Skip to main content

Keine Neonazi-Strukturen erkennbar? Terrortown Düsseldorf

Einleitung

27. Juli 2000, 15.05 Uhr: Am Geländer der Fußgängerbrücke des S-Bahnhofs Düsseldorf-Wehrhahn explodiert eine in einer Plastiktüte deponierte und mit dem Sprengstoff TNT bestückte Handgranate. Zehn Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, sogenannte Kontingentsflüchtlinge, sechs von ihnen Mitglieder von jüdischen Gemeinden, werden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Bild: attenzione-photo.com

Der Düsseldorfer Neonazi-Kader Sven Skoda als Redner auf einer Neonazi-Veranstaltung in Stolberg im April 2008.

Bis Redaktionsschluss ist es den Ermittlungsbehörden trotz eines hohen Aufwandes nicht gelungen, die TäterInnen zu ermitteln. Auch viele Fragen zur Vorbereitung und Durchführung des Anschlages konnten bisher nicht beantwortet werden. Da der benutzte Sprengstoff laut nicht dementierten Presseberichten aus Bundeswehrbeständen stammt, ist es allerdings höchst merkwürdig, dass diese Spur zu keinerlei Ermittlungsergebnissen geführt haben soll – zumindest sind keine veröffentlicht worden.

Staatsanwaltschaftlichen Aussagen zufolge kann auch aus den Resten des Sprengsatzes die Art des Zünders nicht bestimmt werden. Dieser hätte möglicherweise Aufschluss darüber gegeben, ob sich der Anschlag konkret gegen die zehnköpfige Gruppe, die täglich zur Tatzeit von einem um 15.00 Uhr endenden Sprachkurs kommend den S-Bahnhof erreichte, richtete. Aber neonazistischer Bombenterror richtete sich bekanntlich bisher nicht in allen Fällen gegen konkrete und verhasste Einzelne, sondern wurde oft ungezielt gegen beliebige Opfer eingesetzt, um die Ohnmacht des Staates vorzuführen und den Ruf nach einer starken Führung anschwellen zu lassen.

Fest steht, dass die Täter beim Düsseldorfer Anschlag Tote auf dem stark frequentierten Bahnhof einkalkuliert hatten. Trotz fehlender eindeutiger Hinweise wurde entgegen den üblichen Reaktionsmustern von staatlichen Stellen bereits kurz nach der Tat ein neonazistischer Hintergrund als »möglich« bezeichnet. Relativ schnell richtete sich der Blick der Öffentlichkeit auf die neonazistische Szene in Düsseldorf, die es laut zwischenzeitlich relativierten Aussagen des zuständigen Polizeilichen Staatsschutzes und des Düsseldorfer Oberbürgermeisters Joachim Erwin eigentlich gar nicht geben dürfte.

»Keine Neonazi-Strukturen erkennbar«

Die bundesweite Umstrukturierungsphase der NS-Szene ist auch in Düsseldorf umgesetzt worden. Gab es Anfang der neunziger Jahre noch einen lokalen »NF-Stützpunkt« und einen FAP-Kreisverband, so näherte man sich bereits vor dem zu erwartenden Verbot der FAP den »Jungen Nationaldemokraten« an. Heutiger Organisationsstand ist die »Kameradschaft Düsseldorf«, die sich als »Freie Kameradschaft« versteht und in der sowohl ex-FAP’ler und NF’ler als auch ehemalige JN’ler aktiv sind.

Von der »Kameradschaft Düsseldorf« wird auch das »Nationale Infotelefon Rheinland« (NIT Rheinland) betrieben. Seit sechs Jahren beliefert das NIT von Düsseldorf aus die neonazistische Szene in der BRD mit Informationen. 1994 vom FAP-Kreisverband Düsseldorf eingerichtet, wurde es 1995 nach dem Verbot der FAP in die Struktur der JN überführt. Nachdem antifaschistische Gruppen 1997 eine Kampagne gegen das NIT gestartet hatten, bekam der ehemalige FAP’ler und damalige JN’ler und NIT-Betreiber Udo B. kalte Füße und stellte den Betrieb ein. Danach wurde das NIT von dem 26jährigen Jörg W. übernommen. Aber auch er hat kürzlich beschlossen, seinen Kopf nicht länger für das NIT hinzuhalten. Seit einigen Monaten ist dieses nun auf Joachim K. angemeldet und wird von Marco Sch. betrieben. Verfasser der Ansagetexte des NIT ist der 22jährige »Kameradschaftsführer« Sven Skoda.

Aus ihrer politischen Orientierung hat die »Kameradschaft Düsseldorf« nie einen Hehl gemacht. Man bekennt sich öffentlich zu den »Grundsätzen der nationalsozialistischen Revolution«, bezeichnet Juden als »Deutschlands größte Feinde« und ruft zum Feiern aus Anlass des Todes von Ignatz Bubis auf, alles bislang ohne nennenswerte Probleme mit Polizei und Justiz. Mitglieder der »Kameradschaft Düsseldorf« sind währenddessen bei nahezu allen regionalen und bundesweiten neonazistischen Aktionen und Veranstaltungen zu finden. Ihre Bedeutung innerhalb der Szene wächst stetig.

Die Gruppe besteht im Kern aus ca. 10 –15 Personen mit einem zahlenmäßig nur schwer bezifferbaren Umfeld. Zu landes- und bundesweiten neonazistischen Demonstrationen können bis zu 40 Personen aus Düsseldorf, dem Kreis Mettmann und aus Neuss mobilisiert werden. Zum Kern der Gruppegehören neben den bereits erwähnten Sven Skoda, Udo B., Jörg W. und Marco Sch. auch Stefan K. und Tibor E., die beide Anfang der neunziger Jahre aktive Mitglieder der NF waren. Beide nahmen 1992 und 1993 auch am »kanackenfreien Freitagstraining« des von einem V-Mann des nordrhein-westfälischen VS geleiteten Solinger »Deutschen Hochleistungskampfkunstverband« (DHKKV) teil, derjenigen neonazistischen Kampfsportschule, in der auch drei der vier Personen trainierten, die am 29. Mai 1993 einen Brandanschlag in Solingen verübten. Hierbei wurden fünf türkische Frauen und Mädchen ermordet.

Aber nicht nur an diesem Beispiel wird deutlich, was das Ziel des Ganzen ist, wenn die Situation als günstig angesehen wird. In der ersten Ausgabe des »Düsseldorfer Beobachters« wird ein als »abgeurteilter Wehrwolf« bezeichneter Neonazi interviewt, der offensichtlich heute nach seiner Haftentlassung selbst der »Kameradschaft« angehört. Am 31. Juli 1996 hatte der »Wehrwolf« gemeinsam mit zwei weiteren Personen ein AussiedlerInnenwohnheim, in dem 23 Menschen schliefen, in Brand gesetzt, nicht ohne vorher alle Feuerlöscher zu beseitigen. Nur durch großes Glück kam niemand ums Leben.

Im Umfeld der rechten Szene war auch der als "Waffennarr" geltende Ralf Spies anzutreffen, der von den Ermittlungsbehörden wegen des Sprengstoffanschlags am Wehrhahn kurzzeitig als möglicher Täter gehandelt wurde. Spies betreibt in Düsseldorf den Laden »Survival Security & Outdoor« für »Polizei-, Armee-, Sicherheits-Zusatzausrüstungen«. Hier ist von Messern, Schlagstöcken und anderen Waffen alles zu haben, was der »nationale Kämpfer« so braucht. Das durchaus erfolgreich eingebundene Umfeld der »Kameradschaft« besteht im wesentlichen aus rechten Jugendlichen und neonazistischen Skinheads, die in Cliquen »organisiert« sind, von denen in Düsseldorf eine ganze Reihe existieren.

