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Neonazi-Fluchtwege

Einleitung

Die dreiwöchige Flucht des Sauerländer Neonazis Christoph Schulte, der einen Griechen halb tot schlug und am 1. Januar 2002 zu einer fünfjährigen Jugendstrafe verurteilt wurde, ist ein Paradebeispiel für die Vernetzung der Neonazi-Szene, bis in das Spektrum der Burschenschaften.

Bild: attenzione-photo.com

Michael Krick bei einer NPD-Demonstration in Essen im Mai 2000. Er unterstützte die Flucht von Christoph Schulte.

Tatort München, 13. Januar 2001: Auf Einladung von Reiner Mehr und Martin Wiese feierten ca. 60 Gästen in der Gaststätte »Burg Trausnitz«. Vor dem Neonazitreff wird ein Grieche von der 17jährigen Maria Anna von P. aus dem sauerländischen Arnsberg angegriffen und mehrere Neonaziskins schlagen und treten auf ihn ein. Türkische Passanten verhindern, dass Artemios T. lebensgefährlich verletzt oder gar getötet wird. Es werden 18 Neonazis festgenommen, anderen gelingt mit Hilfe des Wirtes die Flucht aus der Kneipe. Gegen 14 TäterInnen wird Anklage erhoben. Gegen Maria Anna von P., ihren geflüchteten, damals 19jährigen Freund Schulte aus dem sauerländischen Plettenberg und den 18jährigen Dominic Brodmerkel aus dem bayrischen Olching wegen versuchten Mordes, gegen die anderen wegen Körperverletzung. Am 2. Februar wird Schulte in der Rotterdamer Region festgenommen.

Schläger und NPD-Kandidat

Der als Schläger bekannte und als Ordner eingesetzte Schulte gehört dem Spektrum der »Freien Kameradschaften« an, trotzdem kandidierte er 1999 für die NPD. Am Tattag machte sich Schulte gemeinsam mit Maria Anna von P. und dem Lüdenscheider NPDler Marc M. auf den Weg, um den 25. Geburtstag des ehemaligen Lüdenscheiders Reiner Mehr zu feiern. Dieser ist der jüngere Bruder des 1997 zusammen mit den SAF-Führern Thomas Kubiak und Andree Zimmermann bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Neonazikaders Harald T. Mehr. Rainer Mehr zog zuvor nach München, wo er die Homepage des »Nationalen Widerstands Bayern« betreibt und aktives Mitglied der »Burschenschaft Danubia« ist. Ebenfalls vor Ort war sein Freund Norman Bordin, der im nordrheinwestfälischen Velbert das »Nationale Forum Niederberg« aufgebaut hatte, 1999 ins bayrische Freilassing verzog und dort das »Aktionsbüro Nationaler Widerstand Freilassing« gründete und heute im »Aktionsbüro Süd« in München aktiv ist.

Auf der Flucht

Nachdem Schulte vom Tatort verschwand, quartierte ihn Michael Müller von der »Burschenschaft Teutonia Regensburg« im Danubenhaus ein, Mehr besorgte ihm unauffällige Kleidung und Marc M. fuhr ihn Tags darauf zu Verwandten ins Sauerland. Einige Tage später wurde er von Carsten Köppe (Witten), Chef der »Ruhrpottkameradschaft Dortmund/Witten«, beherbergt, bevor er sich ins niederländische Arnheim absetzte, wo er vom Ex-SAFler Michael Krick übernommen und bei »Gabber Piet« in Dreumel bei Arnheim untergebracht wurde. Eine Hausdurchsuchung dort verlief erfolglos, da Schulte bereits nach Spijkenisse bei Rotterdam weiterzog. Als er dort festgenommen wurde, wollte er gerade ins belgische Antwerpen aufbrechen. Schultes und Kricks internationalen Kontakte verwundern keineswegs. Seit Jahren sind auf vielen Neonazidemonstrationen in Deutschland niederländische und auch belgische Neonazis anzutreffen.

