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Frisst die »Wende« ihre Kinder? Die FPÖ zwischen Durchbruch und Absturz

Österreich-Korrespondenten des AIB
Bild: flickr.com; pixel0908; Wolfgang/CC BY-ND 2.0

Der FPÖ-Kopf Jörg Haider.

Mit dem Eintritt in die Regierung erreichte die FPÖ ein Etappenziel auf dem Weg zu Haiders Kanzlerschaft. Kurzfristig jedoch profitierten die Freiheitlichen nicht von der Regierungsbeteiligung. Seit einem Jahr stecken sie Niederlage um Niederlage ein. Nach den Verlusten der FPÖ bei Lokal- und Interessenvertretungswahlen folgte am 15. Oktober vergangenen Jahres bei den Wahlen in der Steiermark die bis dato größte Schlappe: Gerade einmal 12,4 Prozent der Stimmen entfielen auf die »Freiheitlichen«, was ein Minus von 4,7 Prozent bedeutet. Jedoch blieb der erwartete Rückstrom der »kleinen Leute« zur Sozialdemokratie aus. Die SPÖ verlor nach einem Anti-Sozialabbau-Wahlkampf 3,5 Prozent.

Die Steiermark-Wahl ist – auch angesichts des 11prozentigen Zugewinnes für die ÖVP – also kaum als »Protestwahl« angesichts der Sparmaßnahmen im Sozialbereich zu interpretieren. Dennoch feiert die sozialdemokratische Linke bereits die Auflösung des Bündnisses zwischen rechten Eliten und ArbeiterInnen. Auf die Tatsache, dass im Oktober 1999 47 Prozent der unselbständig Beschäftigten FPÖ wählten, reagierten viele Linke mit dem beleidigten Hinweis, dass diese »neoliberale« Partei gar nicht die Interessen der »kleinen Leute« vertrete. Als ob rationale Interessensabwägung und nicht massenhafter Rassismus und Antisemitismus sowie die Bindung an Haider bei der Entscheidung, FPÖ zu wählen, ausschlaggebend gewesen wären, appellieren die KonkurrentInnen der FPÖ an die sozial-ökonomische Vernunft der »kleinen Leute«.

Aber im hegemonialen populistischen Diskurs spielt diese Vernunft keine Rolle. An ihre Stelle tritt das soziale Ressentiment gegen »die da oben« und gegen Gruppenfremde. Somit erklären sich die FPÖ-Niederlagen – neben dem Fehlen des charismatischen Führers – aus der weitgehenden Mäßigung in der rassistischen Hetze und der national-sozialen Agitation, wie sie der FPÖ vom Koalitionspartner und dem kritischen Ausland abgenötigt wurde. Das erkennen auch die völkischen Fundis: Haider-Berater Andreas Mölzer sieht darin den »wesentlichste(n) Grund für den Absturz der Freiheitlichen«. Die FPÖ habe »in den Arbeiterbezirken (...) keine Antwort auf die Ausländerproblematik zu geben« gewusst, ja »diesekam im Wahlkampf der steirischen FPÖ vornehmerweise nicht einmal vor.«1

Gleich der FPÖ-Spitze erkennt auch Mölzer darüber hinaus in Haiders formalem Rückzug von der Parteispitze eine Ursache für die Serie von Niederlagen. Daher rät er dem Idol, sich zu »überlegen, welche radikalen Maßnahmen er innerparteilich ergreifen wird müssen, da sonst ein 15jähriges Aufbauwerk in ein, zwei Jahren vertan sein kann.«2 Tatsächlich gilt eine Rückkehr Haiders an die FPÖ-Spitze als ausgemacht. Dort soll er spätestens im Wahljahr 2003 weitere Geländegewinne des wirtschaftsliberalen Flügels verhindern helfen. Dieser Flügel konnte seine Positionen ausbauen, da ExponentInnen der national-sozialen Mehrheitsströmung von Regierungsämtern weitgehend ausgeschlossen wurden. Möglicherweise droht der FPÖ das Schicksal des Front National, dessen Spaltung sich auch als eine Trennung des national-sozialen und des neoliberalen Flügels darstellt.

Zunehmende antisemitische und rassistische Hetze

Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass die FPÖ, bestärkt durch ihren »Sieg« gegen die »Feinde Österreichs« (Haider über die 14 anderen EU-Staaten), nun alle taktischen Rücksichtnahmen ablegen wird. Gerade die anstehenden Wiener Wahlen lassen sich nur gewinnen als Kampagne gegen »Überfremdung«, »linksextremen (Tugend)Terror« und die Weltherrschaftsambitionen der »US-amerikanischen Ostküste«. Der Auftakt dieser Kampagne erfolgte am 20. Oktober 2000 in der Wiener Stadthalle. Dort bot Haider zunächst tiefe Einblicke in sein Verständnis von Versammlungs- und Meinungsfreiheit: »Wien soll endlich von den Linken befreit werden. (...) In Kärnten traut sich ja schon längst kein Linker zu demonstrieren, in Wien ist das anders.«

