Skip to main content

"Blood & Honour" in Offenbach

Einleitung

Bereits im Artikel »Verdeckte Kaderstrukturen und subkultureller Rassenkrieg« im Antifaschistischem Infoblatt (AIB) Nr. 34 wurde beschrieben, wie sich die unter Druck geratene Neonaziszene bemüht, ihre Aktivitäten unter kulturellem Deckmantel fortzusetzen und auszuweiten. Die sich ergänzenden Vernetzungs- und Organisierungsmodelle der "Hammerskins" und der "Blood & Honour"-Bewegung, die den harten Kern der Neonaziskinheads sammeln, basieren auf dem Prinzip des »führerlosen Widerstandes« und integrieren sich zusehends in das Untergrund-Netzwerk des "White Aryan Resistance" (WAR).

Bild: Faksimile

Lars Schultz (links) und Michael Hansen (rechts) posieren als "Brutal Attack Security".

Vor dem Hintergrund des Polizistenmordes des "Weißer Arischer Widerstand" (WAW)-Aktivisten Kay Diesner aus Berlin sind diese Zusammenhänge plötzlich Thema und selbst der Verfassungsschutz zeigt sich alarmiert von der wachsenden Bedeutung der neonazistischen Jugendkultur und von der Strategie der "Blood & Honour"-Bewegung, »Ideologisierung über Musik« zu betreiben. Doch derartige Warnungen verhallen, wenn es den "Blood & Honour"-Neonazis möglich ist, völlig ungestört ihre Infrastruktur auf- und auszubauen.

Ein Paradebeispiel zeigt sich im Offenbacher Stadtteil Bieber, vor den Toren von Frankfurt/Main. Das sich eine (zumindest für Westdeutschland) nicht unwesentliche Struktur des "Blood & Honour"-Netzes in Offenbach-Bieber konzentriert, läßt sich recht einfach erklären. Es hängt sicher nicht damit zusammen, daß ihre »Macher« mit besonderen Fähigkeiten gesegnet wären oder daß es dort eine außergewöhnlich starke rechte Jugendszene gäbe. Der Grund hierfür ist schlicht und einfach, daß sich dort zwei recht umtriebige Neonazis aus den Kreisen der "Blood & Honour"-Bewegung eingerichtet haben und bislang große Narrenfreiheit genießen konnten. Die Rede ist von Lars Schultz und Michael (»Mike«) Hansen. Beide können recht »szenetypische« Werdegänge vorweisen. Sie gehören seit vielen Jahren der Neonazi-Skinhead-Szene an, schufen sich vielfältige Kontakte, konnten sich darüber profilieren und rückten Schritt für Schritt in der Hierarchie nach oben.

Lars Schultz fiel 1990 das erste Mal auf, als er in einschlägigen Publikationen T-Shirts mit ebenso einschlägigen Motiven zum Kauf anbot. 1996 eröffnete er in Bieber den Plattenladen "CD-Room", der als überregionaler Treffpunkt von Neonaziskinheads und als Umschlagplatz von neo-nazistischer Musik dient. Dies umso mehr, nachdem Lars Schultz Ende 1996 von Alexander Heinig aus Stuttgart den "Screwdriver Service Deutschland" übernahm und seitdem für den Vertrieb der Platten und Merchandise-Produkte der (aufgelösten) "Blood & Honour"-Kultband, der britischen RechtsRock Band "Screwdriver", zuständig ist.

Über Michael »Mike« Hansen wird berichtet, das er bereits 1986 - damals in Neu-Isenburg bei Offenbach - versucht haben soll eine Ortsgruppe der neonazistischen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) aufzubauen, was er dann aber wohl nach massivem antifaschistischem Widerstand wieder ad acta legte. Seit Anfang der 1990er Jahre gilt er als Mitveranstalter von Neonazi-Skinhead-Treffen in Offenbach, über die das AIB schon 1994 (Ausgabe Nr. 28) berichtet hatte. Bereits damals war die an Beihilfe grenzende Ignoranz der Offenbacher Polizei erkennbar. Angesprochen auf das Treffen von über 250 Neonazis, die u.a. aus Frankreich anreisten, berichtete die Polizei von einer »Technoparty« mit »80 bis 90 Teilnehmern«, die »nicht dem rechtsextremen Umfeld zuzurechnen« gewesen seien.

