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Antifaschismus in Österreich Zwischen Angst, Resignation und Provokation

Österreich-Korrespondenten des AIB
Einleitung

Zum zweiten Mal – nach Italien 1994 – übernahm nun in EU-Europa eine rechtsextreme Partei Regierungsverantwortung. Am 4. Februar kündigte Präsident Klestil eine Koalitionsregierung der beiden 27-Prozent-Parteien FPÖ und ÖVP an. Dieses Kabinett von Haiders Gnaden mußte in unterirdischen Geheimgängen zum Staatsakt gelotst werden – am Platz vor dem Regierungssitz entlud sich massenhaft die Wut über dieses Bündnis mit dem Rechtsextremismus. Während die militanten Proteste noch kurzerhand als das Werk »linksextremer Terroristen« abgetan wurden, treffen die verhängten Sanktionen der 14 EU-Länder und zahlreicher anderer Staaten die Alpenrepublik ins Mark.

Bild: flickr.com/almodozo; habeebee/CC BY-NC-ND 2.0

Der Wiederholungstäter Österreich, dessen 1986 gewählter Präsident Waldheim während seiner Amtszeit nur vom Papst, Kanzler Kohl und arabischen Despoten empfangen wurde, ist neuerlich politisch isoliert. Und weil der Rassismus und Antisemitismus im Allgemeinen und die FPÖ im Besonderen für einen Großteil der Österreicherinnen längst salonfähig sind, fühlen sich diese wieder mal als Opfer. Auf der Basis eines fehlenden Unrechtsbewußtseins, welches schon die kollektive (Nicht)Wahrnehmung der NS-Greuel determinierte, gedeihen prächtige Verschwörungsmythen. Die Paranoia der kleinen Leute in einem – wie jetzt dauernd betont wird – kleinen Land wächst gegenwärtig ins Grenzenlose. Sie paart sich mit einer Bunkerstimmung, geschürt durch mediale Kriegsmetaphern wie »Erstschlag« (des Auslandes) oder »Gegenangriff« (Österreichs). Wie immer in Zeiten nationalistischer Mobilisierung kennen Regierung, Präsident und Boulevard auch gegenwärtig keine Parteien, sondern nur »Österreicher«. Haider verlangte von diesen, sie müssten nun »wie ein Mann« gegen das Ausland zusammenstehen. Tatsächlich versichern sie sich und der Welt mit geradezu zwanghaftem Eifer, keine Nazis zu sein.

Erwartungsgemäß fallen die Reaktionen von RechtsextremistInnen auf die Auslandskritik an der freiheitlichen Regierungsbeteiligung aus. Haider selbst entlarvte »hohe Funktionäre der jüdischen Gemeinde in Wien«, welche versucht hätten, »beim State Department in Washington gegen uns Stimmung zu machen« , als Drahtzieher. Das Zentralorgan der FPÖ sieht die Hauptverantwortung bei einer »intemationale(n) Allianz, die sich unter dem politisch korrekten Diktum des Antifaschismus freundlich für die Gelegenheit bedankte, die unbedarfte kleine Republik auf der großen Bühne der Weltpolitik zum jeweils eigenen Vorteil zu instrumentalisieren.« Die regierungsnahe Wochenzeitung Zur Zeit (ZZ), Österreich-Ableger der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit, widmet der ausländischen Kritik an der FPÖ/ÖVP-Koalition gar eine Sondernummer. Schon in der Einleitung werden die »Hintergründe« der gegenwärtigen Kampagne aufgedeckt, nämlich »der alte Deutschenhaß, der auf dem kleinen Österreich abgeladen werden kann, und jüdisch-israelische Ambitionen, einen Buhmann zu haben, um weitere finanzielle Forderungen zu legitimieren«. Haider-Berater und ZZ-Chefredakteur Andreas Mölzer sieht Österreich als Opfer der altbekannten antideutschen (d.h. bei ihm wohl »jüdischen«) Verschwörung. So hält er es für »bequem, das kleine Land zu prügeln, wenn es darum geht, die Deutschen insgesamt bußfertig und zahlungsbereit zu halten.« Mit dem Bild des »häßlichen Deutschen« könne »man Wahlkämpfe in New York führen wie Hillary Clinton und Milliarden lukrieren wie Rechtsanwalt Fagan.« In Österreich geht es seit jeher zunächst gegen Jüdinnen und Juden, wenn sich das »Volk« als Gemeinschaft der Verfolgten feiert. Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, wies bereits unmittelbar nach den Wahlen auf das wachsende Aggressionspotential der Antisemitinnen hin: So hätten mit der FPÖ-Agitation gegen »Überfremdung« antisemitische Drohbriefe und Pöbeleien rapide zugenommen. Weil er dafür explizit die FPÖ verantwortlich machte, wurde er von Haider umgehend verklagt.

