Unterstützung für Verfolgte des NS bleibt wichtig
Lothar Evers (Gastbeitrag)»Verfolgte des Nationalsozialismus«, ja leben die denn überhaupt noch? So lautet die Standardfrage, die uns immer wieder begegnet, wenn wir über die Arbeit unserer "Informations- und Beratungsstelle für NS-Verfolgte" berichten. Die Frage kommt von linken und fortschrittlichen Menschen wie auch von älteren konservativen. Die Antwort lautet ja, und zwar viele.
Der Entschluß, eine Informations- und Beratungsstelle zu gründen, die allen Opfern des Nationalsozialismus offensteht, entstand Ende der achtziger Jahre. Vorausgegangen war eine Kampagne für die vergessenen Opfer. Im Juni 1987 konnten all diejenigen, die bisher nie als Verfolgte des Naziterrors anerkannt worden waren und die oft auch nach 1945 sozialer Diskriminierung und Kriminalisierung ausgesetzt waren, ihre Anliegen im Innenausschuß des Deutschen Bundestages vortragen:
- Opfer der »Euthanasie« und Zwangssterilisation;
- »Wehrkraftzersetzer«;
- Homosexuelle;
- Sinti und Roma;
- Kommunisten;
- »Asoziale«;
- Zwangsarbeiter.
Ausgeschlossen
Die genannten Gruppen sind aus der deutschen Entschädigungsgesetzgebung systematisch ausgegrenzt worden. Die zuständigen Behörden und verantwortlichen Politiker loben das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) zwar gerne als beispielhaft und umfassend. Seine Funktion war jedoch keineswegs, die Opfer der Naziherrschaft im Sinne eines Schadenersatzes zu entschädigen.
Vielmehr wurde gerade dieser Schadensersatz verweigert und nur einige spezielle Gruppen und Tatbestände in das Entschädigungswerk einbezogen. Der § l des BEG beschränkte Entschädigungszahlungen auf diejenigen, die aus Gründen der "Rasse", der politischen Überzeugung oder der Religion verfolgt worden waren. Alle anderen Gruppen blieben von jeder Leistung ausgeschlossen.
Ausgeschlossen blieb auch jede Entschädigung für Körperverletzung, wenn diese nicht zu bleibenden Gesundheitsschäden oder dem Tod des Verfolgten geführt hatte, für geleistete Zwangsarbeit und einige andere Verfolgungstatbestände. Die Haft in einem Konzentrationslager wurde mit nur 5,00 DM pro Tag abgegolten. Zahlreiche Verfolgte konnten Entschädigungsleistungen nur durch langjährige Prozesse erstreiten.
Viele gingen ganz leer aus. Die Zuständigkeit für Entschädigungszahlungen innerhalb der Bundesregierung lag direkt beim Bundesfinanzminister. Dies war schon in den fünfziger und sechziger Jahren für die Betroffenen nicht erfreulich. In der derzeitigen Krise der öffentlichen Haushalte verschärft sich die Situation. Die Betroffenen sind oft mit einem an rein monetären Kriterien orientierten bürokratischen Entscheidungsprozeß konfrontiert.
Bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche sind sie auf Beratung und Unterstützung angewiesen. Diese leisteten in der jungen Bundesrepublik oft JuristInnen, die selber verfolgt bzw. aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt waren. Diese erste Generation von BeraterInnen hat inzwischen längst das verdiente Rentenalter erreicht.
Praktische Kooperation
Unser Projekt ist der Versuch, trotzdem kompetenten Beistand für alle Verfolgten des Nationalsozialismus sicherzustellen. Unsere kleine Beratungsstelle in Köln ist die einzige Stelle weltweit, die heute allen Opfern des Nationalsozialismus unabhängig von Nationalität, Religion und Verfolgungsschicksal zur Verfügung steht. Wir beschaffen verlorengegangene Dokumente, forschen in Archiven, vertreten die Betroffenen gegenüber Entschädigungsbehörden und - wenn es sein muß - auch vor Gericht.