Zu dieser Zeit baute Hansen den "Brutal Attack Services" auf - den Deutschland-Service der britischen "Blood & Honour"-Gründerband "Brutal Attack" auf, dem heute eine zentrale Bedeutung zukommt. Denn als im September 1993 der "Screwdriver"-Sänger Ian Stuart Donaldson bei einem Autounfall ums Leben kam, verlor die Bewegung ihre Identifikationsfigur. Paul Burnley, Sänger der RechtsRock-Gruppe "No Remorse", wurde als dessen Nachfolger auserkoren, doch durch seine »Popstar«-Allüren und über politische Differenzen geriet er in Mißkredit. Deshalb wird zur Zeit Ken McLellan, Frontmann von der Neonazi-Band "Brutal Attack" und häufiger Gast in Bieber, als »lebende Legende« und Thronerbe Ian Stuarts aufgebaut. Die Aufwertung, die der "Brutal-Attack-Service" des Michael »Mike« Hansen dadurch erhält, dürfte sich natürlich auch bei den Umsatzzahlen bemerkbar machen.

1996 eröffnete in Bieber das Tätowier-Studio "Skin-Art", das nur wenige Schritte vom "CD-Room" entfernt ist. Der Betreiber bewegt(e) sich in den Neonazi-Kreisen um Schultz und Hansen und sein Tattoo-Studio könnte eine weitere Anlaufstelle des "Blood & Honour"-Milieus im Stadtteil werden.

Mit den Neonazi-Fanzines "Äbbelwoi Exbress" von Stefan Werth, "Brutal Attack" von Michael Hansen und der RechtsRock-Band "Chaoskrieger" von Markus Beuth und Timo S. sind noch weitere neonazistische Skinhead-Projekte im Stadtgebiet angesiedelt.

Daß ihr Einflußbereich und somit ihre Möglichkeiten vor Ort doch ziemlich begrenzt sind, mag ein Grund sein, warum sich die Bieberer Neonazis eher in taktischer Zurückhaltung üben. Daß sie ihren Freiraum und ihre sehr einträglichen Geschäfte nicht gefährden wollen, darf als zweiter Grund angenommen werden. Auffällig ist ihr Bemühen, das "Kulturelle" in den Vordergrund zu stellen und sich dem eher unpolitischen Umfeld betont offen zu zeigen. Darüber konnten sie beispielsweise in Teilen der Offenbacher Heavy-Metal-Szene und unter "Böhse-Onkelz"-Fans eine gewisse Akzeptanz erreichen.

Mittlerweile scheinen sich Schultz und Hansen zu höherem berufen zu fühlen. Im September letzten Jahres sollen sie hinter der Organisation eines Konzertes mit den RechtsRock-Band "Ultima Thule" und der nationalistischen OI-Band "Midgars Söner" aus Schweden in Offenbach gestanden haben. Das Konzert wurde schließlich abgesagt, nachdem der geplante Veranstaltungsort von AntifaschistInnen beschädigt wurde und der Pächter seine Zusage daraufhin zurückzog. Ein weiteres Konzert ist für Anfang April 1997 geplant. In Dreieich, Landkreis Offenbach, soll ein Großkonzert u.a. mit den RechtsRock-Bands "Brutal Attack" und "Squadron" stattfinden.

Antifaschistinnen aus dem Rhein-Main-Gebiet haben bereits ihren entschiedenen Widerstand angekündigt. Im Moment läuft eine Informationskampagne, die die Bieberer Neonazis aus ihrer Anonymität herausholen und antifaschistischen Widerstand initiieren soll. Mit der Ruhe in Bieber scheint es vorerst vorbei zu sein.