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Mit verändertem Versammlungsrecht gegen Nazis?

Sönke Hilbrans und Wolfgang Kaleck Rechtsanwälte aus Berlin.
Einleitung

Neues Recht – Altes Spiel

Neofaschistische Aufmärsche an symbolisch für die Berliner Republik zentralen Orten sind per se hässliche Szenen und produzieren ebensolche Bilder. Werden sie medial serviert, bahnt sich eine Legitimationskrise sowohl für die politische Mitte als auch die Politik der so genannten inneren Sicherheit an.

Neofaschistische Kader haben in den letzten Jahren ihre versammlungsrechtlichen Lektionen gelernt und nehmen immer gewagtere Projekte in Angriff. Nie war der Ruf nach Sonderrecht »gegen Rechts« lauter – herausgekommen ist einmal mehr symbolische Politik. Die politische Praxis hat sich derweilen einem weiteren Instrument zugewandt: staatliche Großveranstaltungen an Stelle politisch ungewollter Versammlungen.

Das Gesetz

Im Herbst 2004 meldeten die Jungen Nationaldemokraten für den 8. Mai 2005 eine Demonstration an, die am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas vorbei zum Brandenburger Tor führen sollte. Wie die Strecke war das Thema eine Provokation: »60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult«. Es war nicht der erste und wird nicht der letzte Versuch der Rechtsextremen sein, im symbolischen Herz der Berliner Republik für einige Stunden die Straße zu erobern und im Schutze der Versammlungsfreiheit der Republik und ihren Symbolen den Streit zu verkünden. Es durfte angenommen werden, dass die Berliner Innenverwaltung, die bisher Sicherheitsbedenken gerne zum Anlass genommen hat, Nazidemonstrationen aus der Innenstadt einigermaßen fernzuhalten, dazu für den 8. Mai 2005 Mittel und Wege finden würde.

Ein Restrisiko im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestand gleichwohl. Eine Verschärfung des Versammlungsrechts, wie sie als ordnungspolitisches Mittel der Wahl schon jahrelang kontrovers diskutiert wurde, lag für die Akteure im Deutschen Bundestag plötzlich zum Greifen nah. Das Versammlungsgesetz gibt sich, ebenso wie seine verfassungsrechtliche Wurzel in Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz, liberal und politisch neutral. Mit der Formel von der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (§ 15 Absatz 1 Versammlungsgesetz) kann eine politisch provokante Demonstration, von der selbst keine Gefahr von Straftaten ausgeht, grundsätzlich nicht verboten werden.

Wenn die neofaschistische Szene ein unverfängliches Versammlungsformat gewählt und die Disziplin aufgebracht hätte, dieses ohne volksverhetzende Parolen und ohne Randale einzuhalten, wäre ein Verbot einer Demonstration am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas rechtlich mithin nicht leicht zu begründen gewesen, andererseits aber nicht ausgeschlossen. Der semantische Aufwand zu diesem Zweck war bereits in der Vergangenheit ebenso beachtlich wie die Hintergrundinformationen, die für Verbotsbegründungen herangezogen wurden. Die Union brachte das bekannte Projekt der Erweiterung der Bannmeilen im Zentrum der Hauptstadt vor, dessen Charme sich jedoch augenblicklich an seinen verfassungsrechtlichen Grenzen erschöpfte: Mehr als den Schutz der Funktionsfähigkeit zentraler Verfassungsorgane hat die Versammlungsfreiheit von dieser Seite nach herrschender Meinung nicht hinzunehmen.

Demgegenüber wartete die Regierungskoalition mit dem Vorschlag auf, unter dem Dach der vorhandenen versammlungsgesetzlichen Verbotsnorm klarzustellen, dass an einem Ort, der »nationales Symbol« einer »organisierten menschenunwürdigen Behandlung« ist, der Billigung, Leugnung oder Verharmlosung dieser durch Versammlungsverbot zuvorgekommen werden darf. Das Nähere sollte die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates regeln. Verfassungspolitisch äußerst heikel ist und bleibt die gesetzliche Beschreibung verbotenen Verhaltens anhand politischer Kriterien. Eine allseits überzeugende Formel, die neofaschistische Aktivitäten und faschistische Wiederbetätigung identifizierbar macht und sich dem Verdacht politischen Gesinnungsrechts nicht aussetzt, dürfte bis heute nicht gefunden sein.

Vom bürgerrechtsliberalen Standpunkt aus sind weder Gesinnungsrecht noch eine Erweiterung von Bannmeilen erträglich. Entsprechend sahen sich die kursierenden Vorschläge und Gesetzentwürfe auch innerhalb der politischen Mitte heftiger Kritik ausgesetzt. Nur in einem waren sich alle einig: Eigentlich müsse der Kampf gegen Neofaschisten irgendwie politisch geführt und auch gewonnen werden. In einem nicht einmal vierwöchigen Gesetzgebungsverfahren wurde ein Kompromiss entwickelt, der das Verbot oder die Beauflagung von Demonstrationen »an einem Ort (...), der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert« ermöglicht, wenn »zu besorgen ist, dass durch die [Demonstration] die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.«

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist kraft Gesetzes ein solcher Ort; die Länder können weitere Orte gesetzlich bestimmen. Verfassungs- und geschichtspolitisch ist dieser kleine gemeinsame Nenner nicht der Dammbruch, der von bürgerrechtsliberaler Seite befürchtet wurde. Da das Versammlungsgesetz unterhalb der Schwelle des Verbots auch Auflagen ermöglicht und sich in den Bundesländern nach dem zweifelhaften politischen Ruhm, den sich die Akteure in der hitzigen Diskussion bisher verdient haben, die Neigung zur gesetzlichen Bezeichnung von Gedenkstätten von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung in Grenzen halten dürfte, spricht wenig dafür, dass der neue § 15 Absatz 2 Versammlungsgesetz in seinem politischen Kern in absehbarer Zeit durch das Bundesverfassungsgericht kassiert werden wird.

Rechtspolitisch ist aber festzuhalten, dass verbotene Zonen für Demonstrationen ebenso an den Grundsätzen der Versammlungsfreiheit rütteln, wie dass dem Versuch politischen Gesinnungsrechts weitere Vorstöße mit anderer politischer Zielrichtung folgen werden, absehbar sind. Die von bürgerrechtsliberaler Seite vorgetragene Besorgnis, dass mit der Diskussion um den neuen § 15 Absatz 2 Versammlungsgesetz ein weiterer Schritt in Richtung der ordnungspolitischen Bewirtschaftung demokratischer Ressourcen genommen wurde, ist und bleibt leider zutreffend.

Die Praxis

Die politische Mitte wählte neben der ordnungspolitischen Strategie der Gesetzesverschärfung noch einen zweiten Weg, den es zu beobachten gilt: die Organisation ihrer Anhänger auf der Straße. Das Vehikel nannte sich einstweilen »Tag für die Demokratie« und war eine Veranstaltung des Senats von Berlin, für die von Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und anderen Organisationen mit verfassungspatriotischem Pathos mobilisiert wurde. Das »Who is Who« staatstragender Institutionen und Persönlichkeiten kann nicht verdecken, dass es sich im Kern um eine Staatsveranstaltung handelte, die als solche versammlungsrechtlichen Grundrechtsschutz nicht beanspruchen kann.

Auch wenn der »Tag für die Demokratie« Plattform für grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungen der Teilnehmenden gewesen war, ist er als Staatsveranstaltung keinesfalls über den Verdacht einer Lenkung der in ihr kundgetanen Meinungen erhaben. Der »Tag für die Demokratie« sollte gleichwohl gegenüber einem neofaschistischen Aufmarsch zum Brandenburger Tor die Vorfahrt in Anspruch nehmen dürfen mit der Begründung, dass der Staat an einem nationalen Gedenktag bevorzugten Zugriff auf den öffentlichen Raum habe. Die Strategie der Mobilisierung zu Konkurrenzversammlungen mag ihre politischen Vorzüge haben, im konkreten Fall zumindest als Teil einer Strategie gegen Rechts taugen und nicht unbeschränkt verallgemeinerbar sein.

Es bedarf des Willens zur Abkehr von der politischen Neutralität und damit letztendlich von der Herrschaft des Versammlungsrechts über Meinungsfreiheit und Versammlungen im öffentlichen Raum, um staatlich geschaffene Kollisions- und Sicherheitsprobleme gegen politische Versammlungen auszuspielen. Das Beispiel einer raumgreifenden Staatsveranstaltung, die gegen politisch unerwünschte Gruppen in Stellung gebracht wird, kann auch in Auseinandersetzung mit anderen als neofaschistischen Aktivitäten Schule machen.

Ausblick

Die Änderung des Versammlungsrechts im März 2005 zeigt einen Weg auf für eine Erosion der Meinungsund Versammlungsfreiheit für politische Inhalte außerhalb der politischen Mitte. Neofaschistische Propaganda mag Rückschläge bei der Besetzung zentraler symbolischer Orte einstweilen mit dem Hinweis auf Gesinnungsrecht und einen neuen Opferstatus kompensieren können. Die neofaschistische Praxis ist, wenn sie sich gegen Andersdenkende richtet, ohnehin nicht auf eine Handvoll Gedenkstätten angewiesen. Fortschritte bei der politischen Instrumentalisierung des Versammlungsrechts geben mithin mehr Anlass zur bürgerrechtlichen Sorge denn zur Hoffnung auf eine Abnahme des rechtsextremistischen Spuks auf der Straße.

Die politische Mitte darf sich im Fernsehsessel vor hässlichen Szenen in Zukunft ein bisschen sicherer sein als zuvor und dies den Akteuren im Deutschen Bundestag und im Berliner Senat danken. Weder die Aufklärung über neofaschistische Strukturen, Aktivitäten und Entwicklungen, noch die Eindämmung des Wachstums der neofaschistischen Anhängerschaft werden aber dadurch gefördert. Man darf bereits jetzt gespannt sein, wie mit Sympathieerklärungen für die SED oder das Regime Saddam Husseins in Zukunft im Bundestag umgegangen wird, wenn die mediale Hygiene in der Berliner Republik auf dem Spiel steht.

Ebenso wie Verschärfungen des Versammlungsrechts erweitern auch staatliche Großveranstaltungen, die in räumliche Konkurrenz zu staatsfernen Demonstrationen gesetzt werden, im Ergebnis primär den Eingriffsspielraum der Ordnungsbehörden. Ob der politische Kampf »gegen Rechts« durch den »Tag für die Demokratie« personell und argumentativ auf eine breitere Basis gestützt wurde, als sie im Diskurs der politischen Mitte ohnehin besteht, darf daneben bezweifelt werden. Der Gewinner ist im Ergebnis der Staat, der Gewinn für den Kampf gegen Rechts bleibt fragwürdig.