Zeev Sternhells ideengeschichtliche Einführung in den Themenkomplex Faschismus (Teil II)
Fabian KunowDas Wesen des Faschismus als Ideologie ist für Sternhell dort zu erfassen, wo der Faschismus in der Bewegungs- und nicht in der Regimephase untersucht wird. Als Bewegungsphase wird der Entwicklungszeitraum bis zur politischen Machtübernahme begriffen. In der Bewegungsphase ist nach Ansicht Sternhells die faschistische Ideologie in der Agitation und Propaganda in ihrer Reinform vorzufinden. Diese quasi faschistische Idealform ist vorhanden, da die Faschisten von ihren propagierten Idealen noch keine Abstriche machen mussten zu Gunsten der Politik- und Koalitionsfähigkeit. Kamen faschistische Parteien und Bewegungen an die Macht, mussten sie sich den nationalen politischen Gegebenheiten und Machtverhältnissen beispielsweise in Regierungskoalitionen anpassen.
Um an die politische Macht zu gelangen, trat die faschistische Bewegung ins Bündnis mit der alten konservativen Rechten. Umgekehrt wandte sich die traditionelle Rechte an den Faschismus in jenen Ländern, in denen sie selbst zu schwach war den Kampf mit der sozialistischen bzw. kommunistischen Bewegung zu führen. Die traditionelle Rechte tat dies aber immer mit einem gewissen Misstrauen gegenüber dieser neuen revolutionären Bewegung. So versuchte sie immer mit Geld die faschistischen Truppen im Sinne ihrer Interessen zu lenken.1
Daher konnte sogar bei der Mutterbewegung aller Faschismen, dem italienischen Faschismus, nach dessen Machtantritt im Jahr 1921 nicht mehr von einem Faschismus in Reinform gesprochen werden, zu groß waren die Konzessionen, welche sie an ihre Bündnispartner und Steigbügelhalter machen mussten.
Sternhell führt zu Recht an, dass der gleiche Nachweis (der realexistierende Faschismus wäre nicht identisch mit dem faschistischen Ideal. d.A.) bezüglich der Demokratie oder des Kommunismus geführt werden könnte. »Was sind die Idealbilder der Demokratie oder des Kommunismus (…) und wo sind diese in die Praxis umgesetzt«.2 Kein gesellschaftliches Ideal wurde je zu 100% umgesetzt, trotzdem können wir laut Sternhell bestimmen, was Kommunismus, Sozialismus, Demokratie und eben auch Faschismus ist. Jedes Land mit seinen unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten prägte seine faschistische Bewegung. Die unterschiedlichen nationalen Besonderheiten der einzelnen Faschismen wurden aber noch einmal deutlicher, wenn die faschistischen Bewegungen von der Bewegungs- in die Regimephase eintraten, so dass bei den Bewegungen im internationalen Vergleich mehr Gemeinsamkeiten als bei den Regimes festzustellen sind.3
Dass es in der faschistischen Ideologie auch zu Zwiespältigkeiten in der Bewegungsphase kommt, liegt neben den eigentlich allen Ideologien inhärenten Widersprüchen und nationalen Besonderheiten denen die Ideologie Rechnung tragen muss, auch in ihrem Anspruch, »sowohl pragmatisch, als auch revolutionär zu sein und zugleich die Gegebenheiten des täglichen Lebens meistern«4 zu wollen. Zugleich sollte und wollte die faschistische Ideologie auch immer mit dem Aktivismus verbunden sein, so dass diese sich für die gewünschte Einheit von Theorie und Praxis anpasste. Diese gewünschte Einheit bzw. politischer Aktivismus als Primat des eigenen Handels, ist ein Grundpfeiler des faschistischen Selbstbildes.
Der Faschismus wird vom »Primat der Politik« getrieben. Dieses Primat der Politik ist neben der totalen Glorifizierung des Staates als Steuermann, dem sich unterzuordnen ist, auch vom unbedingten Willen des einzelnen Faschisten, durch heldenhaften Aktivismus, die Welt selbst zu revolutionieren, durchdrungen. Was Faschismus ist, definierte laut Sternhell am treffendsten der Begründer der ersten faschistischen Bewegung außerhalb Italiens, der Franzose Le Faisceau: »Nationalismus + Sozialismus = Faschismus«.5 Der Faschismus verstand sich immer als eine Bewegung der Revolte: Als »Revolte gegen die Welt des Rationalismus und des Denkens in den Kategorien von Ursache und Wirkung, der Revolte gegen Materialismus und Positivismus, gegen die Mittelmäßigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und gegen die Verwirrungen der liberalen Demokratie« (Sternhell). Der bürgerlichen Demokratie wurde von dieser revoltierenden Bewegung immer angekreidet, dass sie kraftlos und unpersönlich sei, und zudem nicht den (nationalen) Zusammenhalt stärke.
Der Faschismus verstand sich als Revolte im Angriff auf die Werte der französischen Revolution und der Aufklärung. Wenn der Faschismus sich in seiner Bewegungsphase als Revolte begreift, dann muss sein an die Macht kommen von seinen Aktivisten als Revolution im Sinne einer geglückten Auflehnung begriffen werden. Diese Revolution sollte eine geistige, eine »Revolution der Moral«, eine »Revolution der Seele« sein. Die Faschisten strebten eine »totale Revolution« an. Sie sollte alle Bereiche der menschlichen Aktivitäten umspannen und das soziale und intellektuelle Leben der Menschen durchdringen. Das Wort »Total« fand dabei immer einen großen Platz im faschistischen Gedankengebäude. Daraus entwickelte sich das Etikett »totalitär« was vor allem bürgerliche Kritiker gegen den Faschismus in Anschlag brachten.
