Das Dritte Reich und die Juden
Saul FriedländerBereits der 1999 erschiene erste Band des israelisch-amerikanischen Holocaustforschers Saul Friedländer wurde weit über die Fachöffentlichkeit hinaus rezipiert und gelobt. Wie bekannt, skizziert Friedländer darin seine These, Hitlers Antisemitismus weise neben seiner völkischen Radikalisierung ein eschatologisches Moment auf, das die Motivlage für die Vernichtung der europäischen Juden bilde.
Dieser Erlösungsantisemitismus Hitlers sei im Verlaufe der NS-Herrschaft von einer Mehrheit der Deutschen geteilt worden. Im zweiten Band erneuert Friedländer diese These, und sucht sie mit dem Prozess der Radikalisierung der antisemitischen Maßnahmen des NS-Staates nach 1938 zu untermauern. Mehr noch: ausführlich zitiert Friedländer aus Hitlers Ansprachen um zu belegen, dass der Antisemitismus sein Dreh- und Angelpunkt jedes Elements der NS-Politik gewesen. Soweit so schlüssig.
Doch dieser für Friedländer zentrale hermeneutische Zugang zum Verständnis des Holocausts gerät an seine Grenzen, wo es um die Ursachen der Bereitschaft von Bevölkerungen und Bürokratie der von Deutschland besetzten Staaten bei der Durchsetzung der Vernichtungspolitik geht. Denn hier sind wohl andere ideologische Motivationen von Kollaboration wirkungsmächtig. Zwar betont Friedländer die gesamteuropäische Krise der liberalen Demokratien in den 1930/40, doch die länderspezifischen Antisemitismen, auf welche sich die Besatzungsmacht bei der weitgehend reibungslosen Umsetzung ihrer antijüdischen Maßnahmen zählen konnte, bleiben unterbelichtet. Es war eben nicht nur das repressive Element der Besatzungsmacht, der es GESTAPO und Wehrmacht ermöglichte, ihre Ziele zu erreichen. Ohne die Kollaboration der Bevölkerungen der besetzten Staaten Europas wäre die Deportation der jüdischen Menschen aus diesen Ländern nicht möglich gewesen.
Bereits in der Einleitung konstatiert der Autor, keine Gruppe der deutschen Gesellschaft und keine ihrer Institutionen habe der Ausgrenzungs- und schließlich der Vernichtungspolitik aktiv widerstanden. Er exemplifiziert dies am Beispiel der Haltung der beiden großen deutschen Kirchen, die geprägt durch ihren christlichen Antijudaismus unfähig waren, der völkischen Radikalisierung des Antisemitismus zu entgehen. Gleiches gelte für die konservativen Eliten des Staates und der Armee, zu deren ideologischen Kernbestand der Antisemitismus zählte, die der NS-Ideologie eine verlässliche Basis für ihre Vernichtungspolitik bot.
Saul Friedländer
Das Dritte Reich und die Juden: Die Jahre der Vernichtung 1939–1945
CH. Beck Verlag: München 2006
870 S., 39,90 EUR