Im Anschluss an die FPÖ-Veranstaltung schritten einige Zuhörer zur Tat: Nachdem in der Stadthalle gegen den demonstrierenden »roten Mob« gehetzt worden war, schlugen Neonazis auf die Demonstranten ein und verletzten mehrere AktivistInnen der Sozialistischen Jugend. Überhaupt stieg die Anzahl rechtsextremistischer Straf- und Gewalttaten im vergangenen Jahr sprunghaft an, wofür sogar das Innenministerium die Regierungsbeteiligung der FPÖ mitverantwortlich macht. In der Stadthalle bezog Haider auch neuerlich Stellung zur »Wiedergutmachung«: Diese betreffe »nicht nur die in New York und im Osten, sondern vor allem auch unsere sudetendeutsche Freunde. Wir wollen uns zuerst um die eigenen Leute kümmern.«Deutlicher als je zuvor machte er aus den jüdischen NS-Opfern »die in New York« – was beim grölenden Publikum umgehend die Assoziation mit Macht und Geld hervorrief – und stellte ihnen die »Freunde« und »eigenen Leute« gegenüber. Damit schrieb er unumwunden die NS-Volksgemeinschaft fort.

Schließlich verlangte Haider »eine klare Sichtung« der ausländischen Wohnbevölkerung. Das Ergebnis dieser »Sichtung« lieferte er gleich mit: »Viel zu viele Illegale, Straftaten, Drogenhändler«. Dann präsentierte er unter dem Gejohle des Mobs auch gleich die Lösung – »eine konsequente Beseitigung«. Am Beispiel des Bewegungsrassismus lässt sich übrigens eine der hartnäckigsten Legenden entlarven, nämlich die von der Identität von Kapitalinteressen und Regierungspolitik. So verhallten alle Rufe der Industrie nach ausländischen Informatik-Fachkräften ungehört. Statt von ökonomischer Rationalität wird die Regierungspolitikgeleitet von völkischem Reinheitswahn.

Die Spitzelaffäre

Seit jeher wird Haider und sein Anhang durch das Gefühl zusammengeschweißt, von finsteren Mächten verfolgt zu werden. Die kollektive Paranoia der »echten Österreicher«, jener Hetzmasse, die sich als Opfergemeinschaft sieht, wird wohl die FPÖ den Spitzelskandal unbeschadet überstehen lassen. Die Abwehrstrategie erschöpft sich weitgehend in der Konstruktion einer groß angelegten Verschwörung. Haider nannte die Vorwürfe gegen ihn und führende FPÖ-Politiker Erfindungen »kranker Journalistengehirne«. Es tauchten bereits Inserate auf mit den Köpfen von Haider und dem Wiener FPÖ-Obmann Kabas – mit der Überschrift »Den Mächtigen im Weg«. Wen meint hier die Regierungspartei, wenn nicht jene »bekannte Macht«, die im Hintergrund die Fäden zieht?

Nicht minder deutlich der Hinweis des Kärntner FPÖ-Vorsitzenden Freunschlag: Er bezeichnete den ÖVP-Innenminister Strasser, der die Ermittlungen gegen die FPÖ-Spitze zugelassen hatte, als »Judas«. Die wüsten Angriffe auf den Innenminister und seine Beamten trieben die Koalition im Herbst an den Rand des Zerfalls, mittlerweile haben sich jedoch die Wogen geglättet. Die FPÖ vertraut wieder dem Rechtsstaat, zumal mit Justizminister Böhmdorfer einer der ihren diesem vorsteht. Böhmdorfer beteuerte zwar, in dieser heiklen Angelegenheit nicht von seinem Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft Gebrauch zu machen, stellte aber vorsorglich fest, sein Freund Haider sei für ihn »über jeden Verdacht erhaben«. Im Falle der Straffreiheit für Haider scheint die FPÖ tatsächlich bereit zu sein, ein paar Spitzenfunktionäre zu opfern, um die Koalition zu retten. Dies fällt um so leichter, als die Betroffenen ohnehin Relikte aus der Bewegungsphase darstellen und in ihrem von jeder taktischen Rücksichtnahme freien Extremismus den Bestand der »Wenderegierung« gefährden.

Jene FPÖ-KritikerInnen, die angesichts der Ausmaße der Spitzelaffäre bereits das Ende Haiders und der FPÖ feiern, übersehen ein zentrales Motiv der Haider-Inszenierung: Diese Inszenierung ist nicht nur durchzogen von Rachephantasien, sondern bricht auch mit herkömmlichen Vorstellungen von Recht und Moral. Haider muss im Kampf gegen das Unrecht bestimmte Regeln verletzen. Oder, um es in der Sprache der FPÖ zu sagen: Wer ausmistet, der macht sich schon auch mal selber schmutzig. Tatsächlich spricht Haider bereits von »Notwehr«, bei welcher es erlaubt gewesen sei, auch illegale Mittel anzuwenden. Da innerhalb der Hetzmasse nur eine der Nützlichkeit verpflichtete Binnenmoral Geltung hat, wird an ihr alle Empörung über den Rechtsbruch abprallen.

  • 1Zur Zeit 43/00
  • 2ebd.