Klagen, denunzieren und verbieten

Das Androhen und Einbringen von Klagen war während der Bewegungszeit der FPÖ ein beliebtes Mittel zur Einschüchterung ihrer KritikerInnen. Im Angesicht des feindlichen und bedrohlichen Auslandes kommt Kritik an Haider und seiner Partei heute der Status des »Vaterlandverrates« zu. Wie gehabt reagiert die parlamentarische Opposition darauf mit dem Verweis auf ihren »besseren« Patriotismus. Aus Sorge um Österreich, dessen Wohlergehen die ÖVP ihrem Machtstreben geopfert habe, spricht sie sich gegen die neue Regierung aus. Dass die FPÖ/ÖVP-Koalition einer breiten Stimmungslage entspricht, wird geflissentlich übersehen. Gerade die massenhafte Verbreitung von Rassismus, Antisemitismus und Autoritarismus gerät seitens der parteiförmigen Konkurrenz nicht in den Blick. Vielmehr nimmt auch sie die Haider-WählerInnen vor der ausländischen Kritik in Schutz: Beim FPÖ-Anhang handle es sich mehrheitlich nicht um Rechtsextremistinnen, sondern bloß um kurzfristig fehlgeleitete Unzufriedene.

Überhaupt wird das ganze Ausmaß des Dilemmas erst in den Reaktionen des »anderen Österreichs« deutlich. So befürchtet Grünen-Chef van der Bellen nicht etwa ein Aufbrechen des rassistischen und antisemitischen Potentials, sondern »negative Auswirkungen für Österreich als Handelsplatz«. Dennoch muss sich die Opposition einiges anhören: Um den inneren Frieden besorgte Freiheitliche und Konservative fordern ein »Abrüsten der Worte« und meinen damit ein Schweigen über den rechtsextremen Charakter der FPÖ. Deren Klubchef Westenthaler verlangte bereits, es »sollte keine weitere Mobilisierung der Straße mehr geben«. Kanzler Schüssel wünscht, dass nach der Großdemo vom 19. Februar »wieder Ruhe einkehre«. Dabei übersieht er den Wert einer derartigen Zurschaustellung des »anderen Österreichs«: Es simuliert gegenüber dem Ausland, dass die Alpenrepublik nicht mehrheitlich von einem ressentimentgeladenen Mob bevölkert wird. Die Regierung erklärte aber in ihrem autoritären Eiferalle Proteste zur »Gewalt der Straße«, welche zum Verstummen gebracht werden müsse. Die passenden Bilder dazu liefern prügelnde Polizisten, deren Opfer in den Medien als die »Gewalttäter« erscheinen. Mit ihren Distanzierungen von den Opfern der Polizeigewalt legitimiert die patriotische Opposition, die sich Demokratische Offensive oder SOS-Mitmensch nennt, die Prügeleinsätze und bestätigt die mediale Wahrnehmung von AntifaschistInnen als »Randalierer«.

