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Per Überholspur ins nationale Lager

Einleitung

Während die Neonaziszene noch über die generelle Duldung von HipHop im Speziellen und Popmusik im Allgemeinen diskutiert, scheinen gewisse Entwicklungen in der Popmusik selber in genau diese Richtung zu gehen. Nach der Debatte um deutschnationalen Pop anhand der Wandlung der Band Mia von der unpolitischen Elektroband zur Vorreiterin eines neuen Nationalbewusstseins in der Popkultur, beförderte uns die Diskussion um eine Radioquote für deutsche Popmusik auf ein neues Level der Deutschtümelei.

Bild: de.wikipedia.org/Aggro Berlin/CC SA 2.0

Cover des Fler Albums „Fremd im eigenen Land“ von 2008.

Plötzlich war es nicht mehr die Popularität von Popmusik, die ihren Wert bestimmte, sondern der nationale Faktor. Die Charts waren also nicht mehr Spiegelbild der sonst von den selben Leuten propagierten Kräfte eines freien Marktes, sondern Produkt einer angloamerikanischen Kulturindustrie, die keinen Platz für deutsche Wertarbeit mehr lässt. Dass diese Diskurse nicht auf die eher seichte Popmusik beschränkt bleiben würden, sondern auch ihren Widerhall in Subkulturen erleben dürften, war abzusehen.

So platzte vor allem die Veröffentlichung der CD »Zyklon D – Frontalangriff« der Dessauer HipHop Crew »Dissau Crime« wie eine Bombe zwischen die Diskussionen um nationalen Pop und Neonazirap. Mit Texten, wie man sie nur aus dem Bereich des Rechtsrock kannte, präsentierte sich die Dessauer Crew als Gegengewicht zu den allmächtig erscheinenden Berliner Battle-Rappern. So wollte man die Texte auch nicht als rechtsradikal verstanden wissen, sondern als weiteren Tabubruch auf dem Weg zum ultimativen Diss.

Taugten Sexismus und Homophobie schon lange nicht mehr als Provokation, so kam man hier auf die konsequente Idee, es einmal mit Nazitexten zu versuchen. Auch wenn Antisemitismus und Nationalismus 2005 beileibe kein Tabubruch mehr sind, sondern fester Bestandteil jugendlicher Alltagskultur, ging die Rechnung doch auf. Die Medien stürzten sich auf die in einer Auflage von 50 Stück erschienene Scheibe und diskutierten fleissig darüber, ob dies jetzt endlich Nazirap sei oder nicht.

Auch wenn man einmütig zu der Erkenntnis kam, dass dies sicher kein Nazirap im Sinne der oben dargestellten Diskussion sei, sondern eher ein aufgegangenes Kalkül, so dürfte dieser Dammbruch nicht allzu lange ohne Folgen, sprich Nachahmer bleiben. Auch wenn Dissau Crime, wohl vor allem wegen der musikalischen Schwäche ihrer Debut-CD, sowohl in der HipHop Szene als auch in der Naziszene so gut wie unbeachtet blieben und nicht einmal alle 50 CDs verkauft haben, haben sie die Tür unwiderruflich geöffnet, indem sie ein scheinbares Tabu erstmals gebrochen haben.

Auch andere Rapper standen, wenn auch gemäßigter, in den Startlöchern, um aus mangelnder Qualität die deutschnationale Karte auszuspielen. So ist das kürzlich erschienene Album »Neue Deutsche Welle« des Berliner Rappers Fler ein weiterer Schritt in Richtung Nationalisierung der Popmusik. So bezeichnet Fler als Abgrenzung zu den meisten anderen Berliner Rappern, die nicht deutscher Abstammung sind, seine Musik als Neue Deutsche Welle und tritt in Schwarz-Rot-Gold mit Reichsadler um den Hals auf.

Unabhängig von der Reaktion der organisierten Neonaziszene wird er vielen Kids aus der Seele sprechen, die lange schon vor der scheinbaren Übermacht ausländischer MCs kapitulieren und sich nicht mit HipHop als Kultur der MigrantInnen abfinden wollen. Nun ist Fler sicher kein strammer Nationalist und arbeitet mit Migranten zusammen, jedoch kommt es in dieser Diskussion weniger auf die Intention der Künstler als vielmehr auf die Rezeption des Publikums an, und das besteht eben nicht nur aus urban geprägten Ghettokids, sondern zum Großteil aus pubertären Mittelschichtsjugendlichen, die für die nationalistischen Messages offen sind.

Solange es noch keinen wirklichen Nazirap gibt, werden derartige Bestrebungen die Diskussion in der Neonaziszene auf jeden Fall dadurch beeinflussen, dass zumindest die Option auf nationale Rapmusik am Leben gehalten wird und durch Mainstreamkünstler unterfüttert wird.

Auch die zu erwartenden Charterfolge werden die Strategen einer Massenbewegung aufhorchen lassen und nationalen Rap als gangbare Option erscheinen lassen. Auf der anderen Seite wird die durch diese Musik vorpolitisierte Kundschaft offener für echten »White Power« Rap sein, als durch »Türken-Rap« à la Savas und Co. geprägte möchtegern Gangster. So scheint die Frage nach nationalem Rap von Seiten des Mainstreams nicht mehr eine Frage von Inhalten und Aussagen, sondern eher von musikalischen Qualitäten geworden zu sein.