Österreich: Fest im Nazitum verwurzelt
Interview mit Karl PfeiferIn Österreich ist seit wenigen Wochen eine neue Regierung an der Macht: Das folgende Interview mit Karl Pfeifer führte das AIB kurz nach den Wahlen. Unser Interviewpartner ist Holocaust-Überlebender und Korrespondent des israelischen Radios in Österreich.
AIB: Sie haben in einem Artikel geschrieben, dass der Schlüsselfaktor für das Phänomen Haider der Nazismus sei. Welchen Stellenwert hat der Nazismus in Österreich?
Pfeifer: Der Schlüsselfaktor, das würde ich nicht so vereinfacht sagen, es gibt mehrere Faktoren: Zunächst die Geschichte Österreichs, die Tatsache, dass Österreich sich nach 1945 als Opfer desNationalsozialismus – und nur als Opfer des Nationalsozialismus – gegeben hat. Dabei will ich natürlich nicht leugnen, dass es in Österreich eine kleine Minderheit von Leuten gegeben hat, die wirklich Widerstand geleistet haben, hauptsächlich Kommunisten, aber auch aus anderen politischen Parteien, interessanterweise auch Monarchisten. Auch sie kamen in die Konzentrationslager. Aber wesentlich ist: Die Mehrheit des österreichischen Volkes war für den Anschluss. Die deutsche Armee war noch nicht einmal einmarschiert, und schon hatten die Nazis 1938 die Macht in Österreich übernommen. Man war für den Krieg, man hat sich nur einen anderen Ausgang und nicht den Zusammenbruch erträumt. Das ist die eine Komponente.
Das zweite ist, wie man mit Nationalsozialisten und dem Nationalsozialismus als Phänomen in der Zweiten Republikumgegangen worden ist – nämlich äußerst schlampig. Ernsthafte Bemühungen, die es auch gab, sind im Zuge des Kalten Kriegs verkommen zu der Geschichtsaufarbeitung, die wir die letzten dreißig Jahre beobachten mussten. Das dritte Phänomen – nur kurz angerissen – ist eigentlich das Scheitern der Sozialistischen Partei schon im Jahr 1934. Die SPÖ hat sich als ein Elefant auf Porzellanfüßen entpuppt, der zerschlagen wurde. Die Masse der SozialdemokratInnen hat mehr oder weniger den Weg in die Volksgemeinschaft gefunden. Das ist der historische Background.Dann kommen natürlich die Schwierigkeiten einer sozialdemokratisch gerührten Regierung – wir hatten seit 1970 einen sozialdemokratischen Bundeskanzler –, einem Rechtsextremisten wie Haider Paroli zu bieten.
Die SPÖ hatte nicht nur Schwierigkeiten, sich Haider entgegenzustellen; im Gegenteil: Die Sozialdemokraten haben versucht, ihm den Wind aus dem Segel zu nehmen, indem sie seine Ausländerpolitik verwirklicht haben. Heute ist Österreich das Land in der Europäischen Union, das die geringste Einwanderung hat. In Österreich gibt es einen staatlichen Rassismus, der sich sowohl in Paragraphen und behördlichen Schikanen als auch in alltäglicher rassistischer Gewalt und Erniedrigung ausdrückt, beispielsweise, wenn bei einer Razzia die Frau eines Schwarzen als »Negerhure« beschimpft wird. Das gesellschaftliche Milieu, das in Österreich vorherrscht, wird noch durch weitere Elemente geprägt: Tatsache ist z.B. auch, dass ein großer Teil unserer Bundesheeroffiziere und unserer Polizeibeamten rechtsextrem eingestellt sind. Dazu ist noch die Neue Kronenzeitung zu nennen, ein Boulevardblatt, das fast täglich Rassismus und Antisemitismus transportiert. Nur ein Beispiel aus jüngster Zeit: Eine Frage bei den Kreuzworträtseln lautete: »Wie nennt man eine Schwarze umgangssprachlich?«. Die richtige Antwort sei »Niggerin«, so die Neue Kronenzeitung. Solche Beispiele könnte ich noch endlos anführen. Jedenfalls sind es die Wählerinnen der FPÖ, aber auch der sozialdemokratischen Partei, die die Neue Kronenzeitung lesen. Wir haben fast keine Medien, Massenmedien, die in die Hände des einfachen Volkes kämen und die irgendwie aufklärerisch ausgerichtet wären.
