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Katholische Kirche von Neonazis niedergebrannt

Avanti - Projekt undogmatische Linke / Lübeck
Einleitung

In der Nacht zum Sonntag, den 25. Mai 1997 wurde ein neonazistischer Brandanschlag auf die katholische St. Vicelin-Kirche in Lübeck/St. Jürgen verübt. Durch das Feuer wurde die Kirche beinahe vollständig zerstört. Noch bis in den Sonntagnachmittag hinein war die Feuerwehr mit den Löscharbeiten beschäftigt. Die Täter hinterließen fünf Hakenkreuze, die mit weißer Farbe an die Wand gesprüht wurden. Außerdem schmierten sie den Namen eines evangelischen Pastors, der in seiner Gemeinde einer algerischen Familie seit drei Wochen Schutz vor der Abschiebung bietet, an die Kirchenwand. Somit richtete sich dieser Anschlag nicht nur gegen eine Kirche, sondern vor allem gegen das bestehende Kirchenasyl in der St. Marien-Gemeinde und dem dafür verantwortlichen Pastor Harig.

Screenshot aus "Der Spiegel" 23/1997

Erneuter neonazistischer Anschlag in Lübeck

Als am Sonntag vormittag die ersten Schaulustigen und einige Lübecker AntifaschistInnen am Brandort eintrafen, hielten sich dort bereits einige jugendliche Neonazis aus dem Stadtteil auf und wagten es schließlich, eine Reichskriegsflagge auszubreiten. Als AntifaschistInnen einschritten, um die Flagge zu entfernen, sah sich auch die Polizei endlich genötigt, einzugreifen. Es blieb allerdings bei einer Personalienfeststellung und einer kurzen Durchsuchung der Neonazis.

Der erneute neonazistische Anschlag in Lübeck ist in einer Reihe von Anschlägen, die in der jüngeren Vergangenheit verübt wurden, zu sehen. Speziell der Stadtteil St. Jürgen steht für eine Welle neonazistisch motivierter Anschläge.

Als im Juni 1996 bei einem Feuer im StudentInnen-Wohnheim der Fachhochschule Lübeck ein Student starb, die Namen aller nichtdeutscher StudentInnen an den Klingeln der Eingangstür durchgestrichen und Hakenkreuz- Schmierereien entdeckt wurden, versuchte die Polizei diesen Vorfall zu vertuschen. Die Öffentlichkeit wurde mit dem Ergebnis der Ermittlungen abgespeist, es handle sich um einen technischen Defekt.

Im Juli 1996 überraschte ein Pärchen einen Mann, der ein Anschlag auf das türkische Restaurant »Marmara«, nur wenige Straßen von dem StudentInnen-Wohnheim und der St. Vicelin-Kirche entfernt, verüben wollte. Der Täter konnte auf einem Fahrrad fliehen. Zuvor jedoch besprühte er das Gebäude und die Lieferfahrzeuge mit Hakenkreuzen. Am Tatort fand die Polizei später zwei Brandflaschen.

Am Jahrestag des Anschlags auf das Flüchtlingswohnheim in der Hafenstraße, bei dem zehn Menschen starben, wurde die St. Jürgen-Kapelle mit Hakenkreuzen besprüht. An diesem Tag sollte dort ein ökumenischer Gottesdienst für die Brandopfer stattfinden.

Nur wenig Tage später, am 27. Januar 1997, beschmierten Unbekannte das Haus des Bischofs Kohlwage, der sich positiv zum Bleiberecht der überlebenden Brandopfer aus der Hafenstraße geäußert hatte, mit Hakenkreuzen. Wiederum nur wenige Wochen später wurde ein Brandanschlag auf die Gartenlaube des Bischofs verübt. Wieder hinterließen der/die Täter Hakenkreuzschmierereien. Für diese Anschläge wurden bis heute keine Täter gefaßt.

Anscheinend aus Verzweiflung der Ermittlungsbehörden, erhielt ein Aktivist von »BASTA!-Linke Jugend« eine Zeugenvorladung zu diesem Ermittlungsverfahren. Er hatte in seiner Rede auf der von »BASTA« organisierten Demonstration am 17. Januar 1997, zum Jahrestag des Hafenstraßenanschlags, die Schmierereien an der Kapelle zum ersten mal öffentlich gemacht. Zwar waren Polizei und Presse schon längst informiert, doch konnte der Staatsschutz offensichtlich kaum glauben, daß eine Gruppe Jugendlicher ebenfalls schon Bescheid wußte.

Heide Simonis, Schleswig- Holsteins Ministerpräsidentin, die am Nachmittag am Brandort eintraf, zeigt sich empört über die Gewalt und den schlechten Ruf der schönen Altstadt, den diese gar nicht verdient habe. Im Laufe des Nachmittags entschied sich »BASTAS-Linke Jugend« spontan für den Montag zu einer antifaschistischen SchülerInnen-Demonstration aufzurufen. In dem Flugblatt zur Demonstration »Kein Vergeben! Kein Vergessen! - Den rechten Terror bekämpfen!« wurde zum Schulboykott aufgerufen. Dem Aufruf folgen ca. 400 SchülerInnen. Auf der Kundgebung wurde zu antifaschistischer Selbstorganisierung und zu entschlossenem Eingreifen gegenüber Neonazis aufgefordert. Kundgebung und Demonstration fanden unter einem für Lübeck unverhältnismäßigen Polizeiaufgebot statt. An der St. Marien-Kirche wurde eine symbolische Aktion in Form einer Menschenkette um die Kirche durchgeführt, mit der sich die SchülerInnen schützend vor das Kirchenasyl stellen wollten.

Am 29. Mai wurden zwei Demonstationen von einem "Bündnis Rechts für Lübeck" unter dem Motto »Kirchenasyl wider Gesetz und Recht«, für den 31. Mai angemeldet. Hinter diesem angeblichen Bündnis steckten die NPD und ihre Jugendorganisation JN. Als das Lübecker »Bündnis gegen Rassismus« sofort Gegenaktionen für den gleichen Tag ankündigte, wurden beideDemonstrationen vom Lübecker Ordnungsamt verboten.

Ebenfalls für den 31. Mai kündigte die rechte Partei "Die Republikaner" (REP) eine Veranstaltung zum Thema »Euro - Wahnsinn« an. Als Referent wurde der ehemalige Landtagsabgeordnete der REPs, Dr. Eckhard angekündigt. Die Veranstaltung sollte im philipinischen Restaurant »Marquez« in Lübeck/Moisling stattfinden. Als auch hier vom Lübecker »Bündnis gegen Rassimus« angekündigt wurde, diese Veranstaltung zu verhindern, wurde das Restaurant vom Ordnungsamt aus gastronomierechtlichen Gründen für den 31. Mai geschlossen. Der Restaurantbesitzer klagt inzwischen gegen diese Verfügung. Die Republikaner kündigten an, ihm den finanziellen Verlust zu ersetzen. Außerdem wurde mitgeteilt, die Veranstaltung aufgrund der «Repression« konspirativ durchzuführen. Leider konnte bis zum Veranstaltungstermin der Ort nicht herausgefunden werden. Inzwischen ist klar, daß die Veranstaltung im Lübecker Stadteil Küknitz stattfand. Aus Angst vor Störungen durch AntifaschistInnen nahmen nur wenige Personen teil. Statt Dr. Eckhard trat Thorsten May, der neue Kreisvorsitzende der REPs, als Redner auf und hielt eine einstündige Rede.

Am Abend des 29.  Mai verteilten Neonazis in der Nähe der abgebrannten St. Vicelin-Kirche ein Flugblatt, in dem sie die Schuld für den Anschlag von sich wiesen und vielmehr Linke und AntifaschistInnen dafür verantwortlich machen wollten. Als presserechtlich verantwortlich zeichnete der bekannte Neonazikader Thomas Wulff. Herausgegeben wurde das Flugblatt von einem "Aktionskomitee für harige Angelegenheiten". Unterstützt wird es durch »viele freie Nationalisten«, den "Bund für Gesamtdeutschland" (BGD) von Horst Zaborowski, eine "Initiative gegen Drogenfreigabe" und die Jungen Nationaldemokraten (JN) Schleswig Holstein und das "Nationale und Soziale Aktionsbündnis Norddeutschland".

