An Belohnungen denkt kaum jemand
Interview mit Stefan Klemp (Simon Wiesenthal Center)
Am 26. Januar 2005 stellte im Berliner Reichstagsgebäude Dr. Efraim Zuroff, Leiter des Jerusalemer Simon Wiesenthal Centers, die »Operation letzte Chance« vor. Ziel der Aktion, die seit 2002 in mehreren europäischen Staaten läuft, ist es, mit Hilfe von Hinweisen aus der Bevölkerung bislang nicht verurteilte NS-Täter vor Gericht zu bringen. Das Simon Wiesenthal Center prüft zunächst sämtliche eingehenden Informationen, Namen und Beweise. Lebt der mutmaßliche NS-Verbrecher noch? Ist er verhandlungsfähig? Wurde er wegen seiner Taten schon einmal angeklagt? Erst danach leitet das Center die Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Für Hinweise, die zur Verurteilung eines NS-Täters führen hat das Simon Wiesenthail Center eine Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt.
AlB: Können Sie das Konzept der »Operation letzte Chance« kurz darstellen?
Klemp: Die »Operation letzte Chance« setzt eine Belohnung für Hinweise aus, die zur Bestrafung eines NS-Täters führen. Im Grunde genommen geht es aber auch um die Belebung der Diskussion um die NS-Vergangenheit, und zwar in Europa, nicht nur in Deutschland.
AIB: Die »Operation letzte Chance« lief zunächst in den baltischen Staaten an und wurde dann auf Polen, Rumänien und Österreich ausgedehnt. Wie erklärt sich die Auswahl dieser Staaten?
Klemp: Zunächst wurden Staaten ausgewählt, in denen es die größten Versäumnisse bei der Verfolgung von Tätern gab.
AIB: Gab es Erfolge?
Klemp: Ja. In Litauen und Lettland wurden bisher 18 Strafverfahren eingeleitet. In vielen anderen Fällen laufen Vorermittlungen.
AIB: Was versprechen Sie sich von der »Operation letzte Chance« in Deutschland? Wie beurteilen Sie die Rolle der deutschen Justizbehörden bei der Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen?
Klemp: In der Vergangenheit hat es auch hier große Versäumnisse gegeben. Dennoch sind seit der Gründung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg in Deutschland im Jahr 1958 sehr viele Ermittlungsverfahren geführt worden. Im Vergleich zu anderen Ländern steht Deutschland gut da. Heute beispielsweise arbeitet das Wiesenthai Center gut mit Landeskriminalämtern und Staatsanwaltschaften zusammen. Wie wir aus den bisher eingegangenen 100 Anrufen entnehmen können, gibt es nach wie vor einen großen Bedarf an Aufklärung über die NS-Zeit.
AIB: Micha Brumlik, Leiter des Fritz-Bauer-Instituts, bezeichnete die »Operation letzte Chance« als »gegenaufklärerische« Aktion, die aufgrund der ausgesetzten Kopfprämien lediglich an die Cniederen Instinkte« appelliere. Wie stehen Sie zu dem Vorwurf?
Klemp: Blödsinn. Die Justiz setzt regelmäßig Belohnungen für Hinweise aus, die zur Ergreifung von Straftätern führen. Bei normalen Kriminellen sind Belohnungen normal, bei NS-Mördern sollen sie unmoralisch sein? Diese Argumentation ist lächerlich. Tatsächlich laufen bei uns alle möglichen Hinweise ein, aus denen sich interessante Rechercheprojekte ergeben können. An Belohnungen denkt kaum jemand.
AIB: Vielen Dank für das Gespräch
Dr. Stefan Klemp ist Historiker und Journalist; er ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Simon Wiesenthal Center tätig und Autor des Handbuches: »Nicht ermittelt.« Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch; Klartext -Verlag, Essen 2005.