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Bier und Bockwurst zur Ehrenrettung

Einleitung

Berlin feiert den 8. Mai

Eine Erinnerungsfeier soll es sein. Der Berliner Senat, Organisator dieser »Feier«, wollte so mal wieder ein Zeichen setzen, dem Kriegsende vor 60 Jahren gedenken. »Nur wenn wir die Erinnerung an das Leid der Kriegsjahre und an die Opfer der Gewaltherrschaft wachhalten, bleibt uns bewusst, wie wichtig und zukunftsweisend Freiheit, Demokratie und Menschenrechte für uns sind«, heißt es in der Einladung.

Lichterkette am Brandenburger Tor gegen Rassismus und Nationalismus anlässlich des 60. Jahrestages der Niederschlagung des Faschismus.

Zu den Erstunterzeichnern gehörten alle üblichen Verdächtigen aus deutscher Politik, Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden. Stolz verkündete der Landespressedienst in den Tagen zuvor ständig neue Namen von prominenten UnterstützerInnen. Boris Becker, Alfred Biolek, Bruno Ganz, Herbert Grönemeyer, Sigmund Jähn, Udo Lindenberg, Marius Müller-Westerhagen, um nur einige zu nennen. Das Fest-Angebot folgt dem üblichen Rahmen.

Musik, Bier, Bratwurst – Hüpfburg und umlagerte Imbissbuden. Erinnerung hat es schwer zwischen Bratenfett und Showprogramm. Dazwischen immer wieder die Stände von verschiedenen Vereinen, Initativen und Organisationen. Der Stand der Bundeszentrale für politische Bildung ist eine erste Adresse für die allgegenwärtigen Souvenirjäger. Hier gibt es Faltblätter, Broschüren und Bücher umsonst zum mitnehmen. Wer Glück hat ergattert sogar einen der begehrten Kugelschreiber.

Das demokratisch tolerante Merchandising wird allerorten kiloweise in mitgebrachten Plastiktüten verstaut. Wer Gesicht zeigen will, kann dies am Stand des »Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt« tun. Am Ende haben sich 600 Personen an der »interaktiven Fotoaktion« beteiligt. Knipsen gegen Rechts sozusagen. Bei der CDU/CSU ist eher weniger los – dafür ist der Kaffee umsonst.

Schräg gegenüber hat eine jener Initativen gegen Rechts ihren Stand aufgebaut, denen Unionsgeführte Landesregierungen bis zur Existenznot die Gelder kürzen. Allein in Berlin wird es deshalb von 45 solcher Initativen im nächsten Jahr nur noch 30 geben. Dass der »Tag der Demokratie« ziemlich genau den gleichen Betrag kostet, der den Initativen das Überleben sichern würde, ist zynisch. Die Festbesucher kümmert das in der Regel wenig.

Während einige der prominenten Musiker das Volksfestpublikum unterhalten, finden Gesprächsrunden mit anderen Erstunterzeichnern statt. Was ausgerechnet B-Promis wie Ben, Jeanette Biedermann oder Darius Michalczewski für politisch-thematische Beiträge qualifiziert, bleibt so nebulös wie so manches an diesem Tag. Aber alle warten schließlich auf den Bundespräsidenten.

Horst Köhler tritt ab 15.00 Uhr vor die Kameras. Seine später heiß gelobte Rede schlägt den Bogen von den Tagebucheinträgen eines deutschen Kriegsgefangenen in Schottland über die Verbrechen des Holocaust und die Schrecken des Krieges bis zur Gegenwart Deutschlands das sich als Nation wiedergefunden habe. Anders als im geschichtsrevisionistischen Diskurs, der aufrechnete, relativierte und verdrängte, wird die deutsche Schuld von Köhler nicht geleugnet, sondern eingestanden.

Am Ende aber mit einem symbolischen »aber« versehen. Wichtig ist ihm die Erinnerung an die »mehr als eine Million Landsleute, die in fremder Gefangenschaft starben, und der Hunderttausende deutscher Mädchen und Frauen, die zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt wurden.« Er betont: »Wir gedenken des Leids der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen, der vergewaltigten Frauen und der Opfer des Bombenkriegs gegen die deutsche Zivilbevölkerung.«

Der ursächliche Zusammenhang mit dem deutschen Vernichtungskrieg bleibt unerwähnt. Für den darauf folgenden 8. Mai haben die Jungen Nationaldemokraten (JN) am Alexanderplatz zur Demonstration aufgerufen. Das Motto: »60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult«. Im Vorfeld hatte der Bundestag erfolglos versucht, die Demo durch eine Änderung des Versammlungsgesetzes zu verhindern. Die befürchtete Blamage für Köhlers »weltoffenes Deutschland« wäre zu groß gewesen. Am Ende blieb der »Tag der Demokratie«.

Die Erklärung, wie das Motto zur wiederholten Einschränkung der Versammlungsfreiheit passt, bleibt das politische Berlin schuldig. Das Fest soll den Image-Schaden abwenden, der entstehen würde, wenn die Neonazis vom Alexanderplatz durch das Brandenburger Tor zum Holocaust-Mahnmal marschieren würden. Der Tag beginnt mit einer Ansprache von Bischof Wolfgang Huber, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche.

