead und Mannheim-Hooligan Christian Hehl betrieben wird.
Dies läßt zum einen darauf schließen, wie eng die Anbindung von Neonazis an einen Teil der Hooliganszene ist und zum anderen darauf, wie Schultz und Hehl ihre Geschäftsaktivitäten finanzieren.
Die Betroffenheit in Offenbach, vor allem in der Vereinsführung, ob dieser Krawalle kann jedoch nur kopfschüttelnd registriert werden - wurde doch unlängst der regionalen AntifaschistInnen als rechter Aktivist bekannte Frank F., Sohn des Republikaner-Funktionärs Bert-Rüdiger F., zum Stadion-Ordner am Bieberer Berg befördert.
Die SPD hat unterdessen angekündigt, die Geschehnisse vor dem Innenausschuß zur Sprache zu bringen, jedoch - wie sollte es anders sein - ausschließlich unter dem Aspekt der »Inneren Sicherheit«. Das ungenierte Auftreten der Neonazis innerhalb der Hooliganszene wird weiterhin kein Thema sein. 1
Neonazis mischen mit
Dabei bieten Stadien und die Hooligan-Szene den Neonazis in Zeiten staatlicher Repression einen Freiraum und Erlebniswelt zugleich. Letzteres gilt insbesondere für die westlichen Bundesländer. Hier kann man sich ungestört überregional und regelmäßig treffen. Eine Isolierung der Neonazis ist äußerst schwierig, da sich ihnen ein unübersehbarer Teil der Hooligans sowohl optisch als auch ideologisch genähert hat. Die Übergänge sind fließend geworden.
Den Freiraum, den Neonazis in den Stadien genießen und der ihnen einen ungehinderten Zugriff auf(zunächst) erlebnisorientierte Jugendliche gibt, kann man ihnen nur schwer nehmen.
Die neue Entwicklung innerhalb der Hooligan-Szene beschreibt die AG »Hooligans als der radikale Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung« beim 3. Bundesweiten Fan-Kongreß/Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF): »In den verschiedenen Städten gibt es unterschiedlich starke Hooliganszenen. Diese sind nur in Einzelfällen identisch mit dem 'harten Kern' rechtsextremer Fans. Tendenziell ist das auf den ersten Blick 'Unpolitische' der meisten Hooligans häufig aber eher nationalistisch und rechts. (...) Von der sozialen Herkunft des größten Teils der Hooligans kann von einem Mittelschichtsübergewicht gesprochen werden. Dies gilt aber insbesondere für die Älteren, über 25jährigen. Bei den Jüngeren ist mittlerweile eine Tendenz der Herkunft aus sozial schwächeren Schichten und Leuten in prekären Arbeitsverhältnissen konstatierbar. Gerade die Jüngeren sind es häufig, die sich noch weniger an den (vorgeblichen) Ehrenkodex halten als ihre älteren 'Vorbilder'.«2
Nicht wenige Hooligangruppen stellen in »ihren« Stadien Machtfaktoren dar, was ihnen eine hohe Integrationskraft und neue Möglichkeiten verschafft. So werden sie beispielsweise auch von seriösen Veranstaltern als Ordnerdienst für Open-Air-Festivals oder Diskos angeheuert und teilweise - im Rahmen sozialpädagogischer Programme - als Stadionordner eingesetzt. Die Neonazis, die dort mitmachen, werden über dieses Trittbrett zu Respekts- und Integrationspersonen.
Die Schauplätze der Aufeinandertreffen von Hooligans waren meist die Bundesligastadien der 1. und 2. Liga oder Treffpunkte in deren unmittelbarer Umgebung. Durch die Zunahme repressiver Maßnahmen seitens der Vereine (Stadionverbote) und der Polizei (Meldeauflagen, Ingewahrsamnahmen) wurde es für die Hools immer schwieriger, geeignete Terrains für ihre »Matches« zu finden. Des weiteren wird durch die fortschreitende Kommerzialisierung des Profifußballs das Bundesligastadion als Treff- und Sozialisationspunkt von Jugendlichen und Jungerwachsenen immer unattraktiver.
Die Folge davon ist, daß sich starke Hooligangruppierungen in den Stadien der Amateurligen bilden. Bei den Spielen der Amateurklassen kommt es daher in den letzten Jahren vermehrt zu Ausschreitungen und Übergriffen. Dabei ist zu beobachten, daß sich in den jeweiligen Hooliganszenen sowohl rechte Tendenzen als auch organisierte Rechte breit machen. Die vom »klassischen Hooligan« vertretene Position, daß Politisches nur als Provokation eingesetzt wird, ist bei den derzeitigen Entwicklungen nicht mehr zu halten. Gerade bei Hooligans aus dem Osten ist eine starke Tendenz zu Neonazi-Positionen zu verzeichnen. Diese beschränkt sich nicht mehr nur darauf, dumpfe rechte Parolen einfach nur nachzubrüllen, sondern äußert sich in einem verankerten nationalistisch- autoritären Weltbild der jugendlichen Besucher.
Dies versuchen sich rechte Parteien und Organisationen zunutze zu machen, um neue Mitglieder zu rekrutieren und Propagandamaterial zu verteilen. So kam es beim Berliner Pokalfinale zwischen dem BFC Dynamo und Türk Spor zu rassistischen Sprechchören und nach dem Schlußpfiff zu Jagdszenen auf die türkischen Spieler. Doch auch in westdeutschen Städten ist ein Anwachsen der rechten Gruppierungen zu registrieren. So sind traditionell bei Hertha BSC aus Berlin viele Boneheads und NPD-Parteigänger anzutreffen. Im Berliner Olympiastadion wurde vor der letzten Bundestagswahl verstärkt durch NPD und REPs Werbung betrieben. Im Laufe dieser Kampagne solidarisierte sich die NPD mit dem zurückgetretenen Bundestrainer Vogts, da dieser auf die »deutschen Tugenden« im Sport Wert gelegt hätte.
Auch der Hamburger HSV hat mit einer größeren Gruppe Neonazi-Skinheads zu kämpfen, die sich auf den Rängen trifft und agitiert. Und natürlich existieren weiterhin klassische Hooligan-Gruppierungen, die bei attraktiven Spielen versuchen, die »dritte Halbzeit« zu bestreiten.
Auch wenn es übertrieben wäre, von festen Neonazi-Strukturen in den Stadien zu sprechen, so ist die jüngste Entwicklung alles andere als beruhigend. Ob jedoch sozialarbeiterische und repressive Maßnahmen alleine ausreichen, um dem Trend entgegen zu wirken, ist mehr als fraglich. Der Fanladen St.Pauli fordert vom DFB und den Bundesligavereinen, ihre Fanstrukturen so zu stärken, daß die Fans selbst in die Lage versetzt werden, sich der Tendenz, das Fußballstadion als rechte Agitationsfläche zu gebrauchen, zu erwehren. Die weitere Entwicklung von Hooliganstrukturen in den Stadien wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es derartige Ansätze geben wird.
Ein Beispiel hierfür, das von BAFF bundesweit zur Nachahmung empfohlen wird, ist die von der Schalker Faninitiative vorgeschlagene und im Dezember 1994 verabschiedete Satzungsänderung bei Schalke 04. Dort heißt es in §2 (Zweck und Aufgabe des Vereins): »Die soziale Integration ausländischer Mitbürger soll gefördert werden.« Und in §4 Absatz 4 (Ende der Mitgliedschaft): »Der Ausschluß aus dem Verein kann erfolgen (...) bei unehrenhaftem Verhalten innerhalb oder außerhalb des Vereins, insbesondere durch Kundgabe ausländerfeindlicher oder rassistischer Gesinnung.«
Lens und die EM 2000
Daß mit sicherheitspolitischen Maßnahmen allein nicht verhindert werden kann, daß Hooligans aufeinandertreffen, zeigt nicht zuletzt der Vorfall in Lens. Hier gab es offenbar auch gewisse Planungen von Seiten bundesdeutscher Neonazihools.
So hatte der Siegener Bärensturm, dessen führende Köpfe der NRW-Verfassungsschutz der Sauerländer Aktionsfront (SAF) zurechnet, per Internet zum »Frankreichüberfall« eingeladen und Mitfahrgelegenheiten zum Spiel nach Lens angeboten, da dort "Gerüchten zufolge serbische und englische Hooligans kroatischen und deutschen Froinden der 3ten Halbzeit Paroli bieten und sie zerschlagen wollen."3 Die Gruppe entstand aus der rechten Fangemeinschaft des Fußballvereins Siegener Bären. Als ihre Anführer gelten Martin Sch. und John Karol M.
Schon ab nachmittags waren in Lens am 21. Juni 1998 Sprüche wie »Wir sind wieder einmarschiert« und »Deutschland den Deutschen« unter den deutschen Hoolgruppen zu hören. Als die Auseinandersetzungen mit der französischen Polizei begannen, skandierte eine Gruppe von ca. 70 - 80 Neonazihools »Hier marschiert der nationale Widerstand«4 Trotz klarer Hinweise auf eine Neonazi-Koordinierung in Lens, ist es im Prozeß bisher nicht gelungen, dies zum Thema zu machen.
Auch bei der EM 2000 in Belgien und Holland ist mit verstärkten Hooligan-Aktivitäten zu rechnen. Sicherlich ganz vorne mit dabei: Die deutschen Hooligans, die schon vor Lens beispielsweise bei den deutschen Länderspielen in Rotterdam im April 1997 und in Zarbze in Polen im September 1998 mit massiven rechten und antisemitischen Parolen auftraten. Ob sich der Trend auf regionaler Ebene, daß Neonazis und Hooligans zusammen agieren, bei diesem internationalen Turnier weiter fortsetzt, bleibt abzuwarten.
St.Pauli als Feindbild
Gerade Spielpaarungen gegen den FC St. Pauli waren und bleiben für Hools und Neonazis willkommene Anlässe, um sich zu treffen und die Auseinandersetzung zu suchen. Die Fans des FC St. Pauli sind bei Heim- und Auswärtsspielen Ziel von rechten Provokationen und Übergriffen. Sie werden als »Zecken«, beschimpft und mit dem Lied »Wir bauen eine U-Bahn, von St. Pauli bis nach Auschwitz« begrüßt. So bald der FC St. Pauli ein Spiel bestreitet, mobilisiert die örtliche rechte Szene zu diesem Spiel und ist im Stadion anzutreffen.
Höhepunkt dieser Entwicklung war das Spiel FC St. Pauli - VFB Leipzig am 1. Mai 1998. Unter den Leipziger Fans befanden sich ca. 300 Neonazis, die mit Hitlergruß und Reichskriegsflagge aufmarschierten. Die NPD soll zu diesem Spiel sogar Freikarten verteilt haben.
Auch bei einer Demo von Fans des FC St. Pauli und des HSV gegen »Hooliganismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in allen Stadien« nach dem Benefizspiel FC St. Pauli - HSV im Juli 1998, kam es zu einem Aufmarsch von Hooligans und Neonazi-Skins, die versuchten, gemeinsam die Demonstration anzugreifen.
In Cottbus wurde das Spiel von Hools und Neonazis dazu benutzt, um anschließend eine multikulturelle Begegnungsstätte anzugreifen und die Scheiben eines Hamburger und Berliner St. Pauli-Fan-Bus zu zerstören. Das übliche Maß an Beschimpfungen wird immer mehr durch praktische Angriffe abgelöst. Durch den Aufstieg der Amateure des FC St. Pauli in die Regionalliga und den Verbleib der Profis in der 2. Bundesliga ist mit dem Auftreten massiver Hool- und Neonaziskingruppen bei den Spielen zu rechnen. Da die Überschneidungen und Kooperationen zwischen den beiden Gruppierungen in letzter Zeit immer mehr zunehmen, ist die Ausgangslage für die Saison 1999 - nicht nur bei Spielen des FC St. Pauli - alles andere als beruhigend.