Rechte Bündnisse im hohen Norden
In Schleswig-Holstein sind neofaschistische Aktivitäten so stark wie seit langem nicht mehr. Das "Bündnis Rechts" findet seine Anhänger sowohl bei den "Die Republikaner" als auch bei militanten Neonazis.
Neuer Aufschwung im Norden
Lange Zeit war von (militanten) Neonaziaktivitäten in Schleswig-Holstein nicht viel zu hören gewesen. Der Schwerpunkt rechter Aktivitäten lag bei Netzwerken wie dem des inzwischen verstorbenen Auschwitzleugners Thies Christophersen oder der NSDAP/AO. Diese nutzten den hohen Norden als Rückzugsgebiet für die Einschleusung und Verbreitung von Propagandamaterial. In diesem Rahmen war auch der Versuch der früheren Neonazi-Partei "Nationalistische Front" (NF) zu sehen, von Dänemark aus ihre in Deutschland verbotenen Parteiaktivitäten durchzuführen. Von diesen Aktivitäten abgesehen, herrschte im Bereich (militanter) Neonaziorganisationen im Norden seit Ende der achtziger Jahre relative Ruhe.
Daß diese Ruhe trügerisch war, zeigte sich bereits Anfang der neunziger Jahre, als etliche Brandanschläge in Schleswig-Holstein bewiesen, daß die braune Szene keineswegs tot war. 1997 erlebte die organisierte Neonaziszene einen Aufschwung. Mal als "Bündnis Rechts", mal als "Nationaler Widerstand" trat in den vergangenen anderthalb Jahren eine Aktionseinheit verschiedener neofaschistischer Organisationen in Schleswig-Holstein auf. Nach Demonstrationen, Saalveranstaltungen und gemeinsamen Strategietreffen verkündeten die Neonazis Anfang Oktober 1997, daß sich ihre Aktivitäten zu den Kommunalwahlen im März 1998 auf Lübeck konzentrieren wollen. Damit ist für das kommende Frühjahr - zumindest im Bereich Lübeck - mit erheblichen Neonaziaktivitäten zu rechnen.
Neonazi Veranstaltungen
Bis Ende 1997 hat es in Schleswig-Holstein in diesem Zusammenhang drei Veranstaltungsversuche der Neo-Faschisten gegeben. Daß diese nicht ungestört durchgeführt werden konnten, ist der Aufmerksamkeit und den Aktionen von AntifaschistInnen zu verdanken.
Zur Vorbereitung weiterer Aktionen lud dann das "Bündnis Rechts" für den 20. September 1997 in das bei Kiel gelegene Ottendorf ein. AntifaschistInnen, die einen Abbruch der Veranstaltung erzwingen wollten, wurden gewaltsam von der Polizei zurückgedrängt. Die Neonazis brachen ihr Treffen dennoch vorzeitig ab und kündigten eine Fortsetzung in naher Zukunft an. Eine in Lübeck von Ulrich Schwetasch (früher bereits JN-Vorsitzender in Bad Segeberg) für den 4. Oktober 1997 angemeldete FVB-nahe Demonstration unter dem Motto »Sicherheit durch Recht und Ordnung« diente dann als Ablenkungsmanöver, um in der Gaststätte »Zum Trichter« in Klein Gladebrügge bei Bad Segeberg abschließend über eine Wahlteilnahme des Bündnis rechts beraten zu können. Derweil gab es in Lübeck einen kurzen Demonstrationsversuch der Neonazi-Gruppierung "Freiheitlicher Volksblock" (FVB).
Die nächste organisationsübergreifende Zusammenkunft der Neonazis wurde dann von Andreas Rothmann (Kronshagen) von der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) angekündigt. Er hatte bereits früher bei der Durchführung von Neonazitreffen in Schleswig-Holstein mitgewirkt. Dieses Mal versprach er im Namen des "Elemente - Studien- und Lesekreis Nord" im Internet »Fachvorträge interessanter Referenten (z.B. P. Krebs, J. Rieger)" und »ein Rahmenprogramm aus Infoständen, einem Liederabend mit Swantje Swanhwit, einer Feuerzeremonie und einem Heldengedenken.« Der Kontext des Seminars "Indo-Europäische Naturreligion - Erbe als Zukunft" erschließt sich schnell: Das rassistische "Thule-Seminar" („Forschungs- und Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur e.V.“) gibt die Zeitung "Elemente" ("Elemente der Metapolitik zur europäischen Wiedergeburt") heraus. Der Leiter des "Thule Seminar" ist Pierre Krebs. Mit J. Rieger dürfte der Neonazi-Kader Jürgen Rieger gemeint sein. Hinter "Swantje Swanhwit" steht Iris-Katrin Fischer (Hamburg) aus den früheren Kreisen um den völkischen "Bund Heimattreuer Jugend" (BHJ) und den "Heidenkreis e.V."