Aber die Bekämpfung der linken, außerparlamentarischen Opposition soll auf Dauer nicht nur polizeilichen Schlägertrupps überlassen bleiben, sondern auch die Legislative beschäftigen. So dachte der freiheitliche Justizminister Michael Krüger, der sein Amt nach nur 25 Tagen an den Haider-Intimus Dieter Böhmdorfer abgeben musste, schon laut über eine Art »Verbotsgesetz« gegen »Stalinismus-Leninismus« nach. Die schon seit Jahren diskutierte gesetzliche Grundlage zur Bekämpfung des »Linksextremismus« dürfte nun rasch geschaffen werden. Der Kurzzeit-Justizminister führte darüber hinaus vor, wie mit oppositionellen Medien in Zukunft umgesprungen werden wird: Die Wiener Wochenzeitung Falter berichtete unlängst, dass es Rene Schimanek, Bruder des vormaligen Kaders der neonazistischen Volkstreuen Außerparlamentarischen Oppostion (VAPO) und selbst bei so manchem Kameradentreffen der Küssel-Truppe dabei, zum parlamentarischen Mitarbeiter Krügers gebrachthabe. Dieser bestätigte zwar den Sachverhalt, drohte aber dennoch mit einer Klage. Denn auch das Schreiben der Wahrheit kann ja ruf- und kreditschädigend wirken - zumindest im Ausland.

Die Geduld des Papiers

Um der ausländischen Kritik etwas Wind aus den Segeln zu nehmen, zwang Bundespräsident Klestil die Parteichefs Haider und Schüssel zur Unterzeichnung einer Präambel zum Regierungsprogramm. In dieser behauptet die FPÖ/ÖVP-Koalition, »mit Nachdruck jegliche Form von Diskriminierung, Intoleranz und Verhetzung in allen Bereichen« verurteilen und bekämpfen zu wollen. Wenn die Regierung dann gar ankündigt, sie arbeite »für ein Österreich, in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden«, lässt sich der wahre Wert dieses Papiers leicht bestimmen. Die ganze Heuchelei wird in der proklamierten Unterstützung der »Charta der europäischen politischen Parteien für eine nichtrassistische Gesellschaft« deutlich: Weigerte sich die ÖVP zuvor, der Charta beizutreten, weil sich diese explizit gegen eine Zusammenarbeit mit rassistischen Parteien ausspricht, verpflichtet sie sich nun gemeinsam mit derFPÖ – einer Partei, gegen welche sich die Charta eigentlich richtet! – deren »Grundsätze« zu verwirklichen. Darüber hinaus bekennt sich die Bundesregierung in der Präambel »zur kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit«.

Entgegen derartiger Lippenbekenntnisse gibt Mölzer als Ziel der neuen Regierung die »Überwindung des typisch deutschen und damit österreichischen Nationalmasochismus und die Gewinnung eines geläuterten, auf historischer Wahrheit beruhenden zukunftsfähigen Selbstbewusstsein des österreichischen Gemeinwesens« an. Auch das revanchistische Milieu, das schon in der Vergangenheit über gut funktionierende Kanäle in das Außenministerium verfügte, jubelt angesichts der blau-schwarzen Regierungserklärung. In dieser verspricht die Koalition, die Verhandlungen über die EU-Osterweiterung zu nutzen, um den Beitrittskandidaten eine »Vermögensrestitution« abzuringen. Entgegen aller anderslautenden Beteuerungen gegenüber der EU, wonach eine Aufnahme Tschechiens, Sloweniens und der Slowakei nicht von einer »Wiedergutmachung« abhängig gemacht werde, sehen die Volksdeutschen Landsmannschaften die Sterne für die Durchsetzung »deutscher Ansprüche« günstig stehen. War die Aufrechnung der Shoah mit den Aussiedlungen in der Bewegungszeit der FPÖ ein beliebtes Instrument zur Relativierung nationalsozialistischer Greuel, so ist sie heute Bestandteil offizieller Politik. In der Regierungserklärung werden »sachgerechte Lösungen« in der Frage nach den Entschädigungszahlungen für ehemalige ZwangsarbeiterInnen versprochen.

