Provokation der Normalität
Eckart SchörleDie Industriebrache der Firma Topf & Söhne in Erfurt
Mit großer öffentlicher Resonanz präsentierte das Jüdische Museum in Berlin im Sommer 2005 erstmals die Ausstellung »Techniker der ‚Endlösung‘. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz«. Die in der Gedenkstätte Buchenwald entstandene Ausstellung befasst sich mit der Geschichte der Erfurter Firma Topf & Söhne, jener Firma, die durch die Entwicklung und Herstellung der Krematorien für die nationalsozialistischen Vernichtungslager maßgeblich an der Umsetzung des Holocausts beteiligt war. Mit einem genauen Blick auf die Biografien der Ingenieure und Angestellten stellt die Ausstellung die Frage nach Mitwisserschaft und Mittäterschaft in den Mittelpunkt.
Topf & Söhne wurde 1878 als Spezialbetrieb für Feuerungstechnik in Erfurt gegründet. Die rasch expandierende Firma produzierte Dampfkessel, Mälzereianlagen für Brauereien, Speicherbauten für die Landwirtschaft und Einäscherungsanlagen für Krematorien. Die Feuerbestattung war Anfang des 20. Jahrhunderts aufgrund der geringeren Kosten zunehmend populär geworden. Das massenweise Verbrennen menschlicher Leichen wurde jedoch erst mit den speziellen Konstruktionen und Weiterentwicklungen durch die Ingenieure von Topf & Söhne ermöglicht. Das Unternehmen leistete somit eine eigenständige und wesentliche Voraussetzung für die fabrikmäßige Durchführung des Völkermordes an den europäischen Juden.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde der Betrieb verstaatlicht und produzierte in der DDR unter dem Namen Erfurter Mälzerei- und Speicherbau (EMS) weiter. Trotz des antifaschistischen Selbstverständnisses des neuen Staates war eine umfassende Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte von Topf & Söhne kein Thema. Lediglich vier leitende Angestellte gelangten in sowjetische Haft. Ein großer Teil der Belegschaft arbeitete später bei EMS weiter. Dass Topf & Söhne die Krematorien für die Vernichtungslager produziert hatte, war allgemein bekannt. Schließlich erinnert das stolz angebrachte Firmenlogo an den Ofenklappen im Krematorium der wenige Kilometer entfernt gelegenen Gedenkstätte Buchenwald bis heute an diesen Zusammenhang.
Rückkehr der Vergangenheit
Mit dem Konkurs der Firma EMS im Jahre 1996 geriet die Vergangenheit des Geländes stärker ins Blickfeld. Die Anstöße zur Auseinandersetzung mit der Geschichte von Topf & Söhne kamen jedoch von außen: Der Erste, der sich umfassend mit den Krematorien der Erfurter Firma beschäftigt hatte, war der französische Revisionist Jean-Claude Pressac. Er wollte ursprünglich die Nichtexistenz der Gaskammern nachweisen, musste sich nach umfangreichen Archivrecherchen jedoch eines Besseren belehren lassen. Als einer der wenigen Angehörigen der Familie Topf nahm der in Berlin lebende Journalist Hartmut Topf, ein Urenkel des Firmengründers, die Herausforderung einer kritische Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte an. Ende der 1990er Jahre gründete sich in Erfurt der Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne. Dieser fordert seitdem die Etablierung eines Geschichtsortes und eine dauerhafte Auseinandersetzung mit Topf & Söhne auf dem ehemaligen Firmenglände.
Die Stadt Erfurt hat lange Zeit eher verhalten reagiert. Die Aufforderungen an die Stadt Erfurt, vor der Industriebrache wenigstens ein Schild anzubringen, das auf die Bedeutung des Ortes hinweist, und entsprechende Wegweiser in der Stadt aufzustellen – wie es für jeden anderen historisch bedeutsamen Ort in Erfurt selbstverständlich ist – wurden immer wieder zurückgewiesen oder ignoriert.