Neben ihren überregionalen Aktivitäten versucht sich die »Kameradschaft« auch an lokalen Aktionen. Hierzu zählen z.B. regelmäßige Aktionen am Volkstrauertag. Im Sommer 1998 sorgten die »Kameraden« sogar dafür, dass eine städtische Veranstaltung zum Thema »Die extreme Rechte in Düsseldorf« im Rahmen der Anne-Frank-Ausstellung kurz vor Veranstaltungsbeginn abgesagt werden musste, da 22 Neonazis erschienen waren und eine Durchführung unmöglich gemacht hatten. Am 13. April 2000 wurde versucht, eine Podiumsdiskussion zur Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht zu stören. Dieses konnte jedoch von AntifaschistInnen verhindert werden.

1998 und 1999 führte die »Kameradschaft« je ein Treffen der nordrhein-westfälischen »Freien« in Düsseldorf durch, an der jeweils ca. 80 teilweise hochkarätige Nazis aus NRW und den Niederlanden teilnahmen. Nachdem bislang zwei Anläufe, Demonstrationen in Düsseldorf durchzuführen, an Verboten gescheitert sind, fand am 21. Oktober ein unter anderem von Christian Worch angemeldeter Aufmarsch statt. Einen wichtigen Knotenpunkt zwischen der rechten Jugend- bzw. neonazistischen Skinheadszene und den in der »Kameradschaft Düsseldorf« organisierten Neonazis stellt der Düsseldorfer Plattenladen »Power Station« des ehemaligen REP-Kommunalwahlkandidaten Bernd Buse dar, in dem mit Elke A. ein weiteres Kameradschaftsmitglied tätig ist.

Die Rechtsrock-Strukturen sind in Düsseldorf und dem Umland sehr stark. Die wichtigsten Bands sind »Rheinwacht« um das »Rock Nord«-Redaktionsmitglied Frank Krämer, die Band »Starkstrom« um Stefan Rasche sowie »Barking Dogs« (Düsseldorf/Krefeld) um Ingo Wolff, der auch das Band-Projekt »Arbeiterklasse« initiierte. Der Gründer der Düsseldorfer Band »08/15«, Rainer Sebrecht, ist ebenso wie Ingo Wolff seit Jahren Mitglied der britischen Kultband »Brutal Attack«. Der »MZ-Vertrieb« und das Label »Funny Sound«, die von Torsten Lemmer aufgebaut wurden und zur Zeit von dem ehemaligen Hamburger JN-Landesvorsitzenden Jan Zobel und dem ehemaligen FAP-Aktivisten Andreas Zehnsdorf von Langenfeld aus geführt werden, gehören zu den umsatzstärksten und wichtigsten Rechtsrock-Strukturen der BRD.

Die aus dem gleichen Hause stammende Postille »Rock Nord« ist mit ca. 5000 verkauften Exemplaren die auflagenstärkste Szenezeitschrift in der BRD. Jan Zobel ist zudem Herausgeber der Düsseldorfer Postille »Düsseldraht« und leitet einen sogenannten »Jugendoppositionsstammtisch«, über den rechte Jugendliche angesprochen und rekrutiert werden. Seit einiger Zeit wirkt Torsten Lemmer mit Unterstützung von Zobel auch wieder verstärkt im lokalpolitischen Raum. Nach sechsjähriger Tätigkeit als Geschäftsführer der Rechtsrock-Firmen »Creative Zeiten Verlag und Vertrieb GmbH« und »Funny Sound and Vision GmbH« hat er 1999 Zehnsdorf und Zobel die Geschäftsführung überlassen. Zwar hält er nach wie vor nicht unerhebliche Unternehmensanteile und bestimmt die Unternehmenspolitik entscheidend mit, nur die Arbeit lässt er inzwischen andere machen. Stattdessen konzentriert sich der „Nazi-Yuppie“ heute auf seine Sonnenstudios, seine lukrative Hundezucht; er ist 1. Vorsitzender des »Boxer-Klub München e.V. Ortsgruppe Düsseldorf«; seine Immobilien und die Vorbereitung seines kommunalpolitischen Comebacks. Nach Vorbild der 1994 aufgelösten lokalen REP-Abspaltung »Freie Wählergemeinschaft« soll eine neue Organisation gegründet werden, die offensichtlich langfristig eine Teilnahme an den nächsten Kommunalwahlen anstrebt.