Die Opfer der »ordentlichen Beschäftigungspolitik« (Haider) trennt nur ein Komma von den »österreichischen Kriegsgefangenen sowie der in der Folge der Benesch-Dekrete und Avnoj-Bestimmungen nach Österreich vertriebenen deutschsprachigen Bevölkerung«, welche die neue Regierung im Gegenzug ebenfalls entschädigt wissen will. Abgesehen von einem 33-prozentigen Numerus Clausus für Kinder »nichtdeutscher Muttersprache« in Österreichs Pflichtschulen – der letzten noch nichtumgesetzten Forderung aus dem FPÖ-«Antiausländervolksbegehren« von 1993 –, trägt die Regierungserklärung eher die Handschrift der ÖVP. Aber gerade in zentralen Politikbereichen besteht ohnehin eine weitgehende Einigkeit der beiden Parteien: Der beschleunigte Abbau des Sozialstaates und Ausbau des Polizeistaates, die weitreichenden Privatisierungen, dasZurückdrängen von Frauen an den Herd, der Beitritt zur NATO über den Umweg der WEU – mit dieser neoliberalen »Modernisierungsoffensive« will sich Österreich als EU-Musterschüler profilieren. Dass sich die Regierungserklärung übrigens kaum vom nicht verwirklichten Paktzwischen SPÖ und ÖVP unterscheidet, spricht weniger für die FPÖ als gegen die heimische Sozialdemokratie.

Volks- und Betriebsgemeinschaft im Ständestaat?

Differenz zur SPÖ besteht jedoch im Bereich der Organisation des Sozialen. War schon der bisherigen Sozialpartnerschaft deren Ursprung in korporativistisch-reaktionären Modellen und Volksgemeinschaftsideologie anzusehen, weist die angedeutete neue Form der Austragung von Konflikten zwischen Kapital und Arbeit offen faschistische Züge auf. Zunächst soll es der Gewerkschaft, die laut FPÖ »in ihrer bisherigen Form (...) längst ihre Existenzberechtigung verloren (hat)«, an den Kragen gehen. Die neue Regierung plant, den Gewerkschaften das Recht, auf Makroebene Löhne auszuhandeln, weitgehend zu entziehen. Statt des sen sollen Lohn- und Arbeitszeitverhandlungen in den jeweiligen Betrieben stattfinden. Die Vorstellung vom strengen,aber gerechten »Unternehmer«, der sich mit seinen ArbeiterInnen ohne störende Gewerkschaften ins Einvernehmen setzt, entstammt der FPÖ-Programmatik und erinnert an die NS-»Betriebsgemeinschaft«. Haider selbst begeisterte sich unlängst im Interview mit dem Organ des Movimento Sociale für den faschistischen Korporativismus: Er nennt dort die ständestaatliche Organisation des Sozialen ein »Ziel, das erreicht werden soll«.

Sein Koalitionspartner wiederum verehrt immer noch den austrofaschistischen Miniführer Dollfuß, der die 1934 etablierte Diktatur ebenfalls ständestaatlich verbrämte. Gleich den Faschisten halten auch deren Nachkommen darüber hinaus die disziplinierende Kraft der Arbeit hoch: Langzeitarbeitslose sollen künftig zu »gemeinnützigen« Hilfsarbeiten gezwungen werden können. Sozialdemokratische Gewerkschaften üben sich angesichts des neuen Kurses, der allgemein als Umverteilung nach oben und Angriff auf ArbeiterInnenrechte beschrieben wird, bereits in Drohgebärden. Hatten sie vorangegangene Einschnitte ins Sozialsystem noch mehr oder weniger stillschweigend hingenommen, geben sie sich nun kämpferisch. Das allerorts gefürchtete Ende des sozialen Friedens wirft die Frage auf, was die ÖVP – und mit ihr maßgebliche Teile des Bürgertums – beim Einschwenken auf den offenen Konfrontationskurs angetrieben hat. In einer Mischung aus Selbstüberschätzung, Machtrausch und weltanschaulicher Verselbständigung rückten sie vom erfolgreichen Kurs der sozialpartnerschaftlichen und materiellen Integration ab. Das neue Integrationsmodell, in welchem die FPÖ den Part der SPÖ übernimmt, könnte sich aber als nicht minder erfolgreich entpuppen. Während es die Sozialdemokratie in der fordistischen Blütezeit vermochte, die »kleinen Leute« vorallem über materielle Transferleistungen an sich und den Staat zu binden, erfolgt die Integration nunmehr in erster Linie ideologisch. Der integrale Nationalismus hat hierbei erfolgreich den Sozialpatriotismus abgelöst. War letzterer noch bestimmt von positiver Identifikation der ÖsterreicherInnen als Bürgerinnen eines neutralen, international angesehenen und wohlhabenden Staates, so dominiert bei ersterem die aggressive Abgrenzung vom Ausland.