AIB: Sie haben auch geschrieben, dass Haider im Zusammenhang mit der sogenannten »Waldheim-Kampagne« hochgekommen ist. Welche Rolle spielt Antisemitismus in der österreichischen Politik und Gesellschaft?
Pfeifer: 1986 wurde Waldheim von der konservativen, mehr oder weniger katholischen österreichischen Volkspartei mit einer antisemitischen Kampagne beworben und machte im Wahlkampf selbst antisemitische Aussagen. Natürlich ging es um die Kriegsvergangenheit Waldheims, die er während seiner Zeit als UNO-Generalsekretär verschwiegen hatte. Waldheims Leute, z. B. der spätere Außenminister Mock, machten jede Menge antisemitische Bemerkungen. Man kann sagen, dass zu diesem Zeitpunkt – im Frühjahr 1986 – der Antisemitismus gang und gäbe war. Im September des gleichen Jahres kam Haider in der FPÖ durch einen Putsch zur Macht. Schon damals sind einige Liberale aus der FPÖ ausgeschieden, die den Antisemitismus und den ganzen Hass direkt miterlebten. Diese Leute kamen selber aus einem nationalsozialistischen Milieu - die Eltern waren größtenteils Nationalsozialisten und/oder Sudetendeutsche –, aber sie haben mit ihrer Sozialisation gebrochen. Diese Gruppe von ehemaligen FPÖ-Angehörigen, die sich von Haider losgesagt haben, gehört zu den wenigen positiven Zeichen im heutigen Österreich.
Sie haben eine eigene Partei, das Liberale Forum, gegründet und einen harten Kampf gegen Haider geführt. Die Katastrophe ist, dass sie trotzdem nicht ins Parlament gewählt worden sind – vielleicht aber auch gerade deswegen. Das zweite positive Zeichen ist die Haltung der evangelischen Kirche in Österreich. Vor 1938 war sie der Hort des Nazismus in Österreich; doch dieses Mal hat sich die evangelische Kirche in Österreich als erste mit der Israelitischen Kultusgemeinde gegen die rassistische Überfremdungshetze gewandt. Eine Schande ist es, dass der katholische Kardinal, Christoph Schönborn, bis wenige Tage vor den Wahlen keine Stellung gegen den Rassismus im Wahlkampf bezog, weil er sich nicht einmischen wollte. Wenn es nach ihm oder diesen Katholiken gegangen wäre und Jesus Christus wäre nach Österreich gekommen, hätten sie ihn sofort als jüdischen Kosmopoliten, Teil der freimaurerischen Weltverschwörung, angegriffen.
AIB: Sie halten perspektivisch sogar eine Koalition der FPÖ mit der SPÖ für möglich?
Pfeifer: Ich halte das für möglich, wenn ich mir die Äußerungen führender SPÖ-Politiker anschaue. So hat beispielsweise der letzte SPÖ-Innenminister Karl Schlögel erklärt, die Grünen und das Liberale Forum seien schuld an den ausländerfeindlichen Emotionen, weil sie im Fall Markus Omofuma protestiert haben. Omofuma war ein Schwarzer, der mit drei Polizisten aus Österreich abgeschoben und im Flugzeug von diesen drei Polizisten erstickt wurde. Karl Schlögel sagte auch: »Wenn sich die FPÖ vom Rechtsradikalismus distanziert, dann wäre doch eine Mitarbeit möglich.« Ich denke, dass kein Ereignis in Europa klarer vorhersehbar war als der Erfolg der FPÖ in Österreich. Ich habe 1996 in meinem Buch folgendes geschrieben: »Unaufhaltsamer Anstieg Haiders? – Haider wird seine Politik der Destabilisierung der Republik fortsetzen. Die Frage ist, ob die beiden größten Parteien SPÖ und ÖVP aus ihren Fehlern lernen und ob eine Front von Demokraten geschaffen wird, die den Aufstieg des rechtsextremistischen Politikers Haider verhindert. Noch ist Österreich ein sozial stabiles Land mit einer hohen Lebensqualität. Was aber würde geschehen, sollte es zu einer Wirtschaftskrise kommen.« Nun, rückblickend kann man sagen, dass es nicht zu einer Wirtschaftskrise gekommen ist, und Haider trotzdem so dasteht, als ob er die Macht übernehmen könne. Diese Entwicklung zeigt auch, dass vulgär-marxistische Erklärungen nicht greifen.
