Hausbesetzung durch Faschisten
Elena RothAm Samstag, den 28.Juni besetzten etwa 20 vermummte Neonazis aus dem Raum Schleswig-Holstein für einige Stunden ein leerstehendes Haus im Lübecker Stadtteil St. Lorenz, um damit ihrer Forderung an die Stadt, Räumlichkeiten für die Schaffung eines nationalen Jugendzentrums zur Verfügung zu stellen, Nachdruck zu verleihen. Nach dem Antritt des »Bündnis Nationaler Sozialisten« für die Wahl zur Lübecker Bürgerschaft Anfang des Jahres, erweist sich Lübeck nun zum wiederholten Male als Hochburg von Neonaziaktivitäten in Schleswig-Holstein.
Hausbesetzung
Am frühen Morgen des 28. Juni sammelten sich nach und nach Schaulustige vor der weißen Villa in der Nähe der Lübecker Innenstadt und folgten gebannt den 14 ganz in schwarz gekleideten, vermummten Personen, die kurze Zeit vorher das seit Jahren leerstehende städtische Gebäude besetzt hatten und nun vom Balkon des Hauses ein Transparent mit dem Ché Guevara Zitat »Schafft zwei, drei, viele Alternativen« herunterließen. Schräg gegenüber des Hauses verwies ein weiteres Transparent, das an der dort befindlichen Kirche befestigt wurde, auf die bis dahin unbekannte Homepage von »Alternativen-Schaffen«.
Aus dem Gebäude, das direkt einer vielbefahrenen Strasse liegt, wurde dann eine Kundgebung abgehalten, in welcher der Sprecher sich solidarisch mit den Betreibern des linken, selbstverwalteten Jugendzentrums Alternative e.V. (Walli) erklärte, das seit mehr als 25 Jahren in Lübeck existiert und zur Zeit von der Schließung bedroht ist. Weiterhin wurde über die Politik der zur Zeit regierenden Lübecker CDU gewettert, so dass für viele Passanten, die zum Teil sehr positiv auf die Aktion reagierten, der Eindruck entstanden ist, dass die Aktivisten aus dem linken Spektrum stammen. Als der Sprecher dann aber abschließend die Stadt aufforderte, Räumlichkeiten für die Schaffung eines nationalen Jugendzentrums bereitzustellen, wurde den meisten erst klar, dass die Besetzer keineswegs linke Walli-Symphatisanten, sondern Neonazis waren, was zum Teil großes Entsetzen auslöste.
Mittlerweile hatten sich unter den etwa 60 Passanten auch etwa 20, meist lokal ansässige Neonazis eingefunden, die aus der Menge heraus applaudierten. Nach vier Stunden beendeten die Aktivisten dann von selbst die, nach eigenen Aussagen von vornherein nur symbolische Besetzung und verließen unvermummt das Gebäude, da man das politische Ziel der »Schaffung von Öffentlichkeit (…) bereits mehr als erreicht hatte«, wie sie später auf ihrer Homepage »alternativen-schaffen« äußerten. Draußen wurden sie dann von der Polizei empfangen und für einige Stunden in Gewahrsam genommen. Bei der späteren Durchsuchung des Gebäudes wurden u.a. faustgroße Pflastersteine sichergestellt, was Anlass zur Vermutung gibt, dass sich die Nazis auf Gegenwehr eingestellt hatten und auch bereit waren, dieser gewalttätig zu begegnen.
Wer einige Stunden später auf der Internetseite »Alternativen-Schaffen«, auf die mittels Transparenten hingewiesen wurde, Nachforschungen über die Hintergründe der Hausbesetzung anstellte, wurde auf der Anfangsseite von dem »Projekt undogmatischer Linksnationalisten« begrüßt, das für die Besetzung verantwortlich zeichnete und bis dahin noch nie in Erscheinung getreten war. Dort wurde zunächst noch einmal die Hausbesetzung geschildert und in ziemlich detaillierter Form dazu Stellung genommen, aus welcher politischer Motivation heraus dies geschehen sei. Hierbei solidarisierten sich die Schreiber erneut mit der Walli und forderten sowohl deren Erhalt als auch die Schaffung von noch mehr Freiräumen. Hinsichtlich der Tatsache, dass sich hinter diesem »Projekt undogmatischer Linksnationalisten« so einige altbekannte Lübecker Neonazis verbergen, denen zuvor das alternative Jugendzentrum noch ein Dorn im Auge war, müssen wir uns schon fragen, was die politische Intention der Neonaziaktion war.
Denn auf der Internetseite wird sowohl gegen die repressive Politik der Lübecker CDU gewettert, als auch gegen die Schill-Partei in Hamburg Stimmung gemacht, wobei die eigenen Argumente scheinbar nicht ausreichten. Teilweise wurden ganze Textpassagen aus linken Flugblättern, die sich auf das selbe Thema bezogen, entnommen. So bleiben Neonazis dann auch nicht dabei, sich mit linken Projekten zu solidarisieren und linke Themen zu besetzen, sondern verkünden ganz offen: »Es gibt kein links gegen rechts, sondern nur unten gegen oben« und bedienen damit recht offensichtlich Elemente der Querfront-Ideologie.
Hier scheint sich in Kreis von Neonazis gefunden zu haben, der zum Teil entweder dem Querfrontgedanken wohlwollend gegenüber steht oder diese Linie immerhin für den Zweck eines nationalen Jugendzentrums wohlwollend in Kauf nimmt. Entsprechend reichten die Links auf ihrer Internet-Seite zu anderen Homepages auch vom Aktionsbüro Norddeutschland und dem Kampfbund Deutscher Sozialisten über Querfront und Indymedia bis zur Jungen Welt und den Anarchosyndikalisten.
Stellen wir uns nun die Frage, warum diese Aktion gerade jetzt und gerade in Lübeck vonstatten ging, müssen wir uns etwas näher mit der politischen Situation in Lübeck befassen. Ersteinmal ist es noch gar nicht lange her, dass die Neonaziszene so offen und massiv in der Hansestadt aufgetreten ist.
Zuletzt sorgte hier das Bündnis Nationaler Sozialisten (BNS), das unter dem Namen seiner Internetpräsenz »fuer-luebeck« für die jüngste Wahl zur Lübecker Bürgerschaft antrat, für eine massive Präsenz von neonazistischer Propaganda. Es wurde sowohl flächendeckend plakatiert, als auch mehrmals wöchentlich mit Infoständen Wahlkampf betrieben. Auftakt des ganzen bildete eine Demonstration mit dem Motto »Nur nationaler Sozialismus schafft Vollbeschäftigung« durch den Lübecker Stadtteil Kücknitz. Hier gaben sich Christian Worch, Thomas Wulff vom Aktionsbüro Norddeutschland sowie der Vorsitzende der NPD Schleswig-Holstein, Peter Borchert, die Ehre.
Das BNS wurde wenige Tage nach der Wahl vom Innenministerium Schleswig-Holsteins verboten, u.a. weil Programm und Werbematerial der Partei stellenweise eine Sprache aufwiesen, »die dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch wesensverwandt« sei. Lübeck fällt also nicht zum ersten Mal durch Neonaziaktivitäten auf und ist zudem ein Ort, den die rechte Szene aus Schleswig-Holstein als Versuchsfeld für immer neue Tabubrüche nutzt.
War bereits das Auftreten des BNS in Gestalt von Flugblättern und ihrem Demomotto bzw. der gleichlautenden Losung, die auf allen Wahlplakaten prangte, eine ganz offene Anlehnung an den Nationalsozialismus, so zeigt die Hausbesetzung eine neue Qualität von Aktionismus. Die Forderung nach einem nationalen Jugendzentrum und die Mittel, mit denen ihr Nachdruck verliehen wird, erhält nicht zuletzt durch die querfrontlastige Argumentation der Neonazis eine besondere Brisanz.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich zudem, dass das BNS und das »Projekt undogmatischer Linksnationalisten« auf jeden Fall hinsichtlich der involvierten Personen miteinander verknüpft sind. So trat Jörn Lemke, Kreisvorsitzender der Lübecker NPD und erster Vorsitzender des BNS, bereits vor der Besetzung in Erscheinung, als er in einem Schreiben an alle Lübecker Parteien, Verhandlungsbedarf über ein nationales Jugendzentrum ankündigte. Nachdem die Stadt das ihrerseits jedoch anders sah und nicht darauf einging, sollte die eine Woche später folgende Besetzung wohl ein eindeutiges Zeichen sein. In einem zweiten Schreiben, in dem Lemke sich als sozialrevolutionärer Nationalist bezeichnete, verwies er nochmals auf die Forderung und kündigte an, dass »…die nationale Jugend Lübeck, sollte keine konstruktive Debatte hierüber möglich sein, (den Forderungen) sicher politisch Nachdruck verleihen würde«.
Doch auch andere bekannte Gesichter waren an der Hausbesetzung beteiligt. So war in der Menschenmenge vor der besetzten Villa auch Jürgen G., Mitglied im Landesverband der Schleswig-Holsteiner NPD und ebenfalls Kandidat für das Bündnis Nationaler Sozialisten (BNS) anzutreffen. Dieser hatte der Walli bereits einige Zeit vorher an einem Wochenende Besuch abgestattet, bei dem er scheinbar nur die Örtlichkeit näher in Augenschein nehmen wollte indem er sich in der dortigen Kneipe aufhielt und an Auseinandersetzungen nicht interessiert war. Direkt an der Besetzung beteiligt war zum Beispiel der Landesvorsitzende der NPD Schleswig-Holstein, Peter Borchert. Er sammelte später bei einem Infotisch des »Projekt undogmatischer Linksnationalisten« zusammen mit Martin Engelbrecht (KDS-Mitglied aus Neumünster) Unterschriften für ein nationales Jugendzentrum. Beide hatten zuvor auch das BNS bei ihren Wahlkampfaktionen unterstützt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist sicherlich auch die momentane Situation in Lübeck. So muss das selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentrum »Alternative« (Walli) zur Zeit die Schließung befürchten, da ihre Verträge mit der Stadt von der mittlerweile abgewählten SPD-Bürgerschaftsfraktion nicht verlängert wurden und die Verhandlungen mit der zur Zeit regierenden CDU-Mehrheit bisher auch nicht erfolgreich waren. Aufgrund dieser Situation wird in Lübeck sehr viel Soli-Arbeit für den Erhalt der Walli betrieben. Das hat zur Folge, dass das Thema sowohl in den kommunalen Medien sehr präsent ist und der Kreis von Symphatisanten des selbstverwalteten Jugendzentrums auch in der normalen Bevölkerung durchaus sehr groß ist. Damit war es für die Neonazis eigentlich sogar recht naheliegend, Lübeck als Ort für ihre Kampagne für die Schaffung eines nationales Jugendzentrum zu wählen. Sie konnnten sich die aktuelle Debatte zu Nutze machen und zudem auf der Solidaritätswelle für die Walli mitschwimmen. So ist es eigentlich auch eher verwunderlich, dass ihre Aktionen, die nach der Hausbesetzung in Form von Infoständen und Kundgebungen in der Lübecker Innenstadt durchgeführt wurden, von der örtlichen Presse fast durchgehend ignoriert wurden.
Über die Besetzung wurde noch berichtet, wobei jedoch die Solidarisierung mit der Walli mit keinem Wort erwähnt wurde und auch ihre Forderung bezüglich des eigenen Jugendzentrums kaum Erwähnung fand. Die Walli selbst distanzierte sich öffentlich ganz entschieden von der scheinbaren Unterstützung durch das »Projekt unabhängiger Linksnationalisten« (PULN) und spricht von einer »offensichtlich taktisch motivierten Solidarisierung« (Presseerklärung). Vordergründig hat somit die Bestrebung des PULN nach der Schaffung einer breiten Öffentlichkeit nicht gefruchtet. Die Auseinandersetzung mit dieser Gruppierung und ihren Zielen bleibt jedoch weiterhin wichtig.