Schließlich mußten die Neoazis auf die Durchführung ihres Treffens verzichten, nachdem die Wirtin der Gaststätte »König Ludwig« in Bünsdorf von AntifaschistInnen, die den Gasthof besetzt hatten, über den braunen Geist ihrer Gäste aufgeklärt worden war und sie daraufhin die Vermietung rückgängig machte. Pierre Krebs, Jürgen Rieger und Andreas Rothmann mußten an der antifaschistischen Blockade umkehren.
Der vorläufig letzte Versuch der Neonazis, ihre Beratungen für die Kommunalwahl fortzusetzen, war die Einladung zu einem "Bündnis Rechts"-Treffen am 7. Dezember 1997, unterzeichnet von Jens Katzer (JN/NPD). Neben Informationen zu den extrem rechten Kandidaturen bei der Kommunalwahl durch Dieter Kern ("Deutsche Liga") aus Lübeck und Wolfgang Schimmel (NPD) sowie einem Vortrag des ehemaligen Landtagsabgeordneten der neofaschistischen Partei "Deutsche Liga" (DL), Ingo Stawitz aus Uetersen, war als Gastredner Ottmar Wallner aus Bayern angekündigt. Wallner hat für das "Bündnis Rechts" und die das Bündnis dominierende NPD besonders deshalb Signalwirkung, weil er nach zwölfjähriger Mitgliedschaft die "Republikaner" (REP) im August 1997 verlassen hatte und nun als Kronzeuge gegen den vom REP-Vorsitzenden Rolf Schlierer durchgesetzten "moderaten" Kurs auftritt.
Christophersen Freundeskreis
Parallel zu diesen Veranstaltungen führten (Neo)Nazis aus dem Umfeld des im Februar 1997 verstorbenen Thies Christophersen im Herbst 1997 bei Flensburg eine zweitägige Veranstaltung durch. Was dem Altnazi und Auschwitzleugner in den letzten Jahren nie gelungen war, schafften nun seine ehemaligen Vertrauten: Unter der offiziellen Verantwortung der Oldenburgerin Claudia Brüning konnten sich etwa 80 Alt- und Neonazis aus Deutschland, Belgien und Schweden beinahe ungestört zwei Tage lang treffen. Der Name von Claudia Brüning tauchte bereits im Kontext der Neonazi-Zeitung "Kritik" von Thies Christophersen auf. Neben dem belgischen/Flämischen "Schelde Chor", einer Singegruppe aus Altnazis, trat Jürgen Rieger als Redner auf. Die Form von Riegers Auftreten läßt vermuten, daß er ein Mitorganisator des Treffens war.
Laut regionalen Antifa-Strukturen sollen auch Wolfgang Juchem, Wilhelm Stäglich, Gerhard Seifert und Klaus Huscher als einschlägige Referenten eingeladen gewesen. Neben den Abend- und Saalveranstaltungen (Gasthaus „Zur Mühle“ in Westerholz und Gasthof „Munkbrarup“ in Munkbrarup) gelang es der (Neo)Nazitruppe am Grab Christophersens in Boel, mit Fackeln Aufstellung zu nehmen und Reden zu halten. Bemerkenswert war, daß sich kaum Personen aus dem Umfeld des "Bündnis Rechts" unter den Teilnehmern befanden. Stattdessen sollen bekannte Funktionäre wie Sigrun Schurbohm, Manfred Börm und Uwe Rohwer vor Ort gewesen sein.1
Während diese momentan versuchen, aktuelle Politik bis hin zum Wahlkampf zu machen, scheint es dem Kreis um Brüning und Rieger darum zu gehen, das politische Umfeld Christophersens, das sich allemal als zahlungsfähig und über die politischen Gruppierungen hinaus als einflußreich erwiesen hat, bei der Stange zu halten. An finanziellen Problemen scheiterte immerhin der Versuch, Christophersens Zeitschrift "Die Bauernschaft" von Ernst Zündel herausgeben zu lassen. Damit drohte der langwierig aufgebaute Leser- und Freundeskreis zu zerfallen. Der dafür von Christophersen gegründete Verein "Bürger- und Bauerninitiative e.V." wurde bereits 1990 von Jürgen Rieger liquidiert. Der "KRITIK - Verlag Thies Christophersen" ist in Deutschland ebenfalls 1990 erloschen. Sein "Nordwind Verlag" hatte er nach Kollund (Dänemark) verlegt, den "Kritik Verlag" nach Lausanne.