AIB: Wie dämmen wir einen Flächenbrand ein, der vom Erfolg Haiders angefacht, auf andere Länder übergreifen kann?
Pfeifer: Es gibt natürlich auch Kräfte in der Sozialdemokratischen Partei, die sehr unzufrieden waren mit dem, wie die SPÖ überhaupt Politik betrieben hat. Um Karl Marx' Kritik aus den Feuerbach'schen Thesen zu zitieren: »Die Philosophen haben die Welt erklärt, worauf es ankommt, ist, sie zu verändern.« Der Sozialdemokratischen Partei Österreich ist nicht einmal das gelungen, was den Philosophen gelang: Die Welt zu erklären. Sie haben sich geweigert, irgend etwas zu erklären; sie haben nur versucht, die zähnefletschende Gemütlichkeit ihres Bundeskanzlers zu verkaufen. Das ist vollkommen fehlgeschlagen. Jetzt gibt es in der Sozialdemokratischen Partei doch Kräfte, die sich eine Auseinandersetzung mit Haider wünschen. Der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler verspricht das auch, nur widerspricht er sich selbst, wenn er dann eine Imagekampagne machen will und pauschal den WählerInnen von Haider bestätigt, dass sie ja in Ordnung sind – und leugnet, dass die WählerInnen erwachsene Leute sind, die es besser wissen müssten.
Alle Erklärungen Haiders über die Waffen-SS sind durch die österreichischen Medien gegangen, man hat das gewusst. Wenn die Leute ihn trotzdem gewählt haben, dann ist es ja nicht so, dass man ihnen bescheinigen muss, sie wüssten nicht, was sie da tun. Sollte sich Haider doch allen Bemühungen zum Trotz völlig durchsetzen, was ich nicht hoffe, dann würden diese gleichen Leute in ein paar Jahren sagen: »Das haben wir nicht gewusst, das haben wir nicht gewollt!« Das haben wir nach 1945 schon einmal gehört. Es ist ein beliebtes Spiel in Österreich, zu sagen: »Das haben wir nicht gewollt, das haben wir nicht gewusst«. Genau wie das Karl Renner, unser berühmter damaliger Staatskanzler, der erste Bundespräsident Österreichs, im August 1945 formuliert hat. Er hat zu den Beamten des österreichischen Staates gesagt: »Was wollten schon diese kleinen Nationalsozialisten, diese kleinen Beamten, diese kleinen Geschäftsleute? Höchstens, dass man den Juden was tut, die wollten doch keinen Weltkrieg!« Und jetzt wird es dann heißen, dass man höchsten den Ausländern etwas tut... Das dynamische Element, mit dem jetzt mobilisiert wird, ist der Rassismus - so wie es bei den Nationalsozialisten der Antisemitismus war. Es handelt sich nicht um Ausländerfeindlichkeit oder Xenobophie, das sind alles Beschönigungen. Das ist einfach als Rassismus zu beschreiben. Und für mich ist es auch eine semantische Diskussion, wenn man fragt, ob Haider wirklich ein Neonazi sei. Haider ist zutiefst im Nazitum verwurzelt, er hat sich zwar davon halbherzig distanziert, in Wirklichkeit aber ist er mit einer Nabelschnur mit Rechtsextremisten und Holocaustleugnern verbunden.
AIB: Vielen Dank für das Gespräch