Unter dem Schlachtruf »Österreich zuerst!« bildet Haider eine exklusive Gemeinschaft, die sich nunmehr in erster Linie negativ bestimmt. Zentrale Größen hierbei sind – aufbauend auf den jahrhundertealten antisemitischen Traditionsbestand – kollektiver Verfolgungswahn, Bunkermentalität und Rassismus.Daneben spielt Haider in der neuen Koalition die schon in der Bewegungsphase eingeübte Rolle als »Anwalt der kleinen Leute« weiter. Anstelle der Sozialdemokratie begleitet nun er den fortgesetzten Sozialabbau mit sozialen Phrasen. Damit die Demagogie in dieser Inszenierung nicht zu offensichtlich wird, trat Haider formal als FPÖ-Obmann zurück. Bereits am 12. November 1999 versammelten sich in Wien Tausende, vor allem um das ökonomische Wohl der Heimat besorgte Bürgerinnen, um gegen eine »Koalition mit dem Rassismus« zu demonstrieren. Gestört wurden sie dabei nur von einer kleinen Gruppe von AntirassistInnen, die etwa eine sozialdemokratische Spitzenfunktionärin mit Eierwürfen und einem Pfeifkonzert bedachten. Zu Recht: Es waren nämlich gerade Sozialdemokratinnen, die mit ihrer Politik als Durchlauferhitzer des Rechtsextremismus agierten. Tatsächlich gibt es kaum einen FPÖ-Vorschlag zur Eindämmung der »Überfremdung«, welcher nicht von der sozialdemokratisch geführten Koalition umgesetzt worden wäre. An diesem Punkt unterscheidet sich die blau-schwarze Regierung auch kaum von der vorangegangenen. Es überrascht nicht, wenn Haider über die (ergebnislosen) Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ berichtet, sie hätten eine Übereinstimmung in der »Ausländerfrage« an den Tag gebracht. Diese Einigkeit hat ihre Ursache nicht zuletzt in der größtenteils gemeinsamen sozialen Basis der beiden Parteien, den ArbeiterInnen. Ihr Überlaufen zur FPÖ, die mit 47% hier die meisten Stimmen erhielt, ist in erster Linie mit rassistischen Einstellungen zu erklären. Antifaschistinnen, die sich immer noch nicht von der Vorstellung des österreichischen Proletariats als potentiell revolutionäres Subjekt verabschiedet haben, müssen sich die überproportionale Zustimmung zur FPÖ unter ArbeiterInnen jedoch irgendwie erklären, ohne dass ihre Liebe zum fehlgeleiteten Klientel Schaden nimmt.

Gerne wird hier anstelle des Rassismus der soziale Abstieg als Erklärungsansatz herangezogen. Im Wählen der FPÖ äußere sich nicht vor allem eine Aggression gegen Gruppenfremde, sondern bloß eine »Unzufriedenheit«. Die Wahl erscheint als Protest gegen die für den Sozialabbau maßgeblichverantwortliche Sozialdemokratie. Als Gegenstrategie wird dann der Kampf zur Rettung des Wohlfahrtsstaates ausgerufen. Mit Günther Jacob ist demgegenüber zu fragen: »Muss man sich vor allem um die 'sozialen Mindeststandards' der 'kleinen Leute' kümmern, um sie vom Pogrom abzuhalten?« Dieser massenorientierte Flügel der Linken greift wie die rot-grüne Opposition vor allem die Regierung an und schweigt über deren Massenbasis. Hatten die linken VolksfreundInnen schon vorher Schwierigkeiten damit, den Rassismus von unten als solchen zu benennen, gerät er nun vollständig aus dem Blick. Statt dessen wird demagogisch ein Widerspruch zwischen der Regierung und dem »Volk« als deren Opfer behauptet. Einige DemonstrantInnen der letzten Tage brachten ihr theoretisches Defizit auch in Parolen wie »Wir sind das Volk« zum Ausdruck. Der linke »Widerstand« gegen die blau-schwarze Regierung, der den Rassismus nur bei der politischen Macht bekämpft, versucht vor allem mit Anti-Sozialabbauparolen massenwirksam zu werden. Unversehens findet er sich dabei in einer Front mit den sozialdemokratischen Gewerkschaften, welchen die Rolle als Stütze des institutionellen Rassismus nachgesehen wird. Schließlich treiben einige »WiderstandskämpferInnen« die Opferrhetorik noch weiter und inszenieren ihr Engagement als Kampf gegen eine Art faschistische Diktatur. Dabei orientieren sie sich an den Vorbildern aus dem patriotischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, dessen Symbol »O 5« wieder das Wiener Straßenbild prägt, und verdrängen, dass weniger die Regierung Österreich zum »Naziland« macht, als der massenhafte Antisemitismus und Rassismus. Wenn die Regierung die Kritik mit dem Verweis auf ihre demokratische Legitimität abzuwehren versucht, so kommt sie dabei der Realität näher als jene, die eine Diktatur gegen das Volk im Schafspelz behaupten.

Die Möglichkeit eines»demokratischen Faschismus«, von welchem Michael Scharang schon 1986 sprach, kommt vielen massenorientierten Linken nicht in den Sinn. Der auch von ausländischen KritikerInnen dauernd strapazierte »antitotalitäre Konsens« wird seine Wirkungslosigkeit bald offenbaren. Wenn nur der Grad der Frontstellung gegen die liberale Demokratie als Ausgrenzungskriterium genommen wird, gehört die demokratische FPÖ auch auf dem europäischen Parkett bald dazu. Einer offiziellen Problematisierung des Rassismus von FPÖ und Anhang steht die ideologische wie politische Realität Schengen-Europas im Weg. Es wird daher Aufgabe der europäischen Linken sein, die Tatsache, dass die FPÖ den ausgrenzend-repressiven Charakter der »europäischen Wertegemeinschaft« verkörpert, gegen die »Festung Europa« zu wenden. Den übrigen EU-Ländern gänzlich die Legitimation für ihr Vorgehen abzusprechen, steht zumindest der österreichischen Linken nicht zu. Tatsächlich überwiegt unter antifaschistischen EU-GegnerInnen die Dankbarkeit: Es brauchte den Anstoß von außen, um den österreichischen Normalzustand aufzubrechen. DieWahrheit über dieses Land und seine Leute musste auch vielen Linken erst von ausländischen – übrigens am wenigsten von deutschen! – Medien näher gebracht werden. Es ist wohl leicht nachvollziehbar, wie aggressiv die meisten ÖsterreicherInnen auf die Demontage ihres Selbstbildes als gemütliches Alpenvölkchen reagieren. Im Rückgriff auf die bewährten antiintellektuellen Ressentiments schüren Haider und der Boulevard diese Aggressionen gegen KritikerInnen, die als »Nestbeschmutzer« zur (zunächst gedanklichen) Verfolgung frei gegeben werden.

Viele Antifaschistinnen, die im Inland weder Interventions- noch Bündnismöglichkeiten sehen, greifen diese Stigmatisierungen nun zum Teil ironisierend auf und wenden sie positiv. In einem Akt dessymbolischen Selbstausschlusses richten sie sich direkt an das Ausland. Da im Inland die Adressatinnen der antifaschistischen Kritik weitgehend fehlen, bleibt hier nur die provokante Denunziation. Zunehmende Verbreitung finden jene Tendenzen, welche sich von jeder offenenpolitischen Arbeit verabschieden. Mit fortgesetztem linksradikalem Engagement im Inland spiele mensch sich und den anderen eine Art Normalität vor. Es sei nicht Ausdruck der hegemonialen Verhältnisse, wenn die Linke das Straßenbild Wiens prägt. Nicht immer ganz frei vonRationalisierungen der eigenen Resignation wird hier bestenfalls der Rückzug in (subkulturelle oder akademische) Freiräume angetreten. Von der inneren Emigration gehen aber bis dato nur wenige den Schritt weiter zur Äußeren. Als Option steht die Flucht – wenn auch nicht immer ohne Koketterie und Selbststilisierung – aber bereits im Raum.