Die neuerlichen Geschehnisse in Lübeck zeigen zweierlei: erstens ist die Lübecker Neonaziszene nach wie vor aktiv. Alle Diskussionen und Aktivitäten nach dem Brand in der Lübecker Hafenstraße und während des Prozesses gegen Safwan Eid haben diese Szene unbeeindruckt gelassen. Das ist auch logisch, war doch diese ganze Arbeit zwangsläufig darauf ausgerichtet, gegen die skandalöse Ermittlungsarbeit der Justiz und eine immense Pressehetze anzuarbeiten.

Aber im Gegenteil: Lübeck ist für die militante Neonaziszene zu einem Symbol geworden, das sogar für weitere Kampagnen benutzt werden kann. Bislang weiß niemand, ob es sich bei den neuerlichen Tätern um Ersttäter oder Wiederholungstäter handelt. Diese Frage kann allerdings fast dahingestellt bleiben: der neuerliche Anschlag ruft die rechte Szene auf, weiterhin mit Brandanschlägen gegen AsylbewerberInnen und ihre UnterstützerInnen vorzugehen. Und die Botschaft wurde gehört: wenige Tage später erfolgte ein fast gleichgelagerter Anschlagsversuch in Hamburg.

Unklar bleibt, inwieweit hinter den regelmäßigen Anschlägen in Lübeck System steckt. Nicht nur der Brandanschlag auf die St. Vicelin-Kirche und die wiederholten Attacken auf Bischof Kohlwage, sondern auch der Briefbombenanschlag auf den SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Rother vor zwei Jahren, hat eine Opfergruppe getroffen, die in organisierten neoneonazisischen Kreisen als vorrangige Anschlagsziele gehandelt werden. Wie bei den zahlreichen Briefbombenanschlägen in Österreich, werden hier nicht mehr nur MigrantInnen und Flüchtlinge attackiert, sondern auch die, die sie unterstützen, »die Volksverräter aus den eigenen Reihen«.

Und auch die beiden Brandanschläge auf die Synagoge in Lübeck sind (noch) Besonderheiten im Deutschland der 1990er Jahre. Die andere Variante wäre, daß die rechte Szene in der Hansestadt so groß und agil ist, daß die Anschläge unabhängig voneinander geplant und ausgeführt wurden. Eine Möglichkeit, die nicht weniger beunruhigend ist, als erstere.  Wie dem auch sei. Eine Wirkung haben die dauernde Anschläge zumindest teilweise erreicht: die Stimmung in Lübeck polarisiert sich und erhält einen Schwung nach rechts.

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Nachtrag der Redaktion:

Eine Gruppe rechter Jugendlicher aus dem Stadtteil St. Jürgen soll nach den Erkenntnissen der Lübecker Staatsanwaltschaft für die Brandstiftung und die Hakenkreuzschmierereien in der Nacht zum 25. Mai 1997 verantwortlich sein.

Bei der Auswertung von 300 Spuren und Hinweisen aus der Bevölkerung war die Polizei auf fünf jugendliche rechte Skinheads zwischen 13 und 19 Jahren gestoßen, die nahe der Kirche wohnen und in der Nachbarschaft wegen ihrer rechten Gesinnung bekannt sind. Diese rechte Clique war in der Nacht des Brandanschlags gegen 1.15 Uhr in der Umgebung der Vicelin-Kirche gesehen worden. Von der zuständigen Jugendrichterin wurde ein Haftbefehl gegen einen 19jährigen Gärtnerlehrling wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung erlassen. Dieser hatte zuvor die Tat gestanden. Vor der Haftrichterin habe er sein Geständnis "allerdings relativiert". Vier weitere mutmaßliche Tatbeteiligte, darunter ein jüngerer Bruder des Verhafteten, blieben auf freiem Fuß.

Ein 15- und ein 17jähriger haben nach Angaben der Ermittler zugegeben, daß sie die Hakenkreuze und den Namen des Pastors Günter Harig an die Wand der Kirche sprühten, während der ältere einen Anbau der Kirche aufbrach und ihn mit Signalmunition aus einer Schreckschußpistole in Brand schoß.

Bei den Jugendlichen gibt es nach Polizeiangaben eine "unreflektierte, dumpfe Ideologie auf der Ebene von ,Ausländer raus!`". "Wir haben keinerlei Hinweise, daß sie einer rechten Gruppe angehören", hieß es auf einer Pressekonferenz.