Ebenfalls erwähnenswert ist der »Hagalaz-Versand« von Melanie Dittmer. Die ehemalige JN-Stützpunktleiterin aus dem Ruhrgebiet ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift »Wille und Weg«, dem Organ des von Achim Ezer (Eschweiler) und Frank Amberg (Burscheid) aufgebauten »Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft« (BDVG), einer Abspaltung der JN. Auch neonazistische Konzerte finden in Düsseldorf statt, so ein Auftritt von Frank Rennicke und am 1. April 2000 ein Konzert mit »Angry Wolf«. Beide Konzerte wurden von der »Kameradschaft Düsseldorf« organisiert. 1999 versuchte»Starkstrom«-Sänger Stefan Rasche sogar, in einer städtischen Kultureinrichtung ein Konzert durchzuführen, das erst nach Intervention der Antifa von Seiten der völlig uninformierten Einrichtungsleitung wieder abgesagt wurde. Dass es sich bei Rechtsrock auch in Düsseldorf mitnichten um einen »herben Skinhead-Spaß« handelt, zeigt der Angriff einer siebenköpfigen Neonazigruppe auf zwei Migranten am Abend des 3. Juli 2000 auf dem S-Bahnhof Derendorf. Hierbei wurde eines der Opfer auf die Schienen gestoßen und danach zusammengetreten. Die Neonazis kamen gerade von der Probe ihrer Nachwuchsband »Reichswehr«, die in der Nähe des Derendorfer S-Bahnhofs einen Proberaum unterhält.

Ein »Wirtschaftsstandort« wird verteidigt

Möglicherweise wird der Düsseldorfer Sprengstoffanschlag nie aufgeklärt werden. Ein Geheimnis wird wohl auch bleiben, was vor allem Innenminister Schily dazu veranlasst hat, trotz fehlender Hakenkreuze und NPD-Parteibücher am Tatort bereits einen Tag nach dem Anschlag von einem neonazistischen Hintergrund zu sprechen. Eine Flucht nach Vorne schien im vorliegenden Fall wohl als die einzige Möglichkeit angesehen worden zu sein, zumal erst kurz zuvor eine »Offensive«gegen »Neonazis im Internet« und sich angeblich bildendende »braune Armee Fraktionen« ausgerufen worden war. Aufmärsche und Sprengstoffanschläge deutscher Neonazis lassen sich eben nur schwer unter den Teppich kehren. Befürchtet wird staatlicherseits, dass die Szene außer Kontrolle gerät. Wie so oft geht es einmal mehr um einen befürchteten Image- und damit ökonomischen und politischen Schaden für den »Wirtschaftsstandort Deutschland«. Für die »demokratisch« legitimierte Abschiebung von Flüchtlingen in Folter und Tod ist eben nach wie vorder Staat zuständig, dafür werden Neonazis, die Flüchtlinge imageschädigend direkt an Ort und Stelle erlegen, zur Zeit nicht benötigt.

Es gibt staatlicherseits aber auch keine politische Antwort zur Eindämmung der hausgemachten rassistischen Eskalation in Deutschland. Stattdessen wird der eskalierende Rassismus und Antisemitismus zum Ausbau von Repressions- und Kontrollstrukturen genutzt. Als SPD-Oberbürgermeister Erwin nach dem Anschlag dazu befragt wurde, was ihm denn zu dem Sprengstoffanschlag einfallen würde, antwortete er ernsthaft, dass die noch effektivere Videoüberwachung aller S-Bahnhöfe und anderer öffentlicher Plätze derartige Anschläge eventuell verhindern könnten. Diese Forderung, die auch NRW-Innenminister Behrens (SPD) erhebt, ist zwar nicht neu, wird aber jetzt als »Maßnahme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus« verkauft. Parteienverbote, Einschränkung des Demonstrationsrechts, Medienzensur und weitere Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts lauten die aktuellen Antworten des Staats. Wie weit diese Antworten taugen, zeigt der Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge am 3. Oktober.