The Devil in disguise
Leonard Zeskind, IREHR und AntifaNetEine geheime Verschwörung plane den amerikanischen Südwesten zu übernehmen, warnte ein Redner sein Publikum jüngst auf einem Treffen der Minutemen-Bürgerwehr (siehe AIB 74 »Anti-Migrations-Kampagne«) in den USA. Der amerikanische Südwesten ist seit jeher ein umkämpftes Gebiet. Ein Großteil des Territoriums, inklusive dem Staat Texas, stand einst unter mexikanischer Souveränität und wurde während der 1840iger Jahre von den USA in einem Eroberungskrieg besetzt. Tatsächlich gibt es heute Millionen von mexikanischen MigrantInnen, die mit und ohne gültigen Papieren, aufgrund von Arbeitslosigkeit und Armut in den Norden kommen.
Schenkt man den Minutemen Glauben, sind es eben jene braunhäutigen, spanisch sprechenden ArbeiterInnen, die den bösen Plan schmieden, den Südwesten rückzubevölkern, englischsprechende Amerikaner herauszudrängen und das Land wieder in mexikanische Souveränität zu übergeben. Diese Vorstellung animiert einen großen Teil der Anti-Einwanderungs-Bewegung, die befürchten, dass die weiße Kontrolle über die amerikanische Kultur, Wirtschaft und das politische System verloren gehen könnte. Diese rassistische Verschwörungstheorie mit dem Namen Reconquista (Rückeroberung) erschafft einen großen Mythos aus einem Funken Wahrheit.
In ähnlicher Manier erschufen Milizen und Bürgerwehren eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien nach dem Bombenattentat von Oklahoma City 1995. Eine daraus entstande Theorie ist, dass der Mann, der verdächtigt und später hingerichtet wurde, Timothy Mc Veigh, nur der Sündenbock für eine namenlose, fremde Macht war, die das Verbrechen eigentlich begangen hatte.
Seit Mc Veigh zugegeben hatte die Bombe gezündet zu haben, gewann die Idee an Popularität, das Attentat sei eine Regierungsoperation gewesen, die einfach schief gegangen sei. Die Clinton-Administration solle über die Bombenpläne im Vorfeld bescheid gewusst haben, jedoch nichts unternommen haben, diese zu verhindern. Somit konnte die Regierung die Milizen für das Attentat verantwortlich machen und hart durchgreifen.
Der Deutsche Andreas Strassmeir, der zu dieser Zeit in Oklahoma lebte, spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle in dieser Theorie. Wie schon in der Reconquista-Theorie gibt es auch hier einige wahre Punkte in einer großen Lüge. Strassmeir war eine Schattenfigur mit militärischem Hintergrund, der bei der Christian Identity (rassistisch-religiöse Sekte) wohnte, wo sich viele Wege des weissen nationalistischen Untergrund überschnitten. Jede kluge Analyse des Oklahoma-Attentates muss feststellen, dass nicht alle Täter gefasst und bestraft wurden. Nichts desto trotz ist diese Verschwörungstheorie ein offensichtlicher Versuch die Milizen in ihrer Schuld zu entlasten.
Fakt oder Fiktion?
Es muss unterschieden werden zwischen Verschwörungstheorien und wirklichen Verschwörungen. Während die Bundesregierung am Attentat in Oklahoma nicht beteiligt war, hat sie eine Verschwörung gegen schwarze BürgerInnen in den 1930 und 1940er Jahren tatsächlich eingeräumt. Damals hatten Ärzte schwarze PatientInnen, die unter Syphilis litten, nicht behandelt und auch nicht über ihre Erkrankung informiert. Dieses Verbrechen ist im Gedächtnis der AfroamerikanerInnen präsent und sorgte dafür, dass viele auch heute noch kein Vertrauen in weiße Ärzte haben.
Eine Verschwörungstheorie ohne »wahren Kern« handelt vom 11. September 2001. Laut dieser irren Idee starben bei den Anschlägen keine Juden, da alle jüdischen ArbeitnehmerInnen und MieterInnen an diesem Tag zuhause geblieben seien. Dies impliziert, dass alle Juden im Voraus gewarnt worden seien, da der eigentliche Urheber des Angriffs Israel gewesen sei. Dieses Hirngespinst ist nicht nur unter rechtsextremen Antisemiten populär, sondern wird auch von Teilen der sogenannten »Linken« vertreten. Hier wird deutlich, wie verbreitet das Gift des »Antizionismus« ist.
Fazit
Ob sie ein Fünkchen Wahrheit beinhalten oder nicht, Verschwörungstheorien haben einen festen Platz in der amerikanischen Kultur. Sie erklären das scheinbar unerklärliche –ähnlich den Göttern Zeus und Jupiter, die den alten Griechen und den Römern zur Erklärung des Universums dienten. Anstatt das Wissen um die ökonomischen, sozialen und politischen Vorgänge in der Gesellschaft zu fördern, bauen die quasi-religiösen Verschwörungstheorien auf Fiktion und ignorieren die Fakten. Nahezu jede Verschwörungstheorie enthält eine unsichtbare Hand, die auf mysteriöse Weise die Dinge steuert – ein Teufel oder eine satanische Gestalt, die auf der Erde ist, um Böses zu tun. In jeder Kultur oder Gesellschaft, in der der Teufel oder das Böse eine wichtige Rolle spielen – in dieser Hinsicht sind die USA nicht alleine – ist somit anfällig für Verschwörungstheorien und deren verheerende Auswirkungen auf das Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge.