Nazis raus – aus Demos und Veranstaltungen?
AG SicherheitspolitikEine politische Betrachtung der Rechtslage nach den Ereignissen um die Anti-Hartz-IV-Demonstrationen
Seit den ersten Demonstrationen gegen Hartz IV ist es Neonazis immer wieder gelungen, an den Protesten teilzunehmen, sich teilweise sogar an deren Spitze zu stellen. Diese Erscheinung ist nicht neu und war auch schon im Rahmen der Proteste gegen den Irak-Krieg zu beobachten. Neu ist lediglich, dass die Teilnahme der Nazis in einigen Städten gegen den Willen des Veranstalters und eines Teils der DemonstrantInnen polizeilich durchgesetzt wurde. So wurden beispielsweise in Gera und Dresden Antifas von der Polizei eingekesselt und abgedrängt, während die Neonazis an der Demonstration teilnehmen konnten.1 Der folgende Beitrag soll die Rechtslage im Hinblick darauf darlegen, ob Möglichkeiten bestehen, Neonazis von Demos, Kundgebungen, aber auch von Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auszuschließen.
Ausgangspunkt für eine Betrachtung der Rechtslage für alle Arten von Versammlungen ist zunächst das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Grundgesetz einerseits und das Versammlungsgesetz (VersG) andererseits. Das Grundrecht steht als Verfassungsrecht über dem VersG, wird aber durch dieses konkretisiert und kann bis zu gewissen Grenzen auch eingeschränkt werden. Werden solche Einschränkungen bzw. Verschärfungen vorgenommen, betreffen sie selbstredend nicht nur Neonazis, sondern alle Versammlungen.
Kundgebungen und Demonstrationen
Grundsätzlich haben alle das Recht, sich »friedlich und ohne Waffen zu versammeln«. Dieses Recht umfasst auch den Zugang zu einer Versammlung, die grundsätzlich allen offen steht, also auch denen, die den auf der Versammlung vertretenen Meinungen kritisch gegenüber stehen oder diese sogar ablehnen und dies in der Versammlung auch zum Ausdruck bringen wollen. So das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung, die die Teilnahme von AntifaschistInnen an einer Veranstaltung der »Republikaner« betraf.2 Insofern können auch Rechtsextreme an Anti-Hartz-IV-Protesten teilnehmen, auch wenn diese, wie in einigen Städten erfolgt, unter dem Motto »Gegen Sozialabbau und Nationalismus« angemeldet wurden. Dieses Recht der Nazis kann – und muss juristisch besehen – ggf. durch die Polizei durchgesetzt werden.
Dies mag überraschend klingen, schließlich wird unter einer Versammlung das Zusammenkommen mehrerer Menschen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks verstanden. Es muss eine innere Verbindung zwischen den TeilnehmerInnen bestehen und die Bestimmung der Art und des Inhalts der Versammlung obliegt der Selbstbestimmung des Veranstalters. Andererseits ist hierbei zwischen Zweck und Inhalt zu differenzieren und muss die Schutzrichtung der selbstbestimmten Inhaltsbestimmung beachtet werden: Unter dem Zweck einer Versammlung wird gemeinhin die kollektive Meinungsbildung und Meinungskundgabe verstanden. Der Zweck bezieht sich somit nicht auf den Inhalt der Versammlung, sondern allein auf das Ziel, gemeinsam an der Meinungsbildung teilnehmen zu wollen. Darin besteht die innere Verbindung, womit Personen, die sich zufällig in der Versammlung befinden (PassantInnen etc.), von dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht erfasst sind. Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters im Hinblick auf Art und Inhalt der Versammlung wiederum ist Ausdruck der grundsätzlichen Staatsferne der Versammlungsfreiheit und bezieht sich demnach auf die Abwehr staatlicher Eingriffe in die Bestimmung der inhaltlichen Ausrichtung und konkreten Durchführung der Versammlung.
Insofern ist die Teilnahme auch von Personen oder Personengruppen, die dem Inhalt der Versammlung kritisch oder ablehnend gegenüber stehen, vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt – auch ihnen steht dieses Recht zu. Die Kritik oder Ablehnung kann mit allen kommunikativen Mitteln verfolgt werden, wie Zwischenrufen, Beifall, Missfallensäußerungen, Transparente etc. Dies kann man gut finden oder nicht, aber so ist die herrschende Rechtsauffassung, die andererseits auch bedeutet, dass (radikale) Linke an Demonstrationen z.B. des DGB teilnehmen können, ohne dass kritische Beiträge, etwa in Form von Transparenten, ausgeschlossen werden könnten.
Etwas anderes muss aber gelten, wenn Versammlungen durch Personengruppen derart übernommen werden, dass das ursprüngliche Anliegen nicht mehr sichtbar ist oder dessen Wahrnehmung erschwert wird. Dies könnte dann vorliegen, wenn die »KritikerInnen« in der zahlenmäßigen Übermacht sind oder sich mit eigenen Inhalten an die Spitze einer Demonstration setzen. In diesem Fall würde die Grundrechtswahrnehmung des Veranstalters faktisch unterbunden. Allerdings existiert hierzu noch keine Rechtsprechung, so dass es nicht abzusehen ist, wie sich die Polizei in einem solchen Fall verhalten würde. Jedenfalls ist ein Ausschluss dann möglich, wenn der ordnungsgemäße Ablauf der Veranstaltung wesentlich beeinträchtigt, diese also verhindert werden soll (§ 2 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 3 bzw. Abs. 4 VersG). Der Ausschluss kann nur durch die Polizei erfolgen, da dem Versammlungsleiter nicht erlaubt werden soll, darüber zu bestimmen, wer in welcher Form die öffentlichen Straßen und Wege nutzen darf.
Veranstaltungen in geschlossenen Räumen
Bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen sieht die Lage etwas anders aus. Hier ist es möglich, bestimmte Personen oder Personenkreise von der Teilnahme auszuschließen (§ 6 Abs. 1 VersG). Voraussetzung ist, dass die Begrenzung des TeilnehmerInnenkreises vorab in der Einladung bekannt gegeben wird, durch namentliche Nennung oder durch eine Gruppenbezeichnung.3 Allerdings darf der Ausschluss nicht nach diskriminierenden Merkmalen vorgenommen werden, also aufgrund der Hautfarbe, Geschlecht, Gesinnung, Religion etc. Erfolgt keine Begrenzung des TeilnehmerInnenkreises, ist es nicht möglich, bestimmten Personen den Zutritt zu verwehren.
Darüber hinaus ist ein Ausschluss auch möglich, wenn eine gröbliche Ordnungsstörung vorliegt, also der Ablauf der Veranstaltung wesentlich beeinträchtigt wird. Dies liegt nicht schon vor bei einzelnen Zwischenrufen, kritischen Wortbeiträgen oder dem Hochhalten von Transparenten, sondern erst, wenn solche Vorkommnisse eine Qualität erreicht haben, die die Durchführung der Veranstaltung verhindern können. Der Ausschluss kann, im Gegensatz zu Versammlungen »unter freiem Himmel«, durch den Versammlungsleiter erfolgen.
Fazit
Insbesondere bei Versammlungen unter freiem Himmel, also Kundgebungen und Demos, ist aus juristischer Sicht der Ausschluss von Nazis an sehr hohe Anforderungen geknüpft. Die Forderung nach einer Änderung der Rechtslage bedeutet aber auch immer, dass sich das Versammlungsrecht weiter verschärft und diese Beschränkungen letztendlich auch auf die Linke zurückfallen. Forderungen an den Staat, das wurde schon bei den Debatten um Verbote von Nazi-Aufmärschen deutlich, sind kein Ausdruck von Emanzipation. Statt dessen sollte auf inhaltliche und organisatorische Präsenz bei den sozialen Protesten, antifaschistische Selbsthilfe und politische Intervention gesetzt werden. Denn ob Polizei und Ordnungsamt sich tatsächlich darum kümmern, den Nazis ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit bei Demonstrationen anderer gesellschaftlicher Gruppen zu verschaffen, ist primär eine politische Frage, nicht eine juristische.
- 1In anderen Städten konnten dagegen erfolgreich Nazis aufgrund antifaschistischer Selbsthilfe ausgeschlossen werden. Auffällig ist, dass die polizeiliche Durchsetzung der Teilnahme von Nazis vor allem in solchen Städten erfolgte, deren Stadtverwaltungen sich durch eine gewisse Ignoranz gegenüber faschistischen Aktivitäten auszeichnen. Darüber hinaus ist die Teilnahme von Neonazis an sozialen Protesten auch ideal, um die DemonstrantInnen und deren Forderungen zu diskreditieren.
- 2BVerfGE 84, 203 (209).
- 3Der Teilnahmeausschluss kann auch noch nach der Einladung ausgesprochen werden, solange er in der gleichen Art und Weise wie die Einladung erfolgt.