Neonazi Strukturen im Schatten der NPD
Trotz der zunehmenden NPD/JN-Dominanz innerhalb der deutschen Neonazi-Szene entwickelten sich in der letzten Zeit Neonazi-Strukturen, die unabhängig von der NPD/JN arbeiten wollen bzw. sich klar von ihr abgrenzen. Zu nennen wären hier die sog. "Freien Strukturen" der "Freien Nationalisten" und der "Freiheitliche Volksblock" (FVB).
Die "Freien Nationalisten"
Die "Freien Nationalisten" versuchen, die Strukturen und Arbeitsweisen der linksautonomen Szene nachzuahmen. So wollen sie mit themenbezogenen Aktionsgruppen in einem informellen Netzwerk zusammenarbeiten und sich auf Koordinierungstreffen vernetzen. Als Zeichen ihrer »erbarmungslosen Kampfbereitschaft« und als Symbol der »Not im Reich« wählten sie sich die schwarze Fahne.
Je nach räumlichen und inhaltlichen Schwerpunkten soll es zu unterschiedlichen Aktionseinheiten und Zusammenschlüssen kommen, in denen »trotz aller Spaltungsversuche und Abgrenzungsbeschlüsse« das gemeinschaftliche Handeln in den Vordergrund gestellt werden soll. Persönliche und politische Differenzen sollen zugunsten eines gemeinsamen Vorgehens, zumindestens zeitweise, in den Hintergrund gestellt werden. In dem gemeinsamen Projekt der »führenden Vertreter Freier Strukturen«, der »Kampfzeitung« "Zentralorgan" (ZORG) erklärte ein »reichsweit bekannter, langjähriger Mitkämpfer« (vermutlich Thomas Wulff aus Hamburg) dem »unentschlossenen Kameraden« in einem Interview, warum die "Freien Strukturen" entstanden sind:
»Die Entwicklung war nach den vielen Organisationsverboten fast zwangsläufig. Das Konzept, immer wieder neue Parteien und Gruppierungen zu gründen, ging nicht mehr auf. Über zehn Jahre konnten wir auf diese Weise unseren Kampf in überregionalen, hierarchisch gegliederten Organisationen führen (...) Die alten Strukturen waren und sind zum Teil schuld daran, daß, es in Deutschland noch immer nicht zu einer großen einigenden Bewegung gekommen ist... Es ist auch nicht zu erkennen, daß sich eine der bestehenden nationalen Altparteien wirklich durchsetzen kann... sie haben vollkommen versagt. Es ist ja nicht einmal erkennbar, daß eine von ihnen überhaupt ernsthaft eine Sammlung aller Kräfte betreiben möchte. Zum anderen sind viele junge Menschen der Überzeugung, daß sie nicht in den hierachischen Strukturen einer Partei arbeiten wollen (...)«
Die "Freien Nationalisten" traten erstmals offensiv in München mit ihren schwarzen Fahnen auf und hatten nach eigenen Angaben »zahlenmäßig einen großen Anteil an diesem Sieg«. Der Neonazi-Aufmarsch am 24. Mai 1996 in Bad Segeberg wird im "Zentralorgan" gar als »Erfolgreicher Aufmarsch Freier Kräfte aus Norddeutschland« dargestellt. Diese »Freien Kräfte« haben in den letzten Monaten ein »informelles Netzwerk« unter der Bezeichnung "Nationales und Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland" (NSAN) ins Leben gerufen, welches u.a. durch Flugblattaktionen in Lübeck in Erscheinung trat. An diesem "Aktionsbündnis" sind neben den norddeutschen "Freien Nationalisten" auch Teile der NPD-Basis, einzelne JN-Aktivisten und Personen aus dem "Bündnis für Gesamtdeutschland" (BGD) und der DLVH beteiligt, also die Gruppierungen, die auch unter den Bezeichnungen "Bündnis Rechts" oder "Nationaler Widerstand" in Norddeutschland auftreten1 . Hinter den "Freien Nationalisten" aus Norddeutschland verbergen sich ehemaligen Mitglieder der "Nationalen Liste" (NL) um Thomas Wulff und Christian Worch und ihr politisches Netzwerk.
Bundesweit zählten auch die drei bei einem Autounfall verstorbenen Neonazikader Andree Zimmermann , Thomas Kubiak (beide Mitglied der "Sauerländer Aktionsfront" aus Winterberg) und Harald Theodor Mehr ("Donnerversand", Lüdenscheid) zu den treibende Kräfte in den »Freien Strukturen« der "Freien Nationalisten". Nach ihrem Wegfall brach das Zeitungs-Projekt "Zentralorgan" (ein Zusammenschluß der Neonaziblätter "Freie Stimme", "Widerstand" und "Moonstomp") erstmal zusammen, bevor es mit Hilfe der norddeutschen "Freien Nationalisten"-Strukturen um Thomas Wulff und Tobias Thiessen wieder auf die Beine kam. Herausgeber ist nun der "Wolf Verlag Norddeutschland", der Klaus Bärthel aus Ludwigslust zugerechnet wird. Die ZORG-Postfachadresse ist in Hamburg angesiedelt. Offiziell soll ein H. van Dam aus Rotterdam verantwortlich sein, um Strafverfolgung zu erschweren. Kontoinhaber ist der ebenfalls aus Norddeutschland stammende Thorsten Bärthel von der "Patriotischen Jugend". Er war schon am Neonaziblatt "Bramfelder Sturm" beteiligt.
Es wird sich zeigen, ob das Projekt "Freie Nationalisten" an Bedeutung gewinnt oder ob es ein Projekt der Neonazis bleibt, die sich nicht der NPD unterordnen wollen, aber letztendlich nur in deren Windschatten agieren können. Im "Zentralorgan" wird der NPD u.a. »bürgerliche Feigheit« nachgesagt, da sie sich mit Saalfeld und Hamburg bereits zwei »feige Rückzieher« geleistet hätte. Den Kredit vom 1.März 1997 in München hat sich die NPD nach Ansicht der "Freien Nationalisten" wieder verspielt, da »unfähige NPD-Funktionäre beste Antifa-Aufbauarbeit« leisten.
Der "Freiheitliche Volksblock" (FVB)
Etwas ganz besonderes wollen auch die Neonazi-Aktivisten des "Freiheitlicher Volksblock" (FVB) sein. In ihrem "Medien Bericht" beschreiben sie sich, nicht gerade bescheiden, so:
»(...) Wir scheuen uns vor der Konkurrenz im nationalen Spektrum nicht. Wer davor Angst hat und von Vereinigung, Bündnissen usw. spricht, der wird sich nie zu einer entscheidenden Alternative in unserem Land entwickeln können. Nur wenn sich der Beste herauskristallisiert (nicht die, die kurzfristig mal einen Erfolg verbuchen konnten) wird es zu einem starken nationalen Gegengewicht in Deutschland kommen. Denn Vereinigungen sind Mittelmaß.«
Gegründet wurde diese elitäre Vereinigung bereits Anfang 1994 in Bayern und sollte ursprünglich als eine Art Auffangbecken für die 1993 verbotene "Heimattreue Vereinigung Deutschland" (HVD) aus Baden-Württemberg dienen. Wie aus einem Neonazi-Rundschreiben hervorgeht, übten wohl die ehemaligen führenden HVD-Köpfe (Andreas Rossiar, Dirk Plankenhorn und Karin Bächtle) extra nach außen hin keinen Einfluß auf diese Neugründung aus, um ein Verbot wegen evtueller HVD-Nachfolge zu umgehen. Geführt wird der FVB deshalb von der »zweiten und dritten Garnitur der ehem. HVD«. Zu dieser gehören demnach der FVB-Vorsitzende Konrad Petratschek aus Neu-Ulm und sein Stellvertreter Thomas Scharf aus Nürnberg.
bundesweit aktiv - bundesweit unbeliebt ?
In Nürnberg beteiligte sich der FVB u.a. mit einer eigenen Kundgebung an den Neonaziaktivitäten gegen das dortige "Bündnis gegen Rechts" und das "Jugendzentrum KOMM". Nachdem im Februar 1997 in Magdeburg der Punker Frank Böttcher von einem Neonazi-Skin ermordet wurde, meldete Petratschek für den FVB, zusammen mit der "Anti-Antifa", eine »Protestkundgebung« gegen »Rotfront- und Antifa-Terror« und »linke Gewalt« an, die aber verboten wurde. Da der FVB nicht juristisch gegen das Verbot vorging und es vor allem nicht bekanntgab, landeten zahlreiche Neonazis in den Vorkontrollen der Polizei.
Seinen ersten großen bundesweiten Auftritt hatte der FVB auf der »Anti-Wehrmachts-Ausstellung-Demo« am 1. März 1997 in München, wo er mit einem eigenen Block von etwa 70 Personen auftrat. Nach Angaben eines Rundschreibens von einer "Initiative freier und organisierter Nationalisten des Nationalen Widerstandes" drängelten sich die FVB-Aktivisten hier in »ekelerregender Weise« und zu jedem erdenklichen Zeitpunkt vor jede Fernsehkamera, um auch wirklich in die Medien zu kommen. Die FVB'ler sollen sich außerdem aggresiv gegenüber dem "JN Ordnungsdienst" gezeigt haben und gegen dessen Anweisungen bewußt verstoßen haben. Dabei gehörte auch der FVB-Bundesvorsitzende Konrad Petratschek im Vorfeld zu den Unterzeichnern des vor München verbreiteten Demonstration-Aufruf an den »nationalen Widerstand«.
Bei dem Neonazi-Aufmarsch in Bad Segeberg am 24. Mai 1997 trat der FVB wieder mit einem eigenem Block auf, der mit 50 Personen fast 25 Prozent der Demo-Teilnehmer stellte. Auch hier waren die FVB'ler, wie in München, in schwarzer SS-ähnlicher Uniformierung unterwegs. Konrad Petratschek trat neben Thomas Wulff ("Freie Nationalisten") und Ingo Stawitz ("Bündnis Rechts") als Redner auf. Bei der anschließenden Saalveranstaltung soll Petratschek seine Leute vor dem Eintreffen der eigentlichen Verantwortlichen eigenmächtig Eintrittsgelder für den FVB kassieren lassen haben.
Nachdem es am 28. und 29. Juni 1997 in Halle zu antifaschistischen Protesten gegen das "Europa Vorn"-Pressefest kam, meldete der FVB für das nachfolgende Wochenende eine Demonstration unter dem Motto »Deutschland in Not" an. Nachdem die Veranstaltung verboten wurde, trat der FVB mit einem Flugblatt in Erscheinung, das sich gegen sogenannte »Linxextremisten« und »Punks« richtete. Eine Hallenser FVB-Gruppe soll sich um Falko P. gruppiert haben.
Am 4. Oktober 1997 versuchte sich der FVB mit einem Aufmarsch in Lübeck, der offenbar als eine Art Ablenkungsmanöver für die Gründungsveranstaltung des "Bündnis Rechts für Lübeck" herhalten mußte. FVB-Ordner griffen am Rande dieses Aufmarsches eine Antifaschistin mit Hunden an. Thomas Scharf erhielt als Versammlungsleiter ein Ermittlungsverfahren wegen "Uniformierungsverbot". Auch Katrin D. aus Nürnberg soll hiervon betoffen sein. In Eutin (Kreis Ostholstein) unterhält der Neonazi-Aktivist Sven L. einen FVB-Stützpunkt.
Im November 1997 fuhren dann etwa 30 FVB'ler zur Grabstätte des Faschisten-Führers Francisco Franco nach Madrid (Spanien), um dort vor laufenden Kameras den Hitlergruß zu zeigen. Anschließend sollen sie den ehemaligen FAP-Chef Friedhelm Busse »unflätig angepöbelt« und einige NPD/JN'ler und einige "Freie Nationalisten" tätlich angegriffen haben. Kaum wieder zu Hause angekommen, soll Thomas Scharf in einem Rundbrief dem »gesamten nationalen Widerstand den Krieg erklärt haben«. In diesem Flugblatt soll es u.a. heißen: »Der nationale Widerstand in der BRD ist am Ende! Nehmt Euch vor uns in acht. Wir sind im Kommen und Tag für Tag stärker! Wir räumen in den eigenen Reihen mit allen Mitteln auf!«. 2
Was sich der FVB davon verspricht, bleibt schleierhaft. Vermutlich hält er sich für so wichtig, daß er auf den Rest der Neonazi-Szene verzichten kann. Politisch gesehen ist der FVB bis jetzt aber nichts weiter als eine ganz normale neonazistische Splittergruppe (etwa 50 bis 100 Leute), die sich bei jeder Gelegenheit wichtig macht. Trotzdem steht der FVB für ein aggressives Auftreten und einen militanten Dominanzanspruch, der für ihre regionalen GegnerInnen konkret bedrohlich und gefährich ist.
Von ihren Untergruppen "FVB-Frauenfront" um Heidi P. und der "FVB-Burschenschaft" war bis jetzt auch noch nicht wirklich viel zu hören. In München trugen einige Frauen ein Transparent der "FVB-Frauenfront", die "Burschenschaft" veranstaltete ein Frank Rennicke-Konzert. Im "FVB-Bürgerinfo" (Chef vom Dienst Manuel Heine) findet sich inhaltlich auch nichts, was den FVB von anderen Neonazi-Gruppen und deren Blättern unterscheiden würde. Insoweit sollte man den FVB zumindest organisatorisch trotz seines elitären Habitus nicht überschätzen.
Interessant wäre lediglich, inwieweit der FVB seine Funktion als Auffangbecken für die HVD erfüllt. Immerhin verstand sich die HVD als eine relativ konspirativ arbeitende Kaderorganisation und militante Vorhut. Auf ihr Konto gingen Wehrsportübungen, paramilitärische Ausbildungen, Überfälle auf Flüchtlingsheime, Schändungen jüdischer Friedhöfe, Provokationen im ehemaligen KZ Dachau und nächtliche Angriffe auf Nicht-Deutsche. Nach einem bewaffneten Banküberfall im Juni 1991 in Stuttgart, verletzte ein HVD-Mitglied auf der Flucht einen Passanten schwer. Als der frühere Kroatien Södner Michael Sch. aus den Kreisen der HVD sich weigerte, eine "Spende" von 1.000 Mark abzuliefern, wurde er verschleppt, gefesselt und geschlagen. Die HVD verfügte mit der "Heimattreuen Vereinigung Elsaß" über eine Schwesterorganisation, die ebenfalls 1993 verboten wurde und sich bereits eine weitentwickelte Logistik für paramilitärische Übungen geschaffen hatte. Dokumentiert ist ein dreitägiges gemeinsames Wehrsportlager im Süd-Elsaß im Mai 1993: Ausbildungsinhalte waren u.a. die Herstellung von Tretminen und elektronischen Fernzündern, der Umgang mit Plastiksprengstoff, Maschinen- und Pump-Guns. Die Verbotsverfügung von 1993 zitiert Andreas Rossiar sinngemäß mit der Aussage, daß er mit einigen wenigen Kameraden, die bereit sind, für ihr Land zu töten und zu sterben, mehr anfangen könne als mit vielen Mitläufern.
Wenn der FVB also das militante Potential der HVD tatsächlich übernommen haben sollte, könnte er Anziehungspunkt für die militanten Neonazis werden, die sich nicht in die NPD-Strukturen einfügen wollen.