Besonders gute Kontakte bestehen seitens der »Freien Kameraden« aus Nordrhein-Westfalen und den »Norddeutschen Nationalisten« zur Nederlandse Volks Unie (NVU), die von dem Arnheimer Constant Kusters geführt wird. Insbesondere zu dem in Rotterdam lebenden Freund Kricks, Ed Polmann, und dem aus Arnheim / Westervoort stammenden NVU-Aktivisten Chris Smit. Spätestens seit dem FAP-Verbot 1995 geben sich deutsche Neonazis in den Niederlanden die Klinke in die Hand. Diverse gemeinsame Aktionen und Demonstrationen zeugen von dieser Kooperation. Bei den niederländischen Kommunalwahlen 1998 initiierte Martijn Freling, Gründer des niederländischen ANS/NA-Ablegers, die Kandidatur von zwei Deutschen für die Partei CP’86. Aufgestellt wurden Maria Luise Malcoci, Betreiberin des »Thule Multimedia Verlags« in Heinsberg, sowie Andree Zimmermann, der es allerdings aufgrund seines Todes nicht bis ins Wahljahr schaffte. Die NVU stellte zwischenzeitlich den Ex-Mann von Maria-Luise, Christian Malcoci auf.

Federführend bei der Kooperation betätigten sich Andree Zimmermann und Thomas Kubiak. Ihre Rolle übernahm ab 1999 Krick, der sich seit Anfang 2001 ständig in den Niederlanden aufhielt, da er in Deutschland mit mehreren Haftbefehlen gesucht wurde. Er wurde im Februar 2002 bei der Ausreise zu einem Blood & Honour Konzert in Oldham, England, festgenommen. Das Erbe seiner SAF-«Führer« konnte er erst 1999 antreten, da er zu ihrer Beerdigung 1997 eine Hakenkreuzfahne mitgebracht hatte, was ihm mit anderen Straftaten eine Haftstrafe bescherte. Nachdem er sich zunächst zurücknahm, trat er im Mai 2001 in Nijmwegen auf einer NVU-Parteiversammlung vor laufender Fernsehkamera mit den Worten auf: »Greift das System und seine Knechte an, wo immer es geht! (...) Staatsschutz, Staatsanwälte und Richter haben Namen, Adressen und Familien«.

Kontakte nach Norddeutschland

Im Fall Schulte gab es eine Reihe von Wohnungsdurchsuchungen und Festnahmen, durchsucht wurde auch das Anwesen der norddeutschen Neonazikader Thomas Wulff und Michael Grewe im niedersächsischen Amholz sowie die Wohnung von Jürgen Witt ("Freie Deutsche") im nahegelegenen Hagenow. Die Annahme, dass sich Schulte dort aufhalten könnte, verwundert niemanden, da es zwischen den norddeutschen und sauerländischen Nazis eine jahrelange Zusammenarbeit gibt. Als Redaktionssitz der lange Zeit von Hamburg aus erschienenen Propagandapostille »Zentralorgan«, das 1997 verschiedene Sauerländer Neonazi-Blätter zusammenführte, war das hochsauerländische Winterberg vorgesehen - der Wohnort von Kubiak, Zimmermann und Krick.

Der Hamburger Kreis um Wulff und Tobias Thiessen übernahm dann die Redaktionsleitung und 2000 wurde die Redaktionsanschrift zu Klaus Bärthel nach Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern verlegt. Als presserechtlich Verantwortlicher fungiert aktuell der fast 80jährige Niederländer Wim Danen aus Heumen, ehemals Mitglied in der SS und der »Nationaal-Socialistische Nederlandse Arbeiders Partij« (NSNAP). Jürgen Witt, ein Freund Krick's aus dem sauerländischen Balve, zog 1999 nach Hagenow bei Ludwigslust und verstärkt seitdem die »Zentralorgan«-Mannschaft bzw. unterstützt Worch und Wulff bei der Organisation von örtlichen Demonstrationen.

Fazit

Bei derartigen Kontakten verwundert es nicht, dass Schulte auf genügend Fluchthelfer, Verstecke und Fluchtrouten zurückgreifen konnte. Vielmehr ist es erstaunlich, dass es ihm gelang, sich den Fahndern drei Wochen lang zu entziehen. Stunden nach dem Angriff marschierte Schulte in das Münchner Polizeipräsidium, fragte nach seiner Freundin - und ging dann wieder. Sämtliche oben aufgeführten Verbindungen waren vor dem Angriff in München bekannt. Als äußerst geschickt kann die Fluchtroute, das Versteck bei nahen Verwandten und die Wahl der Fluchthelfer nicht bezeichnet werden. Dass es dennoch für drei Wochen gereicht hat, spricht weniger für die Neonazis als gegen ihre Verfolger.