Mit diesem praktischen Kooperationsprojekt hat sich auch die Zusammenarbeit der Verfolgtenverbände erheblich verbessert. Die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung hatte keineswegs dazu geführt, daß die Betroffenen sich nach dem Ende des Terrors auch leicht zusammenschlössen. Die Segregation der Lager, das gegenseitige Mißtrauen erschwerte über viele Jahre jede Zusammenarbeit.
Im Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte arbeiten ganz unterschiedliche Organisationen mit dem Ziel zusammen, praktische Unterstützungsarbeit für Verfolgte zu leisten. Sozialdemokraten kooperieren mit Kommunisten, Homosexuelle mit politisch Verfolgten, Zwangssterilisierte mit Deserteuren, jüdische Verfolgte mit sogenannten Asozialen. In den sieben Jahren unserer Existenz ist es uns gelungen, ein umfassendes Fachwissen und auch ein stattliches Archiv zur Unterstützung der Betroffenen einzurichten. Wir beschränken unsere Arbeit nicht auf die Unterstützung von Individuen. Immer da, wo wir für einzelne Verfolgte nichts erreichen können, weil die Gesetze oder die Behördenpraxis Leistungen ausschließen, versuchen wir politische Initiativen zu ergreifen. Und da gibt es weiß Gott genug zu tun.
Opfer der NS-Militärjustiz
Fast fünf Jahre hat der Deutsche Bundestag gebraucht, bis er im Mai eine Resolution, die Opfer der NS-Militärjustiz endlich als Verfolgte anerkennt und mit einer einmaligen Zahlung von 7.500, 00 DM wenigstens minimal entschädigt, verabschiedete. Das für die Ausformulierung der Richtlinien zuständige Bundesfinanzministerium versucht nun, die Angehörigen der 20.000 von der deutschen Militärjustiz hingerichteten Soldaten von diesen Leistungen auszuschließen. Antragsberechtigt sollen nur diejenigen sein, die die Urteile der Militärjustiz überlebten und auch heute noch persönlich einen Antrag stellen können.
Opfer des Nationalsozialismus in Mittel- und Osteuropa
Während des kalten Krieges weigerte sich die Bundesregierung generell, Entschädigungszahlungen nach Mittel- und Osteuropa zu zahlen. Ausgerechnet dort, wo das Morden stattgefunden hatte, endete die Zuständigkeit der deutschen Entschädigungsgesetzgebung.
Die Behauptung, dies tue man um den kommunistischen Osten keine Devisen zuzuspielen, erweist sich als Scheinargument: Selbst während der Zeit des kalten Krieges war man nicht daran gehindert, deutschstämmige Angehörige der deutschen Wehrmacht und der Waffen SS mit regelmäßigen Zahlungen auszustatten. Diese Praxis wurde bis heute beibehalten. Während das Bundesversorgungsgesetz, das für die Entschädigung von Gesundheitsschäden der Soldaten und Waffen SS-Angehörigen zuständig ist, bis heute für Neuanträge geöffnet bleibt und auch in Mittel- und Osteuropa gilt, ist das Bundesentschädigungsgesetz für Verfolgte des Nationalsozialismus seit 1969 für Neuanträge geschlossen und hat im Übrigen in den genannten Ländern nie gegolten.
Das führt zu der paradoxen Situation, daß heute kein einziger Überlebender des Holocaust in Mittel- und Osteuropa eine regelmäßige Rentenzahlung aus der Bundesrepublik Deutschland erhält.
Die Bundesregierung ist - im Wortsinne - , »stiften gegangen«. Sie hat für die ehemalige Sowjetunion und Polen eine Milliarde bzw. 500 Millionen DM bereitgestellt; um »Stiftungen der Versöhnung« einzurichten. Die Summen reichten lediglich Für einmalige Almosenzahlungen von unter 1.000 DM. Eine Milliarde einmalig für die Kompensation aller Schrecken des verbrecherischen Angriffskrieges auf die Sowjetunion eine beschämende Summe, wenn man weiß, daß im Bundeshaushalt 13 Milliarden jährlich für die Zahlung von Kriegsopfern zur Verfügung stehen.
Alexander Bergmann ist Sprecher der Überlebenden des Ghettos von Riga (Lettland). Seit er 1989 an die Bundesregierung appellierte, die 120 Überlebenden des Ghettos Riga endlich zu entschädigen, sind bereits mehr als 40 der Überlebenden verstorben. Offensichtlich weiß man im Bonner Finanzministerium genau, daß die Zeit in diesem Fall gegen die Verfolgten läuft.
Entschädigung für NS Zwangsarbeit
Ähnlich erging es auch hunderttausenden der überlebenden ZwangsarbeiterInnen. Einige von ihnen haben in den letzten Jahren versucht, Entschädigung juristisch zu erstreiten. Meist wehrten die Gerichte ihre Ansprüche ab. Wenn es wie vor wenigen Wochen beim Landgericht Bonn doch einer Verfolgten gelang, ihr Recht zu bekommen, geht die Bundesregierung in Revision und hofft, daß die klagende Verfolgte den Ausgang des Verfahrens nicht mehr erleben wird.
Unsere Erfahrungen mögen resignativ und ein bißchen weinerlich erscheinen. Das wäre ein Mißverständnis. Wir haben auch Erfolge: Da ist der über 80jährige Sozialhilfeempfänger für den wir nach zähen Prozessen eine Verdoppelung seines Einkommens und eine Nachzahlung von über 30.000 DM erstreiten konnten. Da ist der mit 15 Jahren in das Jugendkonzentrationslager Mohringen verschleppte Verteiler von Flugblättern, dem man aufgrund seines Alters die Einstufung als politisch Verfolgter verweigert hatte. Fünf Jahre haben wir für ihn prozessiert. Wenige Tage vor seinem sechzigsten Geburtstag ist er nach einem Prozeß bis zum Oberlandesgericht endlich zu seinem Recht gekommen.
Vernetzung
In den letzten Jahren ist für uns eine internationale Vernetzung bei unserer Arbeit immer wichtiger geworden. Insbesondere unsere Kontakte in die Vereinigten Staaten haben uns gezeigt, wie sehr dort die lebendige Erinnerung an das Verfolgungsschicksal bis heute die politische Kultur prägt. Seitdem wissen wir, daß viele Schwierigkeiten unserer Arbeit damit zu tun haben, daß wir sie im Land der Täter leisten.
Insofern hat sich unser Team ein Prinzip des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, der schon in den zwanziger Jahren von den italienischen Faschisten inhaftiert wurde und daher den Kontakt mit seinen Genossen durch Gefängnisbriefe aufrecht erhalten mußte, zu eigen gemacht:
»Meine Analyse ist durchaus pessimistisch, wird aber durch einen Optimismus der Tat ergänzt. Seit ich mein Handeln nicht mehr auf Illusionen aufbaue, bin ich nur noch selten unangenehm überrascht. Um welche Situation es auch gehen mag: Immer kann ich mir (auch) einen katastrophalen Ausgang vorstellen... Immer war ich mit unbegrenzter Geduld bewaffnet, Geduld nicht jener passiven innerlichen Art, sondern eine Geduld, die mit Ausdauer gepaart ist«.
Hinweis der AIB- Redaktion:
Nach Eingang von Lothar Evers' Artikel erfuhren wir während der Schlußredaktion des AIB Nr. 42 von einem voraussichtlich bevorstehenden Kompromiß bezüglich der Entschädigung osteuropäischer Opfer. Demnach einigten sich die »Jewish Claims Conference« (JCL) und die Bundesregierung Mitte Januar nach langjährigen Verhandlungen auf die Zahlung von 200 Millionen Mark in jährlichen Raten bis zum Jahr 2002. Verwaltet werden die Gelder von einer Stiftung des JCL.
Die Organisation wurde 1951 gegründet, um die Ansprüche jüdischer Verfolgter außerhalb Israels geltend zu machen. Das Interesse der Bundesregierung war es vor allem, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Angesichts des hohen Alters der meisten Überlebenden und unter Hinweis auf die Kaufkraftunterschiede der DM in Osteuropa ließ sich die JCL jetzt auf einen monatlichen Betrag von 250,- DM pro Opfer ein, die Hälfte der entsprechenden Ansprüche westeuropäischer Entschädigter. Damit sind aber noch bei weitem nicht alle Opfer in die Entschädigungen einbezogen. Entschädigungen für ZwangsarbeiterInnen stehen z.B. nach wie vor aus.