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Kein Vergeben, kein Vergessen. Keine Ruhe für NS-Täter

Ein Beitrag der »Initiative gegen das Vergessen«
Einleitung

Bei der Vorbereitung einer Demonstration in Warschau für eine angemessene Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen erfuhren wir, dass eine Überlebende nicht kommen könne. Es lag Schnee, und sie hatte kein Geld für Winterschuhe. Dieses Detail ist typisch für die Lage ehemaliger ZwangsarbeiterInnen in Osteuropa, für sie ist auch das wenige Geld, das sie erwarten können, enorm wichtig; materiell, aber auch als Anerkennung ihrer Ansprüche, weil dadurch ihre Arbeit und ihr Leiden endlich gewürdigt werden würden. Wenn diese Menschen überhaupt noch etwas bekommen, dann muss es heute sein. Die meisten sind bereits gestorben, ohne einen Pfennig Entschädigung erhalten zu haben.

Eine Liste mit hunderten von Namen von Firmen, die in der Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter beschäftigt haben hängt am Bauzaun zum Bauplatz für das Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa in Berlin-Mitte.

In den letzten Jahren haben wir uns an verschiedenen Initiativen und Aktionen beteiligt, die sich mit der Entschädigung von NS-Opfern befasst haben. Dort kamen ganz unterschiedliche Leute zusammen: Manche kannten ehemalige Häftlinge des Frauen-KZ Ravensbrück, die Zwangsarbeit für Siemens leisten mussten. Geschichtsprojekte zur NS-Vergangenheit der Heimatstadt führten ebenso zu ZwangsarbeiterInnen wie die Kampagne gegen Firmen wie die Lufthansa, die heute Flüchtlinge abschiebt, und »ihren« ehemaligen ZwangsarbeiterInnen nie ihren korrekten Lohn gezahlt hat. Anti-Kriegs-AktivistInnen kamen unvermeidlich darauf, dass auf dem Balkan schon einmal deutsche Soldaten stationiert waren und dort Massaker begangen haben, deren Täter fast alle straffrei ausgingen und deren Opfer nie entschädigt wurden. Anderen machte die Kontinuität der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte – von polnischen LandarbeiterInnen über die NS-SklavenarbeiterInnen bis zu »GastarbeiterInnen« und heutigen migrantischen Entgarantierten – die Handlungsrelevanz des Themas »Entschädigung« bewusst.

Den Prozess begleiten

Obwohl sich viele von uns seit langem mit dem NS auseinandersetzen, lernten wir ehemalige ZwangsarbeiterInnen erst in den letzten Jahren kennen und begannen für die Durchsetzung ihrer Entschädigungsforderungen aktiv zu werden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Zusammenarbeit zwischen Verbänden wie der VVN – wo viele Überlebende und ehemalige ZwangsarbeiterInnen organisiert waren – und radikalen Linken wurde früher von beiden Seiten kaum gesucht. Persönliche Kontakte zu Überlebenden fehlten auch, da vor 1989 bzw. 1991 Verbindungen nach Mittelosteuropa, woher die meisten ZwangsarbeiterInnen kamen, kaum vorhanden waren. Ein letzter Anstoß waren die Entschädigungsklagen in den USA und die harte Position von Bundesregierung und deutscher Wirtschaft, die uns deutlich machten, dass es sinnvoll wäre, diesen Prozess mit Initiativen von links »zu begleiten«.

Notwendiger Druck

50 Jahre lang wurde den Opfern gesagt, es sei zu früh für Entschädigungen, da es noch keinen Friedensvertrag gebe. Heute, nach dem als Friedensvertrag anerkannten »Vier plus zwei-Vertrag«, wird ihnen gesagt, es sei nach über 50 Jahren zu spät. Diese Haltung, einen Schlussstrich unter die NS-Geschichte ziehen zu wollen, zynisch auf Zeit zu spielen und keine D-Mark oder Euro ohne entsprechenden Druck herauszurücken, findet sich bei der Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen ebenso wie bei den Opfern deutscher Kriegsverbrechen. Da die Linke weder über das Geld verfügt, noch der Schuldner ist, liegt es nahe, den Druck gegen die, die Geld haben und zahlen müss(t)en, aufzubauen – selbst wenn die linken Fähigkeiten/Möglichkeiten begrenzt sind. Immerhin können wir durch Veranstaltungen und Aktionen dazu beitragen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten.

Wir haben erlebt, dass öffentlichkeitswirksame Aktionen bei ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und Überlebenden auf viel Interesse stoßen und sie sich in ihren eigenen Anstrengungen gestärkt fühlen – das gilt für die anstehende zweite Rate der Entschädigungszahlungen ebenso wie für die Ansprüche der Opfer von Distomo wie für die der Roma und Sinti. Das zweite Motiv, hier etwas zu tun, war und ist die Entwicklung der BRD. Eine neue »Berliner Republik« hat sich in Richtung Großmacht aufgemacht und will ihren »historischen Ballast abwerfen«. Als »Schlussstrich« wertete Bundeskanzler Schröder Ende Mai 2001 den Beschluss des Bundestages, mit dem die »Rechtssicherheit« für deutsche Unternehmen – sprich: ihr Schutz vor weiteren Entschädigungs- und Lohnansprüchen ehemaliger NS-ZwangsarbeiterInnen – festgestellt wurde.

Dieser Schlussstrich ist nicht möglich, weil es nach wie vor »offene Rechnungen« zu begleichen gibt, und er kann auch nie gezogen werden, da in Deutschland die politisch-gesellschaftlichen Determinanten – Institutionen, politische Kultur, individuelle Sozialisation – und innen- und aussenpolitische (Großmacht)strategien immer von der NS-Geschichte geprägt sein werden. Für uns gilt es, die Erinnerung an die NS-Geschichte wachzuhalten und  dabei sowohl Solidarität mit den Überleben zu praktizieren, als auch den neoliberalen Alltag bewusst zu stören. Mit dem Hinweis darauf, zu welchen Entwicklungen die deutsche Gesellschaft fähig war und sein könnte.

Daimler-Benz war und ist einer der größten und wichtigsten Waffenproduzenten Deutschlands. In den besetzten Gebieten errichtete Daimler-Benz in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht viele »kriegswichtige« Werke. In diesen Werken beutete Daimler-Benz KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus. Es war üblich, dass Vertreter von Daimler-Benz in die Konzentrationslager kamen, um sich die Arbeitskräfte persönlich auszusuchen, so auch für Genshagen. Nach dem Krieg weigerte sich Daimler-Benz bis zuletzt, Lohnansprüche der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen anzuerkennen. Statt dessen ist Daimler-Benz wie die anderen Unternehmen jetzt, nach über 50 Jahren Nichtstun, der »Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft« beigetreten und hat damit die »billigste« Lösung gefunden: Das Stiftungsgesetz schließt Rechtsansprüche ausdrücklich aus und macht aus Menschen mit Lohn- und Entschädigungsansprüchen AlmosenempfängerInnen.

Frankfurt am Main, 31. Juli 2001. Im Rahmen eines Aktionstages zu Zwangsarbeit und Entschädigung des 4. antirassistischen Grenzcamps am Frankfurter Flughafen besetzen zwei Dutzend Personen vor den laufenden Kameras der Wirtschaftsredaktionen von n-tv und ZDF die Empore der Frankfurter Börse und bewerfen die Broker mit Erdnüssen und Flugblättern. An der Empore befestigen sie deutsche und polnische Transparente, auf denen die sofortige Entschädigung aller ZwangsarbeiterInnen durch die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft gefordert wird. Zeitgleich demonstrieren vor der Börse und in ihrem Foyer 200 GrenzcamperInnen. Die Börsensymbole Bulle und Bär werden mit Farbe übergossen. Alle Beteiligten verschwinden, bevor es zu Festnahmen kommen kann.

