Neonazis in Wunsiedel
Friedrich C. BurschelErst neulich ist Wunsiedel aus berufenem Munde großartig gelobt worden: Niemand geringerer als das bürgerliche Antifa-Sturmgeschütz Heribert Prantl selbst verortet beispielhaftes bürgerschaftliches Engagement in der oberfränkischen 11.000-Einwohner-Stadt. Er schreibt am 5. Mai 2006 in den viel gelesenen Wochenendteil der Süddeutschen Zeitung: »Der Aufstand der Anständigen: Man findet ihn, zum Beispiel, in Wunsiedel, wo mit der Initiative ‚Wunsiedel ist bunt’ und einem ‚Fest der Demokratie’ der öffentliche Raum besetzt und die alljährlichen Neonazi-Umzüge zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß vertrieben werden.« Dass der SZ-Groß-Feuermelder natürlich bei seiner gesamtdeutschen Lageeinschätzung nicht allzu genau hinschauen kann, sei ihm verziehen. Und dass die engagierten WunsiedlerInnen aus dem genannten Bündnis tatsächlich Beachtliches geschafft haben, soll auch gar nicht geleugnet werden.
Aber dass sich jenseits des Heß-Gedenkmarsches unterdessen eine rührige Neonazi-Szene in der »Festivalstadt« Wunsiedel etabliert hat, erfährt man in aller Ausführlichkeit allenfalls vom »antifaschistischen recherche team – nordbayern« (art-nb), das seit einiger Zeit unermüdlich auf die Entstehung einer oberfränkischen Neonazi-Hochburg hinweist – und damit weitgehend ignoriert wird. Mehr noch: die »Mitte« der Wunsiedeler Stadtgesellschaft reagiert auf die Überbringer der Nachricht aggressiv ungnädig und auf die Nachricht selbst mit denselben sattsam bekannten Ausflüchten und Abwiegeleien, die seit der Wiedervereinigung im Lande ebenso zum kommunalen Gemeingut gehören wie die Entstehung zusehends selbstbewusster Neonazi-Kameradschaften. Lokalmedien, Polizei, Verwaltung und Politik schließen einfach die Augen und hoffen, die Realität dadurch unsichtbar zu machen.
Heribert Prantl konnte zum Beispiel nicht wissen, dass es an jenem viel gepriesenen »Tag der Demokratie« zu einem schweren Angriff von in Wunsiedel abgewiesenen Neonazis auf ein paar Jugendliche im Nachbarort gekommen ist, der bis heute offenbar keinerlei Konsequenzen hatte. Bine, eine 18jährige Wunsiedeler Fachoberschülerin, (Name geändert) berichtet: »Die Neonazis durften nicht marschieren. Abends waren Bekannte von mir in Tröstau. Da ist ein Jugendraum, in der direkten Umgebung gibt es nur einen Nachbarn, die Bewohner des Pfarrhauses, doch die waren, soweit ich weiß, an diesem Abend nicht da. Die Jugendlichen waren zu fünft dort oben. Sie feierten etwas. In der Feuerstelle hatten sie ein Feuer gemacht. Abends sahen sie Leute hochkommen (der Jugendraum liegt auf einem Hügel). Schon bald merkten sie, dass es sich bei den Leuten um Nazis handelte. Drei der fünf rannten weg. Plötzlich standen zwischen 20 und 30 Nazis oben am Jugendraum. Sie schlugen mit Bänken, Holzlatten und glühenden Holzscheiten auf die beiden ein.
Eines der Opfer war selbst kein Deutscher, sondern Spätaussiedler. Die anderen drei, die weggelaufen waren, trafen weiter unten auf weitere Neonazis, ungefähr 20. Bei diesen war ein Mädchen dabei, das ihnen allen noch von früher bekannt war. Es stellte sich im Nachhinein heraus, dass die Neonazis, die oben am Jugendraum für Aufruhr gesorgt hatten, aus Thüringen kamen und nicht nach Wunsiedel reingelassen wurden. So ließen sie Ihre Wut an Jugendlichen aus. Bei einem der Verletzten, ihm wurde mit brennendem Holz ins Gesicht geschlagen, sind die Narben noch heute zu sehen. Die Fünf meldeten sich umgehend bei der Polizei, allerdings wurden Sie abgewimmelt und es kam meines Wissens bis heute zu keinem Verfahren gegen die Neonazis.«
Das bestreitet der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion Wunsiedel, Klaus Bernhardt. Er sei selbst bei einem Einsatz und der Festnahme einiger Verdächtiger in Tröstau dabei gewesen. Bleibt die Frage, weshalb die Jugendlichen den Eindruck haben, das von ihnen erlittene Unrecht, die Gewalt bleibe ungesühnt. Offenbar wird hier entweder gar nicht oder nur schleppend ermittelt, jedenfalls sind die Geschädigten bis heute wohl nicht als Zeugen vernommen worden. Vielleicht ist das ganze aber auch schon wegen »Geringfügigkeit« eingestellt.
Angesprochen auf die Klagen junger, nicht-rechter WunsiedelerInnen über nächtliche Pöbeleien und Angriffe, kommt Bernhardt schon mal der Begriff der »Panikmache« über die Lippen, welche er gerade angesichts der bevorstehenden Fußball-WM für sehr bedenklich hält.
Die betroffenen jungen Leute berichten von weiteren nächtlichen Auseinandersetzungen mit Neonazi-Grüppchen und tätlichen Angriffen, etwa am 18. Juni und am 23. Dezember vergangenen Jahres: alles Geschehnisse, die öffentlich kaum oder gar nicht wahrgenommen wurden, obwohl es Verletzte gab. Die Lokalpresse macht mangels Pressemitteilung die Polizei dafür verantwortlich, der stellvertretende Bürgermeister von Wunsiedel und Sprecher des Bündnisses »Wunsiedel ist bunt«, Matthias Popp, sieht entsprechende Defizite bei der Lokalpresse: »Da ist die Lokalpresse in der Verantwortung.«
Für PI-Vize Bernhardt hält sich die seit nun gut 15 Jahren immer wieder gern genommene Einschätzung, dass der Rechtsextremismus bei »den jungen Leuten« einfach nur eine Episode der Jugendzeit sei, mithin ein Jugendproblem, das sich »irgendwann von selber« gebe.
Mehr noch, die Polizei müsse sich einfach an rechtsstaatliche Prinzipien halten und könne andere Meinungen nicht einfach verbieten. Und: »Es muss geredet werden!« Die Polizei sei bei den regelmäßigen Neonazi-Veranstaltungen in der alten Bahnhofsgaststätte »Lokalbahn« stets präsent und spreche nicht nur mit dem Wirt der Neonazi-Kneipe Andreas Heine, sondern auch mit den meist jugendlichen BesucherInnen. »Es ist noch nie etwas im Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen passiert«, bilanziert Bernhardt zufrieden.
Dass diese Veranstaltungen überhaupt stattfinden, ist für viele Skandal genug. Ein Blick auf die Internet-Seite der »Lokalbahn« offenbart recht unverblümt, um was für ein Etablissement es sich da handelt. Im Grunde handelt es sich bei der Website wie wohl bei der ganzen Lokalität um eine Dependance der »Freien Kameradschaft Wunsiedel«. Wohl Mitte 2005 gegründet, tauchte das Fronttransparent der Wunsiedeler Neonazis entweder einzeln oder im Verein mit dem »Kameradschaftsbund Hochfranken« bei vielen einschlägigen Großereignisses der bundesdeutschen Szene auf: in Dresden am 11. Februar 2006 und am 11. März 2006 in Halbe. Erstmals traten die Kameraden mit ihrem Fraktur-„Logo“ nach dem verbotenen Heß-Marsch beim »Ersatzgedenkmarsch« der NPD am 4. September 2005 in Erscheinung: Den Zug der 150 Neonazis führte der notorische Jürgen Rieger an, der hinterher noch im Szene-Anlaufpunkt »Lokalbahn« einkehrte.
Die Wunsiedeler Kameradschaft zeichnet offenbar auch für das »anspruchsvolle« Kultur- und Politprogramm in der relativ kleinen Gaststätte verantwortlich: Ob es sich wie am 10. Februar 2006 um einen Abend mit dem Vertrauten von NPD-Bundesvorsitzenden Voigt, Thomas »Steiner« Wulff, handelt oder um Rechtsrock-Konzerte mit Bands wie der Wunsiedeler Neugründung »Braune Brüder«, der Geraer Nazi-Combo »DNA« (Motto: »Hate Train Rolling« am 4. März 2006) oder den unvermeidlichen Neonazi-Barden »Michael & Annett« – die Kneipe hat sich zu einem überregionalen Szenetreff gemausert. Letzter Höhepunkt war ein für Samstag vor Ostern geplantes »Rock against Communism«-Konzert, das wegen Feiertags-Regelungen in den Kartagen schließlich auf Ostersonntag verlegt werden musste. (Immerhin 150 BürgerInnen protestierten dagegen.)
Die Ankündigung dieses inzwischen 6. Konzertes – übrigens werden alle Veranstaltungen in der »Lokalbahn«, und seien sie noch so braun, vom Wirt beflissen den Behörden gemeldet – war für das art-nb Grund genug am 15. April 2006 zu einer öffentlichen Informationsveranstaltung in Wunsiedel einzuladen, nicht nur um über den raschen Organisierungs-Schritte der Rechtsextremen in der Stadt zu informieren, sondern auch um auf die Hilflosigkeit »bürgerlicher Gegenwehr« hinzuweisen.
Die Lokalpresse hielt die öffentliche Einladung der art-nb keiner Meldung für wert und überließ es ausgerechnet dem Neonazi-Gastronom darauf hinzuweisen: am 15. April 2006 erschien von Andreas Heine ein Leserbrief in der Lokalzeitung »Frankenpost«, der an Deutlichkeit, was die Gesinnung des Schreibers angeht, nichts zu wünschen übrig lässt. »Da das städtische Jugendzentrum offensichtlich nur Linksradikalen zur Verfügung steht – am heutigen Samstag findet eine so genannte Aufklärungsveranstaltung statt, die vom linksextremistischen antifaschistischen Rechercheteam Nordbayern durchgeführt wird –, sehe ich kein Vergehen darin, dass national Deutsche in meiner Kneipe friedlich feiern«, schreibt der Neonazi-Wirt offenherzig und darf mit Abdruck in der Lokalpostille rechnen. »Wer ständig Toleranz fordert, der sollte langsam damit beginnen, diese auch einmal selbst zu praktizieren«, fordert Heine und bedient sich hier eines gängigen rechtsextremistischen Diskussionsmodells.
Fragt man den verantwortlichen Redakteur der »Frankenpost« in Wunsiedel, Joachim Dankbar, ob einem Rechtsextremen wie Heine auch noch mit Leserbriefen ein Forum geboten werden müsse, wird dieser ungehalten. Sein Blatt stehe »auf der richtigen Seite« und für »Freiheit, Demokratie und liberales Bürgertum« ein, habe stets ausführlich zum Problem berichtet und auch in Kommentaren Position bezogen. Zu der Veranstaltung im städtischen Jugendzentrum waren dann zwar Bürgermeister Karl-Willi Beck und sein Stellvertreter Popp erschienen, einen Berichterstatter der »Frankenpost« suchte man vergeblich. Dankbar findet allgemein – ähnlich wie der Polizei-Vize – viele der Jugendlichen würden sich bei dem Thema »Erhitzheiten und Erregtheiten« hingeben. Zwar gebe es in Wunsiedel ein Problem, »wie sich solche Jugendsubkulturen bilden«, aber von »No go areas« könne nicht die Rede sein.
»Ich habe keine Angst des Nachts durch Wunsiedel zu gehen«, erklärt denn auch Bürgermeister Karl-Willi Beck, der wegen seines imageträchtigen Agierens gegen den Heß-Gedenkmarsch bundesweite Bekanntheit genießt. Immerhin hatte er sich mit dem Slogan aus der linken Demo-Mottenkiste »Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht« den Heß-Verehrern mit einer Sitzblockade entgegengesetzt – solange es die Polizei erlaubte. Es ist ihm auch hoch anzurechnen, dass er – im Gegensatz zur Lokalpresse – den Weg in das Jugendzentrum zur art-nb-Veranstaltung fand und sich dort mit seinem Vize Popp der Diskussion stellte.
Er meint es schon ernst. Aber mit einer astreinen CSU-Polit-Sozialisation fällt es natürlich schwer, etwas komplexere gesellschaftliche Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten zu durchschauen. Gegen Neonazis zu sein, das weiß inzwischen jeder, ist keine Kunst – wohl aber, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wenn im Juz etliche junge Leute die Deckung verlassen und den Schutz der bewachten Veranstaltung nutzen, um sich – wie Bine und ihre FreundInnen – ihre Ängste und zum Teil durchaus nicht mehr witzigen Erlebnisse von der Seele reden, mit dem zitierten Satz zu antworten, ist einfach töricht.
Wie an vielen anderen Orten in Westdeutschland, wo man gerne in Sachen Rechtsextremismus gen Osten deutet, reagiert die Bürgerschaft im Bündnis »Wunsiedel ist bunt« – mit immerhin rund 50 Aktiven plus 20 Leuten in der Jugendinitiative gegen Rechtsextremismus – erst Mal ganz passabel und organisiert Veranstaltungen mit einschlägigen Experten zum Thema: Da kommt jemand vom apabiz in Berlin und der geläuterte Ex-Neonazi Matthias Adrian von »EXIT«, da werden Diskussionen veranstaltet, Mahnwachen und eben »Tage der Demokratie«. Dass sie dann aber völlig überfordert ist, als bei einer Info-Veranstaltung im Juli 2005 unter den insgesamt 45 ZuhörerInnen immerhin 15 veritable Neonazis hocken, darunter NPD-Prominenz wie der Fraktionsmitarbeiter im sächsischen Landtag Sascha Rossmüller und bayerische Landesgeschäftsführer Axel Michaelis, liegt an der völlig falschen Einschätzung der rechten Szene.
Während die Polizei schwadroniert, das Problem »im Griff« zu haben und rührige BürgerInnen hier immer noch glauben, mit den Neonazi-Kadern, die ein ums andere Mal die TeilnehmerInnen der Veranstaltungen in aller Seelenruhe abfotografieren, diskutieren zu müssen und sie von ihrem Irrweg abzubringen, kommen auf Wunsiedel noch ganz andere Probleme zu als nur die »Lokalbahn« und die selbstbewusst auftretende Kameradschaft zu.
Nach Recherchen des Juso-Bezirksverbandes Oberfranken und der art-nb gibt es jetzt eine weitere Kneipe in Wunsiedel, die in rechter Hand ist. Die einschlägige Klientel pendelt wohl gerne zwischen der »Lokalbahn« und dem »Treffpunkt« (in der Hornschuchstraße). Und NPD-nahe Personen haben offenbar beim Besitzer eines leer stehenden, ehemaligen Möbelhauses Interesse am Kauf der Immobilie bekundet. Etwas hilflos zog sich Beck auf die Bemerkung zurück, es handele sich dabei um ein »schwebendes Verfahren« und er werde dazu nicht Stellung nehmen, gab so aber indirekt zu, das an der Geschichte etwas dran ist. Die rund 50 BesucherInnen der Veranstaltung im Juz zeigten sich über diese widersprüchlichen Haltungen der Stadt erstaunt, denn es ist andererseits bekannt, dass die Stadt das Gebäude, in welchem das braune Nest »Lokalbahn« sitzt, von der Deutschen Bahn AG erwerben will, um das ganze Umfeld dort oben zu sanieren.
Das wäre für die Neonazi-Szene in Wunsiedel doch ein prächtiger Tausch: Statt des auf rund 100 Personen beschränkten Gasthauses ein veritabler Konzertsaal im alten »mobi-fix«-Möbelhaus. Dann hätte die bundesweit laufende »Immobilien-Offensive« der Neonazis nach den Pleiten in Grafenwöhr und Cham endlich auch in Bayern Fuß gefasst.