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Alltag in NRW

Jan Spreuk und Pierre Briegert
Einleitung

Es ist ein milder Winterabend, Mitte Januar im sauerländischen Örtchen Gleidorf. Eine Geburtstagsfeier soll in der Schützenhalle steigen, hat der junge Mann aus dem 45 Kilometer entfernten Arnsberg Tage zuvor gesagt, als er die Halle mieten wollte. Der Hallenwart ist skeptisch, geht zur Polizei. Oft genug haben sich Neonazis in sauerländer Dörfchen unter falschen Vorwänden eingemietet.

Bild: attenzione-photo.com

Oidoxie-Sänger Marko Gottschalk in Leipzig – »Demohighlight« RechtsRock.

Doch der junge Mann sei sauber, bekommt er zu hören. Nichts spricht also dagegen, ihn in Gleidorf feiern zu lassen. Um so überraschter ist der Vermieter, als er im Lauf des Abends sieht und hört, wer da alles zum »Geburtstag« er­scheint und dafür sorgt, dass am Ort des Geschehens und im weiten Um­kreis kaum noch ein Parkplatz zu bekommen ist: Rechte Skinheads aus ganz NRW und den Nachbarländern, dazu Musiker, die ihre Instrumente in die Halle schleppen. Eine Kneipe für junge Leute, 200 Meter von der Halle entfernt, schließt an diesem Abend vorsichtshalber aus Sorge vor Randale. 350 Anhänger der »rechten Szene«, so wird die Polizei später auf Anfrage – in den offiziellen Presseverlautbarungen findet sich kein Wort zu der Veranstaltung – erklären, hätten sich in der Halle getroffen. Wieder einmal war es der neonazistischen Szene gelungen, ungestört ein Konzert auf die Beine zu stellen. Mit von der Partie ganz offenbar: die Band »Sleipnir« aus dem ostwestfälischen Gütersloh sowie »Oidoxie« aus Dortmund.

Rechtsrocker im Sauerland

Im Sauerland hört man freilich nicht nur RechtsRock. Dort macht man ihn auch. Ganz falsch die Vorstellung, dies sei nur ein Thema der Krisenregionen in Brandenburg oder Sachsen. Da mag noch so oft die heile Welt des Sauerlands besungen, noch so oft darauf verwiesen werden, dass der Hochsauerlandkreis zu jenen drei, vier Regionen zählt, die Monat für Monat um die niedrigste Arbeitslosenquote in NRW konkurrieren. Da kann noch so oft die geringe Kriminalitätsbelastung hervorgestrichen und noch so oft betont werden, dass man als Sauerländer in einer Region arbeiten dürfe, wo andere Urlaub machen. Braune Ideen, »Kameradschaften« und Musik­gruppen gedeihen im bergigen Hinterland – und das natürlich auch ungestörter als an Orten, wo sie auf antifaschistischen Widerstand treffen könnten.

»Im wunderschönen Sauerland, am schönsten Fleck der Welt, da gibt es eine Skinhead-Band, die jedermann gefällt«, texten die Musiker der Gruppe »Weisse Wölfe«. Weitgehend ungestört von öffentlichem Interesse konn­ten sich Sänger Stjepan Jus aus Neheim-Hüsten und die anderen Band­mitglieder fast fünf Jahre lang dort tummeln. In Deutschland kletterten sie vorzugsweise höchst konspirativ auf die Bühne. Häufiger waren sie in den letzten Jahren im Ausland zu sehen und zu hören. Für die, die textlich auf harte Kost stehen, sind sie ein Muss. Warum das so ist, wird spätestens beim vierten Stück ihrer Debüt-CD »Weisse Wut« klar. Unterlegt mit »Sieg Heil«-Rufen werden dort »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« beschworen. In einem anderen Stück werden Polizisten bedroht, die gegen Neonazis vorgehen: »Bullen haben Namen und Adressen! Kein Vergeben, kein Vergessen! Am Tag der Rache woll’n wir euch bluten seh’n!«

Brandstiftung und Mord besingen die »Kinder arischer Werte«, wie sich die »Weissen Wölfe« selbst nennen: »Und wenn wir uns finden beim Marsch durch das Land, dann brennt in jeder Stadt ein Asylantenheim ab.« Sie fluchen auf »diesen gottverdammten Judenstaat« und fordern einen »heiligen Rassenkrieg«. Zynischer Höhepunkt ihrer ersten, vor einem Jahr erschienenen CD ist das Stück »Unsere Antwort«. Linke und Juden wünschen sie darin ins »Arbeitslager«. Und dann: »Ihr tut unsrer Ehre weh – unsre Antwort Zyklon B.« Die letzten beiden Zeilen des Stücks: »Für unser Fest ist nichts zu teuer – 10.000 Juden für ein Freudenfeuer.« Kein Wunder, dass in den Internetforen der Neonazis gelobt wird: Die »Weissen Wölfe« nehmen kein Blatt vor den Mund. Da gibt es kein Zaudern: Beim Auftritt der »berüchtigten Weissen Wölfe«, so hieß es in einem Konzertbericht aus Belgien glückselig, wurden die Arme kollektiv zum Hitler-Gruß nach oben gereckt.

Szenenwechsel an den Rand einer Großstadt

Szenenwechsel von der »heilen Welt« Sauerland in ein Stückchen »heile Welt« in Dortmund. Weit im Norden an der Stadtgrenze zu Lünen liegt Brechten, seit 75 Jahren ein Stadtteil von Dortmund. Dort arbeitet man nicht – spätestens seit 1988 Schacht 6 des Bergwerks »Minister Stein« dicht machte und die 50-jährige Bergbaugeschichte des Ortes endete. In Brechten wohnt man im Einfamilienhäuschen und fährt zur Arbeit in die Stadt. Auch wenn es durch die A2 geteilt wird: Fast dörflich wirkt Brechten mit seinen knapp 9.000 Einwohnern. Dort wohnt Marko Gottschalk, Kopf und Sänger der RechtsRock-Gruppe »Oidoxie« (und, wie Fotos von Konzertauftritten nahe legen, auch Bandmitglied der »Weissen Wölfe«).

»Wir spielen Rechtsrock fürs Vaterland«, grölt Gottschalk von der Bühne herunter. Und: »Wir sprengen die Ketten und schlagen uns frei. Wir kämpfen für Deutschland und bleiben dabei. Und schrei’n immer wieder: Heil, Heil!« Zu hören sind die Stücke »Rechtsrock« und »Sprengt die Ketten« auf der 1998 beschlagnahmten »Oidoxie«-CD »Schwarze Zukunft«. Die damalige Beschlagnahmung blieb lange Zeit – neben hausgemachten Pro­blemen wegen abspringender Band­mitglieder – der einzige spürbare Karriereknick für »Oidoxie«. Inzwischen ist »Oidoxie« wohl die wichtigste Rechtsrock-Gruppe in NRW. Und nicht nur das. Im »Hatecore«-Musikforum lobte ein Autor, die Band habe »sich wirklich gemacht. vonner ,rechtsrock-spaßkapelle’ zu ´ner ,aktiv-Band’. Oidoxie tun auch was für die szene + die bewegung vor ort und im allgemeinen (allen voran ihr frontmann)«. Diese »szene + bewegung vor ort« in Dortmund-Brechten wird nicht unwesentlich von »Oidoxie« bestimmt. Man identifiziert sich mit dem Stadtteil: »Brechten – stolz und treu« hat die neben Gottschalk zentrale Figur vor Ort, Carsten J., auf dem »T-Hemd« stehen. Hier scheint man sich recht wohl zu fühlen, verfügt über ein zahlenmäßig großes Umfeld. Und über Zuzug: Erst Anfang des Jahres wechselte der »nationale Liedermacher« Nico Schiemann seinen Wohnsitz von Frankfurt/Oder nach Brechten und ist dann kürzlich 500 Meter über die Stadtgrenze hinaus nach Lünen-Brambauer gezogen.

Und »Oidoxie« belässt es nicht bei Konzert-Auftritten. Ab Ende 2002 organisieren die Brechtener auch eigene Demonstrationen, beispielsweise zum Jahreswechsel in Bochum und im Juli mit 270 Personen in Brechten selbst. Hierbei gibt es eine enge regionale Zusammenarbeit mit anderen neonazistischen Gruppen, insbesondere mit dem Kreis um Dortmunds selbst ernannter Nazi-Ikone Siegfried Borchardt (»SS-Siggi«) und die »Völkisch orientierten Gemeinschaft« (VOG). Derartige Aktivitäten und der bundesweite Bekanntheitsgrad veranlassten den Hamburger Neonazi-Führer Christian Worch offen­bar im letzten Jahr mehrfach, die Band bei Demonstrationen auf die Bühne zu holen, in Leipzig, aber auch in Soest, knapp 50 Kilometer von Dortmund entfernt.1 Das öffentliche Interesse am Treiben der RechtsRocker in Dortmund hielt sich bis Anfang 2003 in sehr engen Grenzen. Diese Grenzen werden nur in Ausnahmefällen überschritten. Zum Beispiel im März 2002, als laut Angaben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes rund 1.500 Neonazis zu einem Konzert mit den US-Bands »Max Resist« und »Intimidation One«, »Hauptkampflinie« aus Kassel, »Legion of Thor« aus Berlin sowie den Lokalmatadoren »Oidoxie« in die Event-Hallen in Dortmund-Schüren pilgerten. Seitens der Polizei wurde von einer »privaten Geburtstagsfeier« mit 300 teilnehmenden Personen gesprochen, der Vermieter der Halle erst am Konzerttag selbst über den Charakter der Veranstaltung informiert und ihm geraten, das Konzert stattfinden zu lassen. »Wenn sich die Bullen nicht so blöd angestellt hätten, hätte das Konzert [...] auch nicht statt finden können«, analysiert später ein Neonazi im Internet das Gesche­hene. »Empö­rung über Duldung des Nazi-Konzerts«, titelte immerhin eine der drei Lokalzeitungen. Ansonsten gilt: In vielen Redaktionsstuben ist die Szene ganz rechtsaußen nur ein Thema, wenn sie sich in Pressemitteilungen der Polizei wider­spiegelt oder Demonstrationen dafür sorgen, dass das Einkaufsvergnügen getrübt wird.

Oidoxie und Weisse Wölfe unter Druck

Inzwischen ist das Klima für »Oidoxie« und »Weisse Wölfe« dennoch rauer geworden. Veröffentlichungen in der »LOTTA – antifaschistische Zeitung aus NRW« (und anschließend auch in anderen Medien), eine Strafanzeige des nordrhein-westfälischen Landessprechers der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten« (VVN-BdA), Josef Angenfort, und Ermittlungen der Polizei sorgten dafür. Anfang Mai erhielten acht Mitglieder beider Bands unangemeldeten Besuch. Beamte des Staatsschutzes filzten ihre Wohnungen und trugen CDs und Videokassetten davon. Dabei ging es nicht nur um die »Weisse Wölfe«-CD, die die einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuches detailliert abarbeitet. Die Bandmitglieder stünden im Verdacht, neben den CDs auch »Videos, unter anderem mit volksverhetzendem Charakter und nationalsozialistischem Inhalt, hergestellt und verbreitet zu haben«, erklärten Polizei und Staatsanwaltschaft nach der Durchsuchung. Gemeint ist damit die fünfte Ausgabe der in Finnland hergestellten Video-Produktion »Kriegsberichter«. Auf ihr ist in einer Live-Aufnahme auch »Oidoxie« bei der Präsentation des »Hakenkreuzliedes« zu sehen: »Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um. Hisst die rote Fahne mit dem Hakenkreuz!«

Nichts zu erkennen?

Dortmund hat sich als gutes Pflaster für »Oidoxie« erwiesen. Und die Stadt dürfte das auch bleiben, wenn tatsächlich ernst gemeint sein sollte, was Staatsschutzleiter Jörg Lukat im Frühjahr von sich gab. Man könne derzeit in Dortmund nicht erkennen, dass die rechte Szene die Musik etwa von ‚Oidoxie‘ benutze, »um junge Leute, die sich eigentlich nur der Musik wegen für die Band interessieren, für rechtsradikale Zwecke zu rekrutieren«, wusste er – jegliche Kenntnis über die Wirkung rechter Musik negierend – zu berichten. Dass Dortmund ein Schwerpunkt neonazistischen Handelns geworden sind, mochte der Staatsschützer ebenfalls nicht bestätigen: »Wir können keine Entwicklung feststellen, dass irgendwelche Aktivitäten ansteigend sind.« Dumm nur, dass drei Wochen später der NRW-Verfassungsschutz in seinem Bericht für 2002 festhielt, bei der Dortmunder Szene handele es sich »inzwischen um die größte Neonazi-Gruppierung in Nordrhein-Westfalen mit ausgezeichneten Verbindungen zu vielen Neonazi-,Größen’ im Bundesgebiet«.

Dass es dem Dortmunder Staatsschutz zuvor wochenlang nicht gelungen war, sich das »Kriegsberichter«-Video zu besorgen, verwundert da nicht mehr. Ganz abgesehen davon, dass es nicht gelingt, die Verbreitung solcher Videos zu verhindern. »Kriegsberichter V« gibt es im Übrigen jetzt auch auf DVD.

Die Autoren sind Mitglieder des Antifaschistischen AutorInnenkollektiv NRW und schreiben u.a. für »LOTTA – antifaschistische Zeitung aus NRW« (www.free.de/lotta) und für die Düsseldorfer »Stattzeitung TERZ« (www.terz.org).

  • 1Anm. der Redaktion: Im Anschluss an eine Demonstration von Christian Worch im Juli 2002 in Soest fand in einer Veranstaltungshalle in Bottrop ein RechtsRock-Konzert mit der Band Oidoxie statt. Die Halle wurde von Dennis Kr. bei einem türkischen Geschäftsmann angemietet. Unter den 250 TeilnehmerInnen wurden auch mehrere bekannte, frühere Blood & Honour - AktivistInnen von der Polizei festgestellt. So Dieter Riefling (ehem. Blood & Honour Sektion Niedersachsen) und Petra M., welche zeitweilig die Leiterin der Blood & Honour Sektion Saar gewesen sein soll.