Eine neue Dynamik brachte das Jahr 2001, als im April ein Teil des Geländes besetzt wurde. Seit über vier Jahren finden hier neben Punkkonzerten auch Lesungen und Vorträge statt, die sich mit der Geschichte von Topf & Söhne und dem Nationalsozialismus befassen. Das »Besetzte Haus« ist mittlerweile zu einer festen Größe in der Erfurter Kulturszene geworden und hält das Gelände weiterhin in der Aufmerksamkeit der breiteren Öffentlichkeit. Besetzt ist jedoch nur ein kleiner Bereich des Geländes, der größte Teil des Areals ist seit Jahren der Witterung ungeschützt ausgesetzt und verfällt zusehends.
Aufgeweckt durch die große Resonanz der Ausstellung »Techniker der ‚Endlösung’«, die von Oktober 2005 bis Januar 2006 auch im Erfurter Stadtmuseum zu sehen war, ist nun auch die Stadt aktiv geworden. Das inzwischen stark beschädigte Verwaltungsgebäude soll saniert werden, um dort die Ausstellung nach der internationalen Präsentation dauerhaft unterzubringen und in einen lebendigen Geschichtsort einzubinden. Diskutiert wird aber auch die Möglichkeit, vom authentischen Ort Abstand zu nehmen und die Ausstellung in einem Gebäude neben dem Stadtmuseum unterzubringen. Zentrales Anliegen des Förderkreises bleibt eine Auseinandersetzung mit Topf & Söhne auf dem historischen Gelände. Am Geschichtsort Topf & Söhne könnte die Thematisierung der Mitwirkung der deutschen Industrie am Holocaust einen wichtigen, neuen Akzent in der deutschen Erinnerungskultur setzen.
Die Firmengeschichte von Topf & Söhne sträubt sich gegen einfache Kategorisierungen und Erklärungsversuche. Weder waren hier fanatische Nationalsozialisten am Werk, noch warf das Geschäft mit den Öfen einen großen Gewinn ab. Der Ort provoziert daher in erster Linie durch die unhinterfragte Normalität, in der die Produktion der Öfen stattfinden konnte. Diese Normalität zu thematisieren, wird eine der zentralen Herausforderungen der künftigen pädagogischen Arbeit sein.
Ein Erzählcafé mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat gezeigt, dass bei vielen eine hohe Identifikation mit Topf & Söhne und dessen Nachfolgebetrieb besteht. Beide Unternehmen waren angesehene Firmen und man war stolz, wenn man hier als junger Lehrling einen Ausbildungsplatz bekam. Umso schwerer fällt es offenbar, das nationalsozialistische Krematoriumsgeschäft als Bestandteil der Firmengeschichte zu akzeptieren.
Tödlicher Arbeitsalltag
Es bleibt also die erschreckende Tatsache, dass sich gegen die Entwicklung dieser Öfen keinerlei Widerstand entwickelt hat. Ohne äußeren Zwang hat das Unternehmen die Verbrennungsöfen für den Dauerbetrieb konstruiert, produziert und vor Ort aufgebaut. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte von Topf & Söhne stellt damit nicht nur die Frage nach individueller Schuld und Verantwortung. Es geht auch um eine kritische Reflexion des Arbeitsalltags, in dem dies möglich wurde.
Wie eine kritische Reflexion von Produktion und Arbeit in einem künftigen Geschichtsort Topf & Söhne thematisiert werden kann, ist offen. Während sich Gedenkstättenpädagogik überwiegend an Gymnasien richtet, könnte in Erfurt ein anderes Publikum angesprochen werden. So gibt es Bestrebungen, den Berufs- und Arbeitsalltag zum Ausgangspunkt zu nehmen und mit dem Geschichtsort insbesondere Berufsschulen stärker in den Blick zu nehmen. Dass es dafür noch keine fertigen Konzepte gibt, liegt auf der Hand. Schließlich wird an Berufsschulen nicht einmal das Fach Geschichte angeboten. Es gilt also, eine Gruppe zu sensibilisieren, die wenig Vorwissen über den Nationalsozialismus mitbringt. An die Stelle reiner Wissensvermittlung müsste die Anregung zur Reflexion des eigenen Arbeitsalltags treten.
Eckart Schörle ist Historiker und Mitglied des Förderkreises Geschichtsort Topf & Söhne.
Weitere Informationen:
www.topf-holocaust.de (Förderkreis)
www.topf.squat.net (Besetztes Haus)
www.topfundsoehne.de (Ausstellung)