Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen !« kommt in Fahrt
Die Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen!«, die schon im vergangenen Jahr zu Aktivitäten gegen den jährlichen Gedenkmarsch zum Tode des Hitler Stellvertreters Rudolf Heß im bayerischen Wunsiedel aufgerufen hatte, kommt in diesem Jahr offensichtlich bedeutend früher und breiter in Fahrt. Bereits auf der Demonstration zum 8. Mai in Berlin präsentierte sie sich mit einem Transparent und 10.000 Flugblättern. Mitte Mai hat nun die bundesweite Verbreitung von Plakaten, Aktionsaufrufen und Flyern begonnen. Die Kampagne hat für den 20. August 2005 eine ganztägige Kundgebung von 9.00 bis 19.00 Uhr in der Wunsiedler Innenstadt, sowie eine Demonstration angemeldet. Inhaltlich soll die Kundgebung nicht auf die Auseinandersetzung mit den in der Stadt marschierenden Neonazis beschränkt sein. Der im Mai gefeierte sechzigste Jahrestag der Befreiung vom Faschismus ist Anlass zu einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung. Deshalb bemüht sich die Kampagne Überlebende der faschistischen Terrorherrschaft und ehemalige Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer einzuladen. Der Jahrestag der Befreiung soll hierbei als mehr als ein bloßes historisches Ereignis gesehen werden. Hier besteht eine der letzten Möglichkeiten, mit Überlebenden des Nationalsozialismus, mit aktiven GegnerInnen und WiderstandskämpferInnen zusammenzukommen. Der Kampf gegen den Faschismus ist nicht abgewickelt, der Nationalsozialismus nicht aufgearbeitet und überwunden im Sinne der neuen deutschen Innen- und Außenpolitik. Die Verantwortung gegenüber den Opfern des Faschismus mahnt zum Widerstand gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus. Es bleibt eine individuelle Verantwortung dafür, dass Faschisten in Deutschland nie wieder Macht und Einfluss haben können. Aus diesem Grunde ruft inzwischen auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN/BdA zur Teilnahme an den antifaschistischen Gegenaktivitäten in Wunsiedel auf. Neben Redebeiträgen wird ein Kulturprogramm den Tag ausfüllen. Mit der geplanten Demonstration soll deutlich gemacht werden, dass den Nazis die Stadt nicht einfach überlassen wird. Vielmehr wollen AntifaschistInnen offensiv Raum einnehmen und die gesamte Stadt zum Ort antifaschistischen Widerstandes machen.
Gegenaktivitäten der Stadt Wunsiedel
Bereits im letzten Jahr hat die Stadt Wunsiedel, also demokratische Initiativen, Teile der Stadtverwaltung, darunter der Bürgermeister und einzelne AntifaschistInnen gezeigt, dass vor Ort ein Wandel im Blick auf den Neonaziaufmarsch stattgefunden hat. Nachdem der ehemalige SPD Bürgermeister in der Vergangenheit immer dazu aufgerufen hatte, die Neonazis schlicht zu ignorieren, hat sich seit der Wiederbelebung der Aufmärsche im Jahr 2001 ein aktiver Widerstand dieses Kreises entwickelt. Dieser mündete im letzten Jahr in dutzenden von Transparenten, einem symbolischen »Kehraus«, der Verweigerung der Festwiese und einer Sitzblockade an der sich der schon erwähnte Bürgermeister beteiligte. In diesem Jahr hat dieser Initiativenkreis mit der Musikerinitiative »Laut gegen Nazis« den Auftakt derer aktuellen Tournee am Tag des Neonaziaufmarsches in Wunsiedel geplant. Mit einem großen Konzert an dem sich unter anderem die Band »Extrabreit« beteiligen wird, soll Stimmung gegen den Aufmarsch gemacht werden und Gegendemonstranten mobilisiert werden. Die beiden Gegenaktionen stehen bislang nebeneinander. Es ist nicht abzusehen, ob es zu einer Zusammenarbeit kommen wird. Die lokalen Initiativen haben zwar erkannt, dass dem neofaschistischen Treiben nur aktiv beizukommen ist, letztlich bestehen aber immer noch immense Bedenken insbesondere gegenüber autonomen AntifaschistInnen. Im letzten Jahr hatte das Nebeneinander der verschiedenen Aktivitäten allerdings keine negativen Auswirkungen und wurde eher als bereichernd empfunden. Die Kampagne hat von Anfang an deutlich gemacht, dass es darum geht, politisch gegen die Neonazis zu mobilisieren. Die Verhinderung der dort jedes Jahr stattfindenden Verherrlichung des Nationalsozialismus wird nur möglich sein, wenn es gelingt, den Widerstand hiergegen politisch zu verbreitern, politische Gräben zu überwinden und neue Aktionsformen zu entwickeln. Insbesondere die in den letzten Jahren entstandenen Kräfteverhältnisse mit fast 5000 Nationalsozialisten und der massiv auftretenden bayerischen Polizei in der provinziellen Kleinstadt lassen auch kein anderes Vorgehen zu.
Das neue Versammlungsgesetz – kommt ein Verbot?
Die zum 8. Mai in Kraft getretene Gesetzesveränderung hat bei vielen die Hoffnung genährt, der jährliche Heß-Marsch würde nun durch ein Verbot beendet. Allerdings wurde bereits in der parlamentarischen Debatte um die Gesetzesveränderung deutlich, dass sich diese Hoffnung wohl nicht bestätigen wird. Im neuen Versammlungsgesetz besteht nunmehr die Möglichkeit, Veranstaltungen auf denen der Nationalsozialismus verherrlicht wird, zu verbieten. Die in den letzten Jahren mit der Demonstration befassten Verwaltungsgerichte haben auch festgestellt, dass die Verherrlichung von Heß aufgrund seiner politischen Funktionen, seiner Parteiämter sowie seiner Rolle im Nationalsozialismus zwangsläufig eine Verherrlichung des Nationalsozialismus darstellt. Heß wird von den heutigen Nazis zum »Friedensflieger« umgelogen, weil er im Mai 1941 nach Schottland flog, vermutlich um dort einen Separatfrieden mit Großbritannien abzuschließen. Der Hintergedanke dieses Unternehmens war, angesichts des bevorstehenden Angriffs auf die Sowjetunion einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. Bereits dies stellt eine Verherrlichung des gesamten Nationalsozialismus dar: Das nationalsozialistische Deutschland habe eigentlich den Frieden gewollt, ihm sei jedoch von den »verbrecherischen« Alliierten der Krieg aufgezwungen worden. Die Verbrechen des Nationalsozialismus werden damit insgesamt geleugnet, der NS-Staat als Opfer einer internationalen Verschwörung dargestellt. Es ist aber doppelt fraglich, ob dieser Umstand ein Verbot rechtfertigen wird, das auch vor dem Bundesverfassungsgericht bestand hat. Einerseits könnte der Demonstrationsanmelder Jürgen Rieger mit entsprechenden Auflagen für Transparente und Beiträge eine solche »Verherrlichung« unterbinden – die angereisten Alt- und Neonazis wissen ohnehin, weshalb sie sich versammeln. Andererseits würde mit einer solchen Gesetzesauslegung erstmalig in der Bundesrepublik eine Meinungsäußerung und nicht eine Tatsachenbehauptung als Ansatzpunkt für die Beschränkung des Demonstrationsrechts genommen. Strafbar sind bspw. nur falsche, volksverhetzende Tatsachenbehauptungen, die die Würde der Opfer des Nationalsozialismus verletzen. Das bloße Bekenntnis zu diesem unterfällt dagegen keiner Strafnorm. Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Meinungsfreiheit wird das mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass allein auf dieser Grundlage ein Verbot der Demonstration spätestens durch das Verfassungsgericht aufgehoben wird. Es ist daher davon auszugehen, dass zunächst ein Verbot des Aufmarsches ergeht, welches jedoch voraussichtlich keinen Bestand haben wird. Die Kampagne macht allerdings klar, dass ihre Kundgebung und Demonstration nicht davon abhängig ist, ob die Neoazis in Wunsiedel aufmarschieren: »Sollte der Aufmarsch aus irgendwelchen Gründen nicht stattfinden oder örtlich verlegt werden, wird die Kundgebung und das Begleitprogramm mit umso besserer Laune zu genießen sein. Machen wir also den Todestag Rudolf Heß zu einem Tag, der der antifaschistischen Bewegung und dem Kampf gegen den Faschismus und für eine befreite Gesellschaft gehört.«