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De-Fence it! Anti-Lager-Tour als Grenzcamp-Nachfolgeprojekt

Gregor Samsa (Gastbeitrag)
Einleitung

Im verflixten 7. Jahr hat es nun auch das Antirassistische Grenzcamp erwischt. Die politischen Differenzen innerhalb des Vorbereitungszusam­men­hangs hatten sich im Zuge des letztjährigen Grenzcamps in Köln einmal mehr zugespitzt – nicht zuletzt auf der persönlichen Ebene, so dass am Ende nur noch wenige der bislang an der Vorbereitung beteiligten Grup­pen und AktivistInnen Interesse an einer direkten Fortführung des Pro­jektes bekundeten.1

  • 1Die verschiedenen Auseinandersetzungsebenen sind schlicht zu komplex und zu verschachtelt, als dass sie auf die Kürze darstellbar wären. Vgl. stattdessen: ak 477, phase2.10, interim 582–585, wildcat 67

Vor diesem Hintergrund hatte eine der ‚Fraktionen‘ des bisherigen Grenz­camp-Zusammenhangs Anfang 2004 zu einem offenen Treffen eingeladen, auf dem über konkrete Nachfolge-Projekte diskutiert wurde. Etwa 70 Menschen waren gekommen, davon knapp die Hälfte AktivistInnen aus selbstorganisierten Flüchtlings­grup­pen, insbesondere von der Karawane, The Voice und der Brandenburger Flücht­­lingsinitiative. Beschlossen wur­­de, den Grenzcamp-Faden nicht völlig abreißen zu lassen. Es soll in diesem Sommer deshalb eine 12-tägige Anti-Lager-Tour stattfinden. Konkret sollen 6–8 Lager angesteuert werden – im Wechsel Abschiebeknäste, Sammel­unter­künfte für Flüchtlinge, Zentrale Erstaufnahmestellen und Ausreise­zentren, d.h. Abschiebelager. An 2 Orten soll 3–4 Tage gecampt werden, für die übrigen Orte sind eher Stipp­visiten vorgesehen. Auf jeden Fall soll es überall – in Kooperation mit lokalen Vorbereitungsbündnissen – entschiedene De-Fencing – und andere Aktionen geben.

Während der mehrtägigen Camp-Aufenthalte sollen außerdem – a la Grenzcamp – (interne) Veranstaltungen, Diskussionen, Musik- und Filmevents, etc. stattfinden. Eine zentrale Rolle wird hoffentlich auch das Touren im Konvoi spielen. Zum einen dürfte es bereits ein kleines Spektakel an sich sein, mit ca. 2 Bussen und 20–30 PKWs durch Städte, auf Landstraßen und über Auto­bahnen ‘dahinzuschippern’. Wir sehen darin eine große Chance, spektakulär auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Zum anderen müssen wir damit rechnen, dass der Konvoi nicht nur einmal durch die Polizei gestoppt werden wird; im Zweifelsfall einfach deshalb, um etwaige Verstöße gegen die Residenzpflicht zu ahnden (die Residenzpflicht untersagt es Flücht­lingen im Asylverfahren, den ihnen zugewiesenen Landkreis ohne Erlaub­nis der jeweiligen Ausländerbehörde zu verlassen; dezentrales Lagersystem und Residenzpflicht sind demnach die beiden Seite derselben Medaillie). Sollte es im Rahmen der Tour zu derartigen Polizeiübergriffen kommen, so glauben wir, das politisch zu unseren Gunsten umdrehen zu können. Schließlich bedeutet Touren nichts anderes, als das Recht auf freedom of movement in Anspruch zu nehmen – ein Zusammenhang, der uns politisch durchaus vermittelbar erscheint.

Grundsätzlich verfolgt die Tour (laut aktuellem Planungsstand) drei Ziele: Erstens soll die allgemeine Öffentlichkeit mit dem Skandal ‚Lager‘ selbst (ganz gleich, welches Lager) konfrontiert werden. In diesem Zusammen­hang wird es auch um die vor allem durch die reichen Industrienationen forcierte Globalisierung des Lager­systems gehen. Zweitens soll versucht werden, lokal an mindestens einem Ort massiv politischen Druck (mit) aufzubauen und auf diese Weise einen exemplarischen Beitrag zur Verbesse­rung irgendeiner besonders beschissenen Situation zu leisten. Drittens sollen die BewohnerInnen bzw. InsassInnen der einzelnen Lager durch unsere Besuche ermutigt und unterstützt werden, selbstorganisierte Widerstandsstrukturen zu entwickeln. Grundsätzlich ist noch nicht entschieden, an welche Orte wir konkret gehen werden, aber es ist klar, dass die Auswahl der Orte vor allem in Tuchfühlung mit diesen drei Zielen erfolgen wird.

Insgesamt gehen wir davon aus, dass zu den beiden drei bis vier tägigen Minicamps je 400–500 Leute kommen werden, für die gesamte Tour hoffen wir, mindestens 150–200 Leute mobilisieren zu können. Sollte es eine zentrale Zwischen- oder Abschlussaktion geben, etwa in Berlin, würden wir darauf setzen, dafür noch weit mehr Leute auf die Straße zu kriegen.

Dass wir uns im Rahmen der Anti-Lager-Tour vor allem auf das Thema ‚Lager‘ (und damit unmittelbar verknüpfte Themen wie Abschiebungen oder Residenzpflicht) konzentrieren möchten, hat zwei Gründe: Zum einen haben insbesondere die Grenzcamps immer wieder gezeigt, dass thematische Vielfalt ungewollterweise zur Selbst-Schwächung führen kann. Denn häufig wussten am Ende weder die Medien noch die allgemeine Öffentlichkeit noch die AktivistInnen selbst Bescheid, worum es im Kern überhaupt geht – mit der Konsequenz, dass die Proteste (neben anderen Gründen) noch weniger wahr- und ernstgenommen wurden als ohnehin. Demgegenüber wurde es letztes Jahr während der Aktionstage gegen das Ausreisezentrum Fürth von vielen als ausgesprochen wohltuend und powerstiftend erlebt, dass bei aller Vielfalt der Aktionen stets ein für sämtliche Beteiligten klarer Fokus (‚Lager schließen!‘) im Raum stand.

Die für ein linksradikales Großereig­nis außergewöhnlich intensive Bericht­­erstattung in Fürth1 hatte unseres Erachtens nicht zuletzt hiermit zu tun. Zum anderen steht die seitens der EU sowie einzelner EU-Regie­rungen aktuell betriebene Lager­politik schon seit längerem im kritischen Rampenlicht der Öffentlichkeit: So werden z.B. die in der BRD derzeit neu eingeführten sogenannten Aus­reise­zentren massiv von kirchlicher, gewerkschaftlicher, bürgerlich-liberaler, etc. Seite kritisiert. Noch heftiger gar wurde europaweit der von der britischen Regierung unterbreitete Vor­schlag in die Mangel genommen, wonach Flüchtlinge zukünftig rund um den Globus in EU-finanzierten und von der UN verwalteten Lagern untergebracht werden sollten, mit dem ‚Recht‘, etwaige Asylanträge einzig in diesen, nahe der jeweiligen Kriegs- und Krisenregion errichteten Lagern stellen zu können. Unseres Erachtens lohnt es, diese Fäden des öffentlichen Diskurses gezielt als strategische ‚Sprungbretter‘ zu nutzen.

Last but not least: Dass wir uns aus strategischen Gründen auf Lager konzentrieren möchten, heißt indessen nicht, dass wir kein Interesse an thematischen und sozialen Querver­bin­dungen hätten. Denn so viel steht fest: Lager stellen lediglich das dramatischste Beispiel der radikalen Ver­weigerung des ‚Rechtes auf Rechte‘ dar, sie verkörpern mit anderen Worten einen Trend, der im Zuge kapitalistischer Deregulierung und Prekärisierung immer mehr Menschen weltweit betrifft. In diesem Sinne sind wir sehr daran interessiert, im Rahmen der Anti-Lager-Tour Brücken­schläge zu anderen Teilbereichs­bewe­gungen herzustellen.