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Die Vorratsdatenspeicherung ist da

Einleitung

Vor wenigen Wochen trat die Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Danach speichern Telekommunikationsanbieter von jedem Bürger und jeder Bürgerin die Verbindungsdaten bei jeder einzelnen E-Mail, jedem Anruf, jeder Kurz-Nachricht und weiteren Internetdiensten für ein halbes Jahr. Bei Handy-Telefonaten und SMS wird auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten.

Bild: flickr.com/steffireichert; URBAN ARTefakte/CC BY-NC-ND 2.0

Vorher durften Telekommunikationsanbieter nur die zur Abrechnung erforderlichen Verbindungsdaten speichern. Standort- oder gar E-Mail-Verbindungsdaten gehörten nicht dazu. Kunden konnten zudem verlangen, dass Abrechnungsdaten mit Datum des Rechnungsversandes gelöscht werden. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen (Flatrates) wurde eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden, da hier keine einzelnen Verbindungen abgerechnet werden.

Die Speicherung von personenbezogenen Daten auf Vorrat und ohne Einwilligung des Betroffenen verstieß zudem gegen den so genannten Erforderlichkeitsgrundsatz. Daten dürfen nicht ohne Zweck gespeichert und müssen daher wieder gelöscht werden.

Jede E-Mail wird erfaßt

Nach dem in Kraft treten der Regelungen zur so genannten Vorratsdatenspeicherung am 1. Januar 2008 ist dies nun anders.1 Von jeder E-Mail, die in ein Postfach eingeht, die versendet wird sowie jede Anmeldung in ein Postfach, um es einzusehen, wird genau gespeichert. Erfasst werden die IP-Adresse, der Standort und wie lange jemand seine Post liest. Damit nicht genug. Auch jedes Telefonat und jede Kurznachricht wird auf diese Weise für ein halbes Jahr gespeichert – einschließlich der geographischen Standortdaten. Auch das einfache Surfen im Internet wird nach dem gleichen Schema überwacht. Erfasst werden ebenfalls IP-Adresse, Standort und die Adressen der besuchten Internetseiten. Das bedeutet: Jede Bewegung im virtuellen Raum wird nachvollziehbar und kann konkreten Personen zugeordnet werden.

Konsequenzen für Serverbetreiber

Weitreichende Konsequenzen hat die Gesetzesänderung auch für Serverbetreiber und Telekommunikationsanbieter. Viele sind noch gar nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge, was die aufwendige technische Infrastruktur betrifft. Die riesigen Datenmengen, die durch die Vorratsdatenspeicherung anfallen müssen gespeichert und verwaltet werden. Ein Aufwand, den letztlich die Kunden bezahlen werden. Gleichzeitig fürchten Anbieter einen Image-Verlust. So hat Google beispielsweise angekündigt seinen E-Maildienst Google Mail in Deutschland zu schließen, sollten die Gesetze bestehen bleiben.2 Speicherpflichtig werden zudem Privatpersonen, die einen Jabber- oder Tor-Server betreiben und ihre Dienste voraussichtlich abschalten müssen, da bei Open Source Software gar keine Speicherungsprozeduren integriert sind.

Beispiel: Skype

Als Telekommunikations-Dienstanbieter ist Skype ebenso vorratsdatenspeicherpflichtig. Die europäische Vorlage wie auch die deutsche Gesetzgebung haben aber insbesondere in diesem Falle noch eine Lücke: Es wird nicht zwischen Short Message und Instant Message unterschieden. Skype kann jedoch beides: Kurznachrichten an Handