Zweierlei Maß
Zeitschrift »Enough is enough«»Stoppt die rassistischen Ermittlungen« forderten das Lübecker Bündnis gegen Rassismus und andere antirassistische Initiativen. Hatten ideologische Scheuklappen dazu geführt, dass Linke sich nicht mit einem Tatverdacht gegen einen Flüchtling abfinden konnten? Oder trug sich vielmehr in den Monaten nach dem Brandanschlag einer der größten Justizskandale der BRD zu?
Safwan Eid wurde mit der Begründung in Haft genommen, dass er a) die Tat gestanden habe und b) über Täterwissen verfügte – also Erkenntnisse habe, die nur der oder die Täter haben konnte(n).
Der Rettungssanitäter Jens L. behauptete zwei Tage nach dem Anschlag, Safwan habe zu ihm gesagt »Wir warn’s«. Und weiter, man habe sich an einem Familienvater rächen wolle (warum, blieb unklar) und deshalb Benzin an dessen Wohnungstür gegossen und angezündet. Das brennende Benzin sei dann die Treppe hinunter gelaufen und bald habe das ganze Haus in Flammen gestanden.
Die Brandsachverständigen von BKA und LKA kamen zu dem Schluss, der Ort des Brandausbruches müsse im Flur des 1. OG liegen, zwischen zwei Wohnungstüren und einige Meter von der Treppe entfernt. Die Staatsanwaltschaft sah in diesem Gutachten die Bestätigung für die Aussage von Jens L. und gleichzeitig das Täterwissen. Denn zu dem Zeitpunkt, als Jens L. von einer Tür, an der Benzin ausgegossen worden sein sollte, berichtete, kannten die Ermittler den Ort des Brandausbruches nicht.
Safwan Eid wurde während der sechsmonatigen U-Haft abgehört. Gebete und Gespräche wurden protokolliert. Als belastend sahen die Ermittler an, dass Safwan Gott um Verzeihung für seine Sünden gebeten habe. Das Motiv liege in nicht näher bezeichneten Konflikten zwischen den HausbewohnerInnen.
Geständnis mit viel »oder«
All das mag auf den ersten Blick einen Tatverdacht begründen. Bereits unter dem zweiten Blick löst sich der gesamte Verdacht allerdings auf: So bietet die Aussage des Sanitäters ein »Potpourri an Möglichkeiten«, wie es Safwans Verteidigerinnen Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter formulierten. Denn der Sanitäter legt sich auf nichts Konkretes fest. Safwan soll Benzin oder eine andere brennbare Flüssigkeit aus einer Flasche oder einem Becher oder einem anderen Gefäß an die Tür eines Familienvaters oder eines anderen Hausbewohners geschüttet haben. Von einer Tür im 1. OG ist bei der Aussage von Jens L. selbst überhaupt nicht die Rede. Ein Haftrichter dichtet dieses 1.OG zur Aussage dazu – und begründet damit sechs Monate U-Haft.
Fest steht, dass Safwan noch in der Brandnacht mit mehreren Personen über den Anschlag gesprochen hat. Sie alle, unter ihnen auch ein Polizeibeamter, sagen übereinstimmend aus, dass Safwan wiedergab, was sein Vater Marwan in der Brandnacht beobachtet hat. Marwan habe ein »Bumm« gehört, habe dann aus dem Fenster geschaut und Flammen an der Haustür gesehen. »Sie haben die Treppe angezündet, damit wir nicht mehr raus können«. Nur Jens L. will eine andere Aussage von Safwan gehört haben…
Der Ort des Brandausbruches ist ein entscheidender Faktor: Den Flur, wo laut BKA und LKA das Feuer gelegt worden sein soll, sind nach Brandausbruch mehrere BewohnerInnen des Hauses entlang geflüchtet. Sie alle sagen aus, dass sie in diesem Flur keine Flammen gesehen haben. Die Staatsanwälte haben diesen Aussagen keinen Glauben geschenkt, sie unterstellten den meisten Flüchtlingen, sie hätten ihre Aussagen zu Gunsten Safwans getätigt. Warum aber barfuß flüchtende Menschen sich am angeblichen Ort des Brandausbruches keine Verbrennungen an den Füßen zugezogen haben, wurde von den Anklägern nicht erklärt.
Die lästigen Gesetze der Physik
Tatsächlich haben alle ZeugInnen die in einer frühen Brandphase den hölzernen Eingangs-Vorbau gesehen haben, dort starkes Feuer beobachtet. Brandsachverständige der Verteidigung gingen auch von diesem Eingangsbereich als Brandausbruchsort aus. Denn so ließe sich die weitere Entwicklung des Feuers erklären. Die Version der Staatsanwaltschaft, das Feuer habe sich nach unten durch brennendes, hinab fließendes Benzin ausgebreitet, hat einen kleinen Schönheitsfehler: Das Benzin hätte, um vom Flur zur Treppe zu kommen, eine Steigung von 13 cm überwinden müssen…
Die Abhörmaßnahme wurde im ersten Prozess für illegal erklärt. Dies kassierte der Bundesgerichtshof und ebnete damit den Weg für den Revisionsprozess vor dem Kieler Landgericht. Dieses Gericht stellte dann fest, dass die ersten Übersetzungen von Safwans Aussagen grob fehlerhaft waren, dass tatsächlich aus der gesamten Abhörmaßnahme nichts belastendes entnommen werden könne, sogar im Gegenteil. So heißt es in der Begründung des Freispruches: »Sie (die abgehörten Gespräche) sprechen in ihrer Gesamtheit vielmehr eher dafür, dass der Angeklagte von dem in dem Haus entstandenen Brand überrascht war, weil er damit nichts zu tun hatte, und dass er auch keine sichere Kenntnis von dem Brandlegungsmittel hatte«.
Vertuschter Verdacht
Vier junge Männer aus Grevesmühlen, Dirk T., René B., Maik W. und Heiko P. haben sich in der Brandnacht in Lübeck aufgehalten. Maik W. wird auch »Klein Adolf« genannt und hat SS-Literatur und Reichskriegsflagge in seinem Zimmer. Dirk T. war »mit seiner Gruppe schon in Rostock dabei«, René B. hat nichts gegen »Juden, Neger, Zecken und Wessis«, Heiko P. »kritisiert« Brandanschläge, weil »sie deutsches Gut versauen«. T., W. und B. hatten frische, höchstens 24 Stunden alte Sengspuren an Wimpern, Augenbrauen und Kopfhaar, laut Gerichtsmedizin »typisch für Brandstifter«.
Sie beschreiben Geschehnisse, die vor dem Eintreffen der Rettungskräfte am Brandhaus stattgefunden haben müssen: Eine Frau, die mit ihrem Kind auf dem Arm auf die Straße sprang und einen »brennenden Mann«. Dabei kann es sich nur um Sylvio Amoussou handeln, der im Eingangsvorbau umgekommen ist. Maik W. hat die Tat mehrmals gestanden (vor JVA-Bediensteten (er saß wegen Autodiebstahls), vor Polizei und Staatsanwaltschaft, vor Journalisten. Darüber soll er Anfang Januar 1996 gegenüber einem Freund geäußert haben, er wolle »demnächst nach Lübeck, um dort etwas anzuzünden«.
Am 8. Mai verfügte Staatsanwalt Dr. Böckenhauer die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die vier, denn sie hätten für die Tatzeit ein Alibi. Denn um 3.17 Uhr befanden sich B., W. und P. an einer Tankstelle, die weniger als 10 Autominuten von der Hafenstraße entfernt liegt. Wo sich Dirk T. (in einem geklauten VW Golf) aufgehalten hat, wurde nicht geklärt. Der genaue Zeitpunkt des Brandausbruches konnte übrigens bis heute nicht festgestellt werden.
Nicht nur die Verdachtsmomente zwischen Safwan Eid auf der einen Seite und den vier Männern aus Grevesmühlen sind unterschiedlich stark, der Ermittlungseifer der Behörden ist es auch: Nachdem sich die Ermittler einmal auf Safwan als Brandstifter festgelegt hatten, konnten weder physikalische Gesetze noch Geständnisse der Grevesmühlener, noch die »typischen Spuren von Brandstiftern« daran etwas ändern.
Aus der Zeitschrift für antirassistische und antifaschistische Politik in Schleswig/Holstein und Hamburg »Enough is enough« Nr. 24
www.nadir.org/nadir/periodika/enough