Warschau, 26. Januar 2002. Am Kopernikus-Denkmal versammeln sich etwa hundert Menschen im Namen der »Deutsch-polnischen Initiative Offene Grenzen – für eine Welt ohne Rassismus und Sexismus«. Am Vortag des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz demonstrieren die AktivistInnen aus den beiden Ländern für eine angemessene Entschädigung aller ehemaligen NS-ZwangsarbeiterInnen. Zur gleichen Zeit macht sich eine Delegation der DaimlerChrysler AG Berlin zur Warschauer Zentrale des Konzerns auf.1 Im Ausstellungsraum übergibt der Delegationsleiter ein Schreiben des Konzernvorstands an den Filialleiter von DaimlerChrysler Automotive Polska: »Namens des Vorstands der DaimlerChrysler AG setze ich Sie davon in Kenntnis, dass auf der Aufsichtsratssitzung am 23. Januar 2002 beschlossen wurde, als Ausdruck unserer geschichtlichen Verantwortung und auch, um juristischen Maßnahmen zur Durchsetzung von finanziellen Ansprüchen ehemaliger Zwangsarbeiter zuvorzukommen, fünf Mercedes-Benz-Limousinen zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiter zu stiften. Vertreter der Opferverbände sind eingeladen worden, sie entgegenzunehmen [...].

Der Vorstand hat Termin und Ort der Spende wegen des großen öffentlichen Interesses der Warschauer Presse und deutschen Korrespondenten in Polen bereits mitgeteilt.« Entsprechend hatten sich Medienvertreter eingefunden. Im Verkaufsraum drängeln sich Fotografen, Journalisten und DemonstrantInnen, Limousinen werden mit polnisch-deutschen Aufklebern »Den Zwangsarbeitern gestiftet« versehen und vor der Zentrale ein Transparent mit der Aufschrift »Mercedes-Benz spendet ehemaligen Zwangsarbeitern Limousinen« entrollt. Die Schlüssel zu den Wagen bleiben jedoch unauffindbar. Die Delegation tritt vor die Presse: »Dieser Skandal [dass aus der Warschauer Zentrale nun doch nicht die fünf angeforderten Limousinen auf die Straße rollen] gehört auf die nächste Aktionärsversammlung«, erklärt sie den ZuhörerInnen und verschwindet.

Mittenwald, 19. Mai 2002. Seit über 50 Jahren veranstaltet die Gebirgsdivision I »Edelweiß« in Mittenwald zu Pfingsten eine Feier zu Ehren ihrer toten »Helden«. Am Pfingstsamstag 2002 störten 50 AntifaschistInnen die Gedenkfeier und forderten eine Entschädigung der Überlebenden der von dieser Wehrmachtseinheit verübten Massaker.

Berlin, 9. Juni 2002. Etwa 50 DemonstrantInnen besetzen den berühmten Pergamonaltar. Auf griechischen und deutschen Transparenten fordern sie die sofortige Entschädigung der Opfer deutscher Kriegsverbrechen. Vor dem Pergamonmuseum findet eine Kundgebung statt.

Ausführlicheres zu den Aktionen in Mittenwald und Berlin steht im AIB # 56, Seite 33.

  • 1Daimler-Benz war und ist einer der größten und wichtigsten Waffenproduzenten Deutschlands. In den besetzten Gebieten errichtete Daimler-Benz in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht viele »kriegswichtige« Werke. In diesen Werken beutete Daimler-Benz KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus. Es war üblich, dass Vertreter von Daimler-Benz in die Konzentrationslager kamen, um sich die Arbeitskräfte persönlich auszusuchen, so auch für Genshagen. Nach dem Krieg weigerte sich Daimler-Benz bis zuletzt, Lohnansprüche der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen anzuerkennen. Statt dessen ist Daimler-Benz wie die anderen Unternehmen jetzt, nach über 50 Jahren Nichtstun, der »Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft« beigetreten und hat damit die »billigste« Lösung gefunden: Das Stiftungsgesetz schließt Rechtsansprüche ausdrücklich aus und macht aus Menschen mit Lohn- und Entschädigungsansprüchen AlmosenempfängerInnen.