Der 8. Mai sei ein Tag der Befreiung, »auch wenn wir eingestehen, dass die Befreier keine Erlöser waren, sondern Menschen, die anderen Schweres zumuteten.« Da sind sie wieder, die »deutschen Opfer« und haben scheinbar auch in Kirchenkreisen Konjunktur. Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, legt den Schwerpunkt seiner Predigt auf diejenigen, für die es am 8. Mai »nichts zu jubeln« gab, auch wenn dieser Tag »objektiv der Tag der Befreiung war«. Außerhalb der Kirchenmauern ist Berlin in der Hand der Polizei.

9.000 Beamte aus verschiedenen Bundesländern, zehn Wasserwerfer und zehn Räumpanzer sind im Einsatz. Aus der Luft werden sie von Hubschraubern unterstützt. Während sich am Brandenburger Tor das Volksfest vom Vortag wiederholt und sich am Alexanderplatz inzwischen ca. 2000 Neonazis eingefunden haben (die NPD hatte mit mindestens 5.000 Teilnehmern gerechnet), findet eine große antifaschistische Demonstration statt.

Nach offiziellen Angaben nehmen 15.000 Menschen daran teil. Während sich seit dem Vortag geschätzte 100.000 Menschen an den Imbissbuden vorm Brandenburger Tor den Neonazis in den Weg stellen, versucht die von 100 antifaschistischen und linken Gruppen organisierte Demo zum Alexanderplatz vorzudringen. Hier trifft sie auf weitreichende Absperrungen der Polizei. Am Palast der Republik bildet sich daraufhin eine große Sitzblockade.

Die Polizei schickt nicht wie noch zuvor am 1.Mai in Leipzig ihre Wasserwerfer und Einsatzhundertschaften zur Räumung aus, sondern versucht die AntifaschistInnen mit »Antikonfliktteams« zum Nachhausegehen zu überreden. Dieses Unterfangen scheitert erwartungsgemäß. Auf dem Alexanderplatz ist die Stimmung eher gedämpft. NPD-Chef Udo Voigt versucht seine Anhänger zu begeistern und erklärt: »Das ist ein Tag der Trauer! Wir haben damals ein Drittel des deutschen Reiches verloren.«

Das Showprogramm der NPD ist eher bescheiden. Statt Bier und Bratwurst gibt es Limo aus Plastikflaschen und Brötchen mit Blutwurst. Thomas »Steiner« Wulff versucht sein Bestes. »Ob Regen oder Sonnenschein, wir lassen Deutschland nicht allein«, mehr hat auch er nicht zu bieten. Als langsam die Redner auszugehen scheinen, entscheidet die Einsatzleitung der Polizei, die Demonstration abzusagen.

Die Enttäuschung und einen kleinen Ausbruchsversuch ihrer Anhänger sitzt die NPD-Spitze aus. Dafür wird sie in den darauf folgenden Tagen noch eine Menge Kritik aus den eigenen Reihen ernten. Das abschließende Singen der Nationalhymne in allen 3 Strophen scheitert fast an mangelnder Textkenntnis und musikalischem Unvermögen.

Das klappt in jedem Fußballstadion besser. Auf Seiten der mehreren tausend AntifaschistInnen und engagierten BürgerInnen löst die Mitteilung von der verhinderten NPD-Demonstration Jubel aus. In den Tagen darauf feiert sich die Berliner Republik. Von einem »Triumph für die Stadt« und einem »1:0 gegen die Neonazis« ist die Rede. Frank Henkel, Abgeordneter der CDU, spricht von einem »polizeilichem Meisterstück«.

»Es wäre unverhältnismäßig gewesen, die Wegstrecke durch den Einsatz von Zwangsmitteln frei zu machen«, erklärt Polizeipräsident Dieter Glietsch die Entscheidung der Einsatzleitung der Polizei. Der Innenexperte der PDS, Udo Wolf, sieht in dem Verlauf des Tages sogar eine »vertrauensbildende Maßnahme«. Es habe sich gezeigt, zu was die Zivilgesellschaft fähig sei, wenn alle Beteiligten – Bürger, Polizei und Antifa – die Scheuklappen fallen ließen.

Der regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, bringt die Intention des staatlichen Engagements auf den Punkt. »Ich sage Ihnen allen: Sie haben eine gute Sache getan – für unser Land, für sein Ansehen in der Welt und für unsere gemeinsame Zukunft.« SPD-Innensenator Ehrhardt Körting verdeutlicht, worum es ging. Der 8. Mai sei eine »besondere Situation« gewesen. Keinesfalls dürfe man daraus schließen, dass fortan jeder Neonazi-Aufzug von der Polizei sofort untersagt wird, sobald sich Protest regt.

Den AntifaschistInnen, die maßgeblichen Anteil am Verlauf des 8. Mai in Berlin hatten, ist klar, was das bedeutet. Beim nächsten mal werden nicht die »Antikonfliktteams« der Polizei in der ersten Reihe stehen. »Besser ein verordneter Antifaschismus als ein tolerierter Neofaschismus« – die Holocaust-Überlebende Erika Baum trifft mit diesem Satz die Auffassung vieler GegendemonstrantInnen.

Die staatliche Vereinnahmung des Protestes wurde wohl oder übel hingenommen. Die Fassade des staatlich organisierten Antifaschismus bröckelt schnell wie die nachfolgenden Diskussionen um die Kosten des »Tags der Demokratie« zeigen. FDP und CDU betonen, es sei ihnen mehr um den symbolischen Gehalt gegangen, finanziell wolle man sich hingegen nicht beteiligen.