Die (angestrebte) faschistische Revolution sollte und würde nach Auffassung prominenter Faschisten wie Mussolini und Mosley ein neues Zeitalter einläuten. Dieses »neue Zeitalter« oder »faschistische Jahrhundert« würde nichts geringeres als eine »neue Zivilisation«, eine »Gegen-Zivilisation« schaffen. So kam es nicht zufällig in der Anfangszeit der faschistischen Herrschaft in Italien bzw. in Deutschland zu fast identischen Machtkämpfen zwischen verschiedenen Flügeln innerhalb der faschistischen bzw. nationalsozialistischen Bewegung. Diese Konflikte um das Verwirklichen der Ideale endeten jeweils mit der blutigen Ausschaltung des nationalrevolutionären, an der faschistischen Utopie festhaltenden Flügels durch Mussolini bzw. Hitler zu Gunsten der »Realos« innerhalb der gerade an die (politische) Macht gekommenen Bewegung.
Zusammenfassung und Kritik
Sternhell stellt durch seine Methodik und die darauf folgende empirische Beweisführung mittels der Zitate prominenter Faschisten sowie intellektueller Wegbereiter des Faschismus gut und deutlich dar, was neu, überzeugend und revolutionär an der faschistischen Bewegung sowie dem Gedankengebäude des Faschismus war. Vielen Menschen wurde über soziale Schranken hinweg eine überzeugende Sicht auf die Welt und Handlungsfelder geboten. Dadurch konnten faschistische Bewegungen in bestimmten Ländern in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges an die Regierungsgewalt kommen. Die »Umbruchsideologie« (Sternhell) Faschismus hatte ein revolutionäres Programm, welches in dem Bereich der Kultur, der Wirtschaft und vor allem der Politik – mit einem starken, totalen Staat als Zentrum aller Annahmen – Lösungen für als Probleme des modernen Lebens gesehene gesellschaftliche Erscheinungen zu bieten hatte.
Durch den Anspruch Zeev Sternhells, das faschistische Gedankengebäude und die aus diesem folgenden Handlungen als eine universale, eigenständige und in sich kohärente Ideologie zu begreifen, kann man mit der von Sternhell geschaffenen Faschismusschablone auch heutige Bewegungen und Regime untersuchen sowie die Frage beantworten, ob diese nun faschistisch seien. Faschismus ist in diesem Sinne eine noch heute zu verwendende politikwissenschaftliche Kategorie und gerade nicht nur eine kurze historisch abgeschlossene Epoche mit der sich Historiker zu beschäftigen haben. Bei der Betrachtung des Faschismus, wie sie Sternhell vornimmt ist dieser eben nicht Kampfbegriff bei der Diskreditierung des politischen Gegners ohne große inhaltliche Füllung. Das Manko an den beiden Werken von Sternhell »Faschistische Ideologie« und »Die Entstehung der faschistischen Ideologie« ist seine sehr kurze Abgrenzung vom Faschismus gegenüber dem Nationalsozialismus.
Der Frage, warum der NS – trotz vieler Übereinstimmungen – kein Faschismus ist, widmet Sternhell in beiden Büchern trotz der Brisanz des Themas leider jeweils lediglich ein paar Zeilen. Diese verweisen zwar darauf, welche fundamentalen Unterschiede es zwischen dem NS und dem italienischen Faschismus in Bezug auf den Rassegedanken und Antisemitismus gab, welche aber gerade in der genauer beleuchteten Bewegungsphase des NS noch keine so große Rolle spielten. Besonders unverständlich wird das Herausnehmen des NS aus der Kategorie Faschismus immer dann, wenn Sternhell zur Illustration der faschistischen Gedankenwelt Zitate von prominenten Nazis anführt. Dies kommt in seinem Aufsatz »Faschistische Ideologie« öfter vor und führt so die strikte Trennung von Faschismus zum NS ad absurdum. Weiterhin soll bei jeder ideengeschichtlichen Betrachtung eines politischen Phänomens eines nicht aus den Augen gelassen werden: die Frage nach den gesellschaftlichen Ursachen, weshalb und wann bestimmte Vorstellungen und Annahmen gesellschaftlich wirkungsmächtig werden. Kein Gedanke, keine Ideologie entsteht aus sich selbst heraus und findet eine nennenswerte Anhängerschaft. Der neue Gedanke oder die neu entstandene Ideologie – egal wie nun Ideologie definiert wird, als in sich geschlossenes Gedankengebäude oder als notwendig falsches Bewusstsein – bedarf immer einer (neuen) gesellschaftlichen Voraussetzung. Sternhell erklärt ausführlich den Entstehungsprozess und Inhalt der faschistischen Ideologie, aber kaum, warum diese ab einem bestimmten historischen Zeitpunkt so viele Menschen begeisterte und überzeugte. Diese für jeden Antifaschisten interessante Leerstelle ist leider Sternhells methodischem Ansatz inhärent, wenn er nur das Phänomen und kaum die Funktion und Ursachen beschreibt.
Literatur:
· Sternhell, Zeev/ Sznajder, Mario/ Asheri, Maia (1999): Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini. Hamburger Edition, Hamburg
· Sternhell, Zeev (2002): Faschistische Ideologie. Eine Einführung. Verbrecher Verlag, Berlin