Proteste gegen die Aktionärsversammlung der IG-Farben
"Bündnis gegen IG Farben"Bereits seit vielen Jahren organisieren ehemalige ZwangsarbeiterInnen in Zusammenarbeit mit dem Auschwitz Komitee, der VVN und kritischen AktionärInnen Proteste vor der jährlich in Frankfurt am Main stattfindenden Hauptversammlung der IG Farben in Auflösung (i.A.). Erstmalig beteiligten sich in diesem Jahr auch die Frankfurter Antifa G, Teile der Antifaschistischen Aktion/BO und andere antifaschistische Gruppen an der Organisierung der Proteste.
Die Aktiengesellschaft besteht seit nunmehr 53 Jahren. Sie ist offizieller Nachfolger des vom Nürnberger Tribunal als »wahrscheinlich größtes Sklavenunternehmen der Geschichte« bezeichneten IG FARBEN Konzerns. Der 1946 ausgesprochene Auftrag, sich aufzulösen, wird beständig ignoriert, und die Aussicht auf Liquidation bleibt ein Lippenbekenntnis. Statt dessen wird Firmenpolitik gemacht, so wurde z.B. die Rückgabe ehemaligen Ostvermögens angestrengt. Inzwischen versucht die IG Farben i.A., die Schweizer Bankgesellschaft UBS zur Rückzahlung von umgerechnet 4,4 Milliarden DM zu bewegen. Realistische Chancen mit dieser letzteren Forderung erfolgreich zu sein, hat das Unternehmen zwar nicht, dennoch wird die Erfüllung der Entschädigungsforderungen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen von diesen Rückzahlungen aus der Schweiz abhängig gemacht. So wird die diesjährige Ankündigung einer Entschädigungsstiftung zynischerweise an den Erfolg der aussichtslosen Transaktion geknüpft.
Nachdem die Jahreshauptversammlung im letzten Jahr mehrmals verschoben wurde, fand nun am 25. März 1999 die Versammlung vom Vorjahr statt. Während die Gesellschaft in den vergangenen Jahren immer erhebliche Schwierigkeiten hatte, geeignete Räumlichkeiten zu finden, löste dieses Jahr die Stadt Frankfurt dieses Problem, und sorgte für eine schnelle Durchführung, indem sie eine Stadthalle im Vorort Bergen-Enkheim zur Verfügung stellte. VertreterInnen des bundesweiten "Bündnisses gegen IG Farben" führen dieses Zugeständnis sowie auch das massive Polizeiaufgebot maßgeblich auf die Ankündigung der Stiftungsgründung zurück.
Bereits im Vorfeld hatte die Polizei den angemeldeten Demonstrationsplatz genau vor der Stadthalle abgeriegelt. Man wolle die »gewaltbereiten« von den »friedlichen« DemonstrantInnen »selektieren« sagte der Einsatzleiter. Ca. 250 Menschen demonstrierten auf der Straße vor dem Haupteingang. Außerdem stellten sich Gruppen von je 20 bis 40 Menschen den vereinzelt auf die vier Nebeneingänge ausweichenden AktionärInnen in den Weg. Ziel war es, den Beginn der Versammlung so lange wie möglich zu verhindern. Mehrmals kam es zu rabiaten Einsätzen der offenbar auf Eskalation bedachten Einsatzkräfte gegen DemonstrantInnen, unter denen sich auch eigens aus Frankreich, England und Polen angereiste Überlebende befanden. Nur durch das gewaltsame Eingreifen der Polizei war es den Aktionären möglich, in die Halle zu gelangen. Einzelne Aktionäre ließen es sich dabei nicht nehmen, den Auschwitz-Überlebenden Hans Frankenthal als »dreckige Judensau« zu bezeichnen.
In der Stadthalle befanden sich letztendlich ca. 150 Aktionäre, aber auch dort bekamen sie den Protest der IG Farben GegnerInnen zu spüren. Hans Frankenthal forderte die Aktionäre auf, das Unternehmen sofort aufzulösen und das gesamte Vermögen für die Entschädigungszahlungen zur Verfügung zu stellen. Transparente wurden entrollt, Stinkbomben flogen. Außerdem wiesen kritische Aktionäre auf den just in der Nacht vorher beginnenden Kriegseinsatz in Jugoslawien hin und forderten die sofortige Auflösung der IG Farben.
Voraussichtlich wird die nächste Aktionärsversammlung bereits dieses Jahr im August wieder in Frankfurt/Bergen-Enkheim stattfinden. Welche Protestform dann gewählt wird, ist angesichts der derzeitigen Instrumentalisierung von Auschwitz zur Kriegslegitimierung noch unklar. Ende April 1999 haben sich vierzehn Holocaust-Überlebende in einem in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten offenen Brief an Fischer und Scharping »gegen die neue Art der Auschwitz- Lüge« gewandt. Darin verurteilen sie den Mißbrauch, der mit den Opfern von Auschwitz zur Legitimation des deutschen Angriffskrieges betrieben wird. Die Überlebenden der Shoah wenden sich entschieden gegen »eine aus Argumentationsnot für ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens«. Sie fordern die sofortige Beendigung des Krieges gegen Jugoslawien.
Das Bundesweite "Bündnis gegen IG Farben" hat sich mit den Überlebenden und ihren Forderungen solidarisch erklärt und hat aus diesem Grunde gemeinsam mit der Monatszeitschrift "KONKRET" am 2. und 3. Juli 1999 eine Konferenz durchgeführt. Dort haben die UnterzeichnerInnen des offenen Briefes ihre Einschätzung der politischen Entwicklungen seit 1989/1990 und der aktuellen Situation dargelegt und in Form von Referaten und Podiumsdiskussionen die Stationen und Folgen der Deutschen Vergangenheit untersucht.