Insbesondere Rieger, der mit seinen zahlreichen Vereinen selbst ein breites Netzwerk aufgebaut hat, das personell teilweise Überschneidungen mit dem Christophersen-Umfeld hat, muß ein Interesse an weiteren intensiven Kontakten zu diesem Personenkreis haben.
Das "Bündnis Rechts"
Sehr aufschlußreich ist es, einen genaueren Blick auf diejenigen zu werfen, die hinter den verschiedenen Aktivitäten der letzten 18 Monate stehen. Im Bereich des "Bündnis Rechts", das aktuell als aktivster Flügel gelten kann, hat sich ein illustres Grüppchen zusammengefunden: Als einer der Hauptinitiatoren des Bündnisses kann Ingo Stawitz gelten. Ehemals DVU-Abgeordneter im schleswig-holsteinischen Landtag, wechselte er zur DL und Anfang 1997 zur NPD. Schon lange sucht er nach breiteren Bündnis-Möglichkeiten. So nahm er beispielsweise noch als Landtagsabgeordneter offiziell Kontakt zur Hamburger FAP-Führung um die Brüder Glenn Goertz und André Goertz auf. Als NPD-Mitglied steht er für die Politik der Partei, sich in Schleswig-Holstein kaum eigenständig, sondern hauptsächlich gemeinsam mit anderen Gruppen, zu betätigen.
Die Flensburger JN machte allerdings unter der Führung von Tim K. in den letzten zwei Jahren auch durch verstärkte eigene Propaganda auf sich aufmerksam. So trat sie "Bürgerinitiative gegen Gewalt und Drogen" aggressiv gegen das Alternativprojekt »Hafermarkt« auf.
Stawitz' Aktivitäten sind auch im Licht des starken Bedürfnisses von DL-Mitgliedern zu sehen, mit anderen (auch militanten) Neonazi-Gruppen zusammenzuarbeiten. Beachtenswert ist dabei, daß beispielsweise Thomas Wulff von den "Freien Nationalisten" 1996 Mitglied des Hamburger Landesverbandes der DL wurde. Dementsprechend nahmen an den Veranstaltungen des "Bündnis Rechts" zahlreiche ältere Personen aus dem Umfeld von NPD, DL und sogar der REPs teil.
Das alte NL-Netzwerk
Der zweite maßgebliche Pol des Bündnis rechts besteht aus Personen und Gruppen im Umfeld der verbotenen Hamburger "Nationale Liste" (NL), die während des Gefängnis-Aufenthaltes von Christian Worch vor allem von Wulff repräsentiert wurde. Die NL hatte bereits vor Jahren vorexerziert, daß sie in der Lage ist, tatkräftig Aufbauhilfe für lokale Nazigruppen zu leisten. So hatte sie mit zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen den Wilhelmshavener Deutscher Kameradschaftsbund (DKB) von Thorsten de Vries mitinitiiert. Jahrelang bestanden Kontakte zwischen NL-Mitgliedern und jungen Neonazis im Bereich Henstedt Ulzburg und Bramfeld. Diese Region verfügt über eine traditionell starke Szene NPD, JN und ehemals "Wiking Jugend"-Akteuren.
Die neueren Kontakte kamen wohl vor allem über die Fußball-Hooligan-Szene zustande, in der sich Wulff und bekannte Neonazis wie z.B. Thorsten Bärthel und Andre Schwelling profilieren. Sie schlugen sich zunächst nieder in der gemeinsamen Herausgabe des "Bramfelder Sturm" (inzwischen "Hamburger Sturm"), ein Neonazi-Fanzine im NL-Outfit, das neben Konzert- und Fußballberichten vor allem durch nationalsozialistisch geprägte Propaganda besticht. Herausgeber des Fanzines war zunächst die "Patriotische Jugend" (PJ), die seit 1995 in Bramfeld besteht. Über ein Postfach in Henstedt-Ulzburg vertreibt die PJ Propagandamaterial und beteiligt sich an bundesweiten Naziaktivitäten. Über dasselbe Postfach wird auch Propaganda des "Bund für Gesamtdeutschland" versandt. Diese Partei hat ihren Hauptsitz in Duisburg und betrieb lange Jahre hauptsächlich revanchistische Propagandaarbeit. In Schleswig-Holstein treten bislang Andre Schwelling (NL-Umfeld) und Andreas Rothmann (JN) für den BGD auf.
Der FVB
Im Zusammenhang mit der Demonstration in Bad Segeberg trat erstmals in Schleswig-Holstein eine Gruppe der Organisation "Freiheitlicher Volksblock" (FVB) auf. Im wesentlichen handelte es sich bei den uniformiert auftretenden Mitgliedern, um süddeutsche Neonazis, vor allem aus dem Raum Nürnberg. Als Anführer gelten Konrad Petratschek und Thomas Scharf. Allerdings hat sich inzwischen in Eutin-Fissau um den etwa zwanzigjährigen Sven L. eine kleine Gruppe als FVB versammelt und bemüht sich, in Lübeck eine Ortsgruppe zu bilden.
Die Szene in Bad Segeberg
Als »großen Erfolg des Nationalen Widerstandes in Norddeutschland« wertete die Neonazizeitung "Einheit und Kampf" den ungestörten und von der Polizei betreuten FVB-nahen Aufmarsch von etwa 150 Neo-FaschistInnen in Bad Segeberg am 24. Mai 1997.
Nach der Entlassung von Bernd Tödter aus dem Gefängnis2 wurde hier ein "Freundeskreis Nationaler Aktivisten" (FnA) bzw. eine "Kameradschaft Nordmark" gegründet. Dieser veranstaltete "Wehrsportübungen" und trat auf der Segeberger Demonstration mit einem eigenen Transparent auf.
Die "Anti-Antifa"-Aktivistin Thekla Kosche aus Bad Segeberg soll wohl den Aufmarsch in Bad Segeberg angemeldet haben. Doch ihre Bedeutung sollte deswegen im bundesweiten Kontext nicht überhöht werden. Mittlerweile hat sie durch ihr unvorsichtiges und vollmundiges Auftreten für ihren Rausschmiß aus dem Neonazi-Internet-Netzwerk "Thule-Netz" gesorgt. Thekla Kosche alias „Gothmag 99“ aus dem Kreis der in Bad Segeberg stationierten "ASGARD BBS"-Mailbox soll nun mit dem "Nordland Netz" ein neues Projekt mit aufgebaut haben. Dieses ist allerdings mit bislang vierzig Usern bundesweit bedeutungslos.
Ausblick
Alles in allem liegt die Vermutung nahe, daß das Bündnis rechts in Schleswig-Holstein gute Chancen hat, organisationsübergreifend als Sammlungsbewegung zu wirken. Es ist zwar nicht zu vermuten, daß es damit bundesweite Vorbildfunktion einnehmen kann; für die Region kann diese Bündelung jedoch noch einiges an Problemen mit sich bringen.
Fraglich ist, ob sich das Bündnis auch durch den Bundestagswahlkampf hindurch retten kann, in dem einige ihrer Bündnispartner wohl in Konkurrenz zueinander treten werden. Daneben ist weiter fraglich, ob es den Initiatoren gelingt, die verschiedenen lokalen Initiativen zu funktionsfähigen Ortsgruppen anwachsen zu lassen. Ohne die Beteiligung von Gruppen aus anderen Bundesländern, der Hamburger NL, der SAF sowie der süddeutschen FVB-Mitglieder, wäre zumindest die Demonstration in Bad Segeberg, die insgesamt für viel Auftrieb gesorgt hat, nicht durchführbar gewesen. Darüber hinaus haben AntifaschistInnen mittlerweile die Voraussetzungen dafür geschaffen, in Zukunft erfolgreich gegen weitere Aktionen zu mobilisieren, was sie in den vergangenen Monaten mehrfach unter Beweis gestellt haben.