Den Preis in die Höhe treiben ...
In den letzten Jahren spielten für die Mobilisierung der extremen Rechten in der BRD Großveranstaltungen eine wichtige Rolle. Neben kulturell ausgerichteten Events wie dem Pressefest der NPD-Zeitung Deutsche Stimme steht bei Großveranstaltungen wie in Halbe, Wunsiedel und Dresden die Verherrlichung des Nationalsozialismus im Vordergrund.
Neben dem 1. Mai, der in den letzten Jahren großen Zuspruch erhielt, kam 2005 auch ein Großaufmarsch am 8. Mai hinzu. Mit Ausnahme von Dresden sind diese Großveranstaltungen in diesem Jahr allesamt verhindert worden. Dem Neonazi-Massenauflauf in Wunsiedel wurde juristisch ein Strich durch die Rechnung gemacht, in Halbe und am 8. Mai in Berlin blockierten GegnerInnen der Neonazis die Aufmärsche, sie wurden schließlich abgebrochen. Da durch die Neonazis ihrerseits im Vorfeld abgesagt, fielen ein zentraler Aufmarsch am 1. Mai und das DS-Pressefest, welches noch 2004 im sächsischen Mücka stattfand, gleich ganz aus.
Es stellt sich nunmehr aufs Neue die Frage nach aktuellen Konzepten gegen derartige Events, da es eben nicht unmittelbar antifaschistische Konzepte waren, die diese Aufmärsche verhindert haben, sondern öffentlicher Druck und das Aufbegehren der BürgerInnen vor Ort. Dass diese Ereignisse kein generelles Umdenken in der Bevölkerung markieren, sondern der besonderen gesellschaftlichen Situation im Gedenkjahr 2005 geschuldet sind, ist offensichtlich. Zu klären bleibt daher die Frage, wie groß der Einfluss antifaschistischer Strukturen und Mobilisierungen im Hinblick auf diese Erfolge letztlich war.
DS-Pressefest und der 1. Mai
Unabhängig von antifaschistischen Mobilisierungen sagte die NPD das Pressefest der Deutschen Stimme 2005 ab. Es sei, so die NPD, personell nicht zu leisten, den Bundestagswahlkampf und eine Großveranstaltung wie das DS-Pressefest gleichzeitig zu organisieren. Mit eben dieser Begründung fand auch kein zentraler Aufmarsch der NPD anlässlich des 1. Mai in Berlin statt. Stattdessen rief die Partei zu verschiedenen Aufmärschen, beispielsweise in Neubrandenburg und Nürnberg auf, deren Teilnehmerzahlen allerdings gering ausfielen. Ungeachtet des Wahlkampfes fand der Aufmarsch von Christian Worch am 1. Mai in Leipzig statt. Dessen Teilnehmerzahl war mit 800 zwar größer als die der anderen Aufmärsche an diesem Tag, an die Großveranstaltung der NPD im Jahr zuvor in Berlin konnte aber nicht angeknüpft werden.
In zwei Fällen verpokerte sich die rechte Szene. Zum Fest der Völker in Jena, das als Ausgleich zum Pressefest veranstaltet wurde, kamen aufgrund der juristischen Ungewissheit bis zum Veranstaltungstag hauptsächlich Neonazis aus der unmittelbaren Umgebung. Für AntifaschistInnen ist das DS-Pressefest oder eine Veranstaltung wie in Jena aufgrund seiner Legalität und der örtlichen Situation schwer angreifbar. Bemühungen von AntifaschistInnen und BürgerInnen konnten zwar eine Verlegung des »Fest der Völker«-Veranstaltungsortes mit Blockaden erzwingen, eine Verhinderung gelang jedoch nicht. Das Anliegen der BürgerInnen in Jena erschöpfte sich darin, die geplante Veranstaltung der Neonazis nicht an ihrem Ort stattfinden zu lassen. Bei Maßnahmen der Polizei gegen die blockierenden AntifaschistInnen hätte es daher kaum Unterstützung von Seiten der BürgerInnen gegeben. Bislang existieren weder wirkungsvolle Konzepte noch Strukturen vor Ort, die es AntifaschistInnen ermöglichen, solche als politische Veranstaltung getarnten Rechtsrockevents wirkungsvoll zu verhindern.
Verpokert hat sich die NPD auch mit der Absage ihres Aufmarschs am 1. Mai in Berlin. Im Hinblick auf den geplanten Großaufmarsch am 8. Mai schien dieser Schritt nicht allzu schmerzhaft. Jedoch wurde der Aufmarsch am 8. Mai schließlich verhindert und die Neonazis schafften es nach stundenlangem Warten nicht einmal, den Auftaktkundgebungsort zu verlassen. Schuldzuweisungen innerhalb der Szene komplettierten dieses Desaster.
Halbe / 8. Mai / Wunsiedel
Wie jedes Jahr wollte der Freundeskreis Halbe auch 2005 anlässlich des Volkstrauertages im November einen Aufmarsch durch den brandenburgischen Ort Halbe zum dortigen Waldfriedhof durchführen. Zur offenen Verherrlichung des Nationalsozialismus planten sie an diesem Tag, zu Ehren der gefallenen deutschen Soldaten Kränze niederzulegen. Zuvor fand auf dem Waldfriedhof eine Kranzniederlegung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) statt. Gemeinsam mit dem Brandenburger Landtag gedachte der VDK auf dem Friedhof unter dem Motto »Die Toten mahnen für den Frieden zu leben« den gefallenen Soldaten. Eine inhaltlich andere Ausrichtung hatte das bürgerliche Bündnis des »Tag der Demokraten«, das die Behinderung des Neonaziaufmarsches zum Ziel hatte. Kurz nach Beginn dieses von Gewerkschaften, Parteien und bürgerlichen Initiativen veranstalteten Festes blockierten die TeilnehmerInnen die Route der Neonazis und stellten sich so dem Aufmarsch entgegen.
In Zeitungen war später zu lesen, dass sich mehrere tausend BürgerInnen den Neonazis in den Weg gestellt und ihn so verhindert hätten. In Wirklichkeit stellten sich den etwa 1600 Alt- und Neonazis allerdings nur einige hundert BürgerInnen in den Weg. Es handelte sich bei der Verhinderung eher um eine politische Entscheidung, als eine dem Kräfteverhältnis vor Ort geschuldete Polizeistrategie. Jahrelang war es ein Anliegen antifaschistischer Arbeit, den Aufmarsch in Halbe zu skandalisieren und dafür zu sorgen, dass diese offene Verherrlichung des Nationalsozialismus nicht von Medien, AnwohnerInnen und BürgerInnen ignoriert wird. 2004 noch wurde eine Gegenveranstaltung von AntifaschistInnen derart mit Repression belegt, dass eine wirkungsvolle Gegenaktion zum Aufmarsch unmöglich war (siehe AIB 65: »Von der Exekutive auf der Nase herumtanzen lassen«).
Ein Erfolg der steten antifaschistischen Arbeit ist es jedoch, dass öffentlicher Druck erzeugt wurde und die Ereignisse auch von Parteien und Landtag nicht ignoriert und unter den Teppich gekehrt werden konnten. So wurde der antifaschistische Protest des Vorjahres im Jahre 2005 von antifaschistischen BürgerInnen aufgenommen und führte zur Verhinderung. Aufgrund der Veranstaltung des VDK und der Erfahrungen aus 2004 blieben AntifaschistInnen bis auf wenige Ausnahmen 2005 Halbe fern. Jedoch ist es ein Ergebnis antifaschistischer Mobilisierungen der letzten Jahre, dass der Preis eines Neonaziaufmarschs in Halbe derart in die Höhe getrieben werden konnte, dass BürgerInnen und Politiker in diesem Jahr Protest übten und den Aufmarsch verhinderten.
Schon im Vorfeld des 8. Mais war zu beobachten, dass es eine politische Entscheidung sein würde, den Neonaziaufmarsch zu untersagen. Anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten zum 60. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus wollten Berlins Regierende beweisen, dass Neonazis nicht geduldet würden. In der Presse wurden Korrespondenten aus den USA gefragt, ob die ganze Welt entsetzt sein würde, wenn es zu einem Aufmarsch der extremen Rechten durch das Brandenburger Tor komme. Auslöser dieses gesteigerten Interesses war die gesellschaftliche Sensibilisierung anlässlich des Gedenkjahres, bei der das Bild im Ausland enorm wichtig erschien. Eilig organisierte der Senat die Meile der Demokratie am Brandenburger Tor, deren Teilnehmerzahl entgegen anderslautender Medienberichte allerdings eher gering ausfiel. Lediglich eine antifaschistische Gegendemonstration, deren erklärtes Ziel es war, den Neonaziaufmarsch zu verhindern, erfreute sich großer Beliebtheit.
Auf den bürgerlichen Antifaschismus als Lösung setzte Innensenator Ehrhart Körting, als er dem Protest friedlicher Bürger in der Nähe des Aufmarsches Legitimität zugestand. In der Presse wurde später auch getitelt, dass es mehrere tausend BürgerInnen gewesen seien, die den Aufmarsch verhinderten. Letztlich waren es aber AntifaschistInnen, die es ermöglichten, die politische Entscheidung, den Aufmarsch zu untersagen, in die Realität umzusetzen. Der besonderen Situation des Tages ist es geschuldet, dass ein Aufmarsch dieser Größenordnung überhaupt unterbunden wurde. Allerdings ist zweifelhaft, dass es zu einer solchen Situation auch in Zukunft kommen wird. Im Verhältnis zu Halbe, wo schon seit Jahren öffentlicher Druck von antifaschistischer Seite erzeugt und mittlerweile auch bei BürgerInnen aufgegriffen wird, müssen AntifaschistInnen in Zukunft durch Kampagnen- und Bündnisarbeit genug TeilnehmerInnen mobilisieren, um an einen solchen Erfolg anzuknüpfen.
Dem Neo- und Altnaziaufmarsch zu Ehren von Rudolf Hess im bayrischen Wunsiedel machten 2005 die Gerichte einen Strich durch die Rechnung. Das Bundesverfassungsgericht beschloss, das zuvor verfügte Verbot des Landratsamtes nicht aufzuheben, um zunächst die Fragen, die die zuvor im Bundestag beschlossene Änderung des Straf- und Versammlungsgesetzes aufgeworfen hatte, klären zu können. Der Ausgangskonflikt und die dem versammlungsbehördlichen Verbot zu Grunde liegende Strafrechtsnorm werfen laut Bundesverfassungsgericht eine Reihe schwieriger Rechtsfragen auf, die letztlich nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden könnten.
Insbesondere wäre die Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 4 StGB zu prüfen und zu klären, ob die einzelnen vom Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof benannten Argumente, insbesondere die Annahme einer Störung des öffentlichen Friedens, das Verbot einer Versammlung wie der in Wunsiedel geplanten rechtfertigen kann. Die Gesetzesmodifikation des §130 Abs. 4 StGB fand im März 2005 anlässlich der Debatte statt, wie ein Naziaufmarsch am 8. Mai mit juristischen Mitteln zu unterbinden sei. Auf diese Urteile der Gerichte wollten sich die Initiatoren des bürgerlichen Bündnisses »Bunt statt braun« und das antifaschistische Bündnis »NS-Verherrlichung stoppen!« nicht verlassen und mobilisierten weiter nach Wunsiedel. Trotz des Verbots des Aufmarsches erschienen durch die Mobilisierung der Bündnisse 2000 bürgerliche AntifaschistInnen und etwa ebensoviele TeilnehmerInnen zur antifaschistischen Demonstration.
Die Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen!« hatte sich bereits lange zuvor gegründet, um überregional Öffentlichkeit gegen den Aufmarsch in Wunsiedel zu erzeugen und die historischen Hintergründe zu beleuchten. Durch eine bundesweite Einbindung von AntifaschistInnen gelang dem Bündnis eine erfolgreiche Mobilisierung. Das bürgerliche Bündnis mobilisierte eigenständig. Den längeren Atem hatten jedoch antifaschistische Gruppen: sie leisten schon seit Jahren Widerstand gegen den Aufmarsch in Wunsiedel. Das Konzept der Kampagne - Gegenöffentlichkeit, unmittelbare Mobilisierung und Bündnisarbeit - scheint aufzugehen und lässt erwarten, dass im Falle eines Aufmarsches in Wunsiedel im Jahr 2006 die TeilnehmerInnenzahl der Gegenaktionen sich proportional zu der des Neonaziaufmarschs entwickeln wird.
Dresden
Im Gegensatz zu den zuvor benannten Großevents, blieb eine Verhinderung des den Nationalsozialismus verherrlichenden Aufmarsches in Dresden 2005 aus. Anlässlich des 60. Jahrestages der Bombardierung Dresdens meldete die Junge Landmannschaft Ostpreußen einen Aufmarsch durch die Innenstadt Dresdens an. Die JLO sprach dabei in revisionistischer Manier von einem »Bombenholocaust«. Anstatt sich bei der Mobilisierung auf den Aufmarsch zu konzentrieren, schließlich handelt es sich um einen jährlichen Höhepunkt im Terminkalender der deutschen Neonazis, gaben AntifaschistInnen der Thematisierung geschichtsrevisionistischer Anknüpfungspunkte der bürgerlichen Gedenkfeierlichkeiten den Vorrang. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass inzwischen eine Veränderung im Denken vieler PolitikerInnen und BürgerInnen bezüglich der Gedenkveranstaltungen stattgefunden hat. So sind nunmehr bei den Gedenkfeierlichkeiten auch VertreterInnen der Alliierten mit eingebunden, geschichtsklitternde Mythen über die Bombardierung Dresdens wurden mittels einer von der Stadt eingesetzten Historikerkommission entlarvt, teils wurde auch Kritik am aggressiven geschichtsrevisionistischen Charakter der Veranstaltungen aufgegriffen und in den Medien thematisiert.
Dennoch fand dies kaum Niederschlag im Mobilisierungskonzept des antifaschistischen Bündnisses. Aufgrund dieser Schwerpunktsetzung anlässlich des 13. Februars erfolgte auch keine gezielte Mobilisierung der AntifaschistInnen gegen den Aufmarsch und auch eine entsprechende Bündnis- oder Öffentlichkeitsarbeit blieb aus. Am Tag des Aufmarsches wurde lediglich eine Kundgebung angemeldet, eine Koordinierung mit den bürgerlichen Gegenkundgebungen existierte nicht. Deshalb stand auch die Anzahl der TeilnehmerInnen an den Gegenkundgebungen letztlich in keinem Verhältnis zur Teilnehmerzahl der Neonazidemonstration. Sie konnte, von einem kurzzeitigen Stopp durch einen Blockadeversuch weniger Protestierender einmal abgesehen, ungestört durchgeführt werden. Durch das Ausbleiben einer gezielten antifaschistischen Öffentlichkeitsarbeit folgte später nicht einmal ein kritisches Presseecho, das die Durchsetzung des Aufmarsches thematisierte.
Fazit
Es lässt sich resümieren, dass es vor allem in Halbe und Wunsiedel ein Ergebnis antifaschistischer Mobilisierung war, dass ein derart hohes Protestpotential mobilisiert werden konnte. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass dies auch Erfolge kontinuierlicher Arbeit sind. Durch AntifaschistInnen konnte der Preis so in die Höhe getrieben werden, dass mittels inhaltlicher Arbeit, der Schaffung einer Gegenöffentlichkeit und Bündnisarbeit ein großes öffentliches Interesse geschaffen wurde, das mit zur Verhinderung dieser Aufmärsche beitrug. Neben den Großevents, die von den Rechten selbst abgesagt wurden, war es am 8. Mai vor allem ein Zeichen der gesellschaftlichen Sensibilisierung, die die politische Entscheidung bewirkte, den Aufmarsch zu verhindern. Einer Einflussnahme antifaschistischer Mobilisierungskonzepte ist dies nicht zuzuschreiben.
Anders gelagert ist der Fall in Dresden. Bewusst wurde sich gegen eine gezielte Mobilisierung gegen das Großevent der Rechten an diesem Tag entschieden. Hier ist ein Umdenken zu erhoffen. Die Verhinderung eines Aufmarsches dieser Größenordnung kann nur Erfolg haben, wenn sich das Mobilisierungskonzept ändert. Kritik an geschichtsrevisionistischen Tendenzen in der Gesellschaft ist zwar wichtig und ebenso Bestandteil antifaschistischer Arbeit, doch in Anbetracht dieses bundesweit etablierten Nazievents sollte diese Kritik an anderer Stelle formuliert werden. Auf dieser Grundlage muss es Ziel der Mobilisierung sein, ein öffentliches Bewusstsein und Interesse zu schaffen, die eine Verhinderung des Aufmarsches bewirken. Um dabei erfolgreich zu sein, bedarf es zunächst einer Bündnisarbeit fernab von einem rein taktischen Bündnis oder einer generellen Ablehnung von breiten Bündnissen. Überregional müssen Gruppen einbezogen werden, so dass bei einer Mobilisierung auch absehbar ist, wieviele TeilnehmerInnen kommen. Mittels einer gezielten Kampagnenarbeit sollte auf die historischen Hintergründe dieses Neo- und Altnaziaufmarsches verwiesen werden.
Begleitet werden solche Ansätze durch eine Öffentlichkeitsarbeit, die verhindert, dass Aufmärsche gesellschaftlich ignoriert werden können. Selbstverständlich darf dabei die Benennung und Kritik rechter und revisionistischer Tendenzen in der Gesellschaft nicht außer Acht gelassen werden. Mit dem Verschwinden von Aufmärschen aus der medialen Öffentlichkeit, schwinden auch bürgerliche Mobilisierungen gegen solche. Angesichts früherer Erfahrungen ist es ebenso wichtig, eine Abschreckung von BürgerInnen durch polizeiliche Repression zu verhindern und sie als KritikerInnen von Polizeigewalt und -schikane zu gewinnen. Nur mit einer solchen kontinuierlichen Arbeit wird es gelingen, den Preis für einen polizeilich durchgesetzten Aufmarsch auch in Dresden in die Höhe zu treiben.