Die kollektive Unschuld
Gunnar SchubertDresden ist ein Mythos. Mythen leben vom kollektiven Glauben und Festhalten an etwas »Wahrem«, was einer sachlichen Überprüfung nicht standhält. Sie projizieren und produzieren im Wechsel und werden reprojiziert, wobei die stetige Wiederholung des Falschen es nicht wahr werden lässt.
Die Fülle an Mythen, die mit Dresden korrespondieren und in endlos scheinenden Legenden sich artikulieren, benennt Schubert zutreffend als »The Great Dresden Swindle«. Es sind der Opfermythos einer vermeintlich unschuldigen deutschen Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges, der daraus abgeleitete Gedenkmythos an deutsche Opfer, der Versöhnungsmythos, der die Täter befähigt, den Opfern Verzeihung zu entbieten.
Diese Mythen und Legenden der Opfer des »Terrorangriffs« beschreibt und versachlicht Gunnar Schubert in seinem Buch. Er führt sie auf ihre Ursprünge zurück und widerlegt ihre jahrzehntelange fälschliche Rezeption. Da sind beispielsweise die schon skurril anmutenden Geschichten über ausgebrochene Tiere aus dem Dresdner Zoo. So will eine Frau an ihrer Haustür einen Bären mit einem Rhesus-Affen auf der Schulter gesehen haben. Der damalige Zoodirektor berichtet dagegen, dass entsprechend der Befehlslage alle Tiere zum Beginn des Bombenangriffs getötet wurden.
In diesem Hin und Her von Legenden, Mythen, Falsch- und Halbwahrheiten lässt Schubert keinen Zweifel, wo er steht: »Es nimmt dem Schrecken und dem individuell erfahrenen Grauen nichts, wenn man Tatsachen benennt und auf diese und andere Aspekte, etwa die durchgehende Dekontextualisierung der Bombenangriffe in den mündlichen Erzählungen, verweist. Erst wenn man der Lüge von der unschuldigen Stadt ein Ende bereitet, wird man denen gerecht, die wirklich unschuldig umkamen: Verfolgte des Naziregimes, Kriegsgefangene, Kinder.«
Mit seinem Buch stellt Gunnar Schubert erneut unter Beweis, dass er ein außerordentlicher Kenner der Materie Dresden ist. Es gelingt ihm gut les- und nachvollziehbar den«Spirit of Dresden« mit seiner Wirkung auf das gesellschaftliche Geschichtsbewusstsein weit über Sachsen hinaus verständlich zu erläutern, ohne in Polemik zu verfallen. Das wird ergänzt durch eine Fülle an Quellenkenntnis und ausführliche Anmerkungen.
Umso ärgerlicher ist es, dass Schubert zwar relevante Facetten der Rezeption des 13. Februar in der DDR immer wieder streift, jedoch nicht gesondert auf die 40jährige ideologische Wirkung derselben eingeht.
Gunnar Schubert
Die kollektive Unschuld
Konkret Verlag, Hamburg 2006
144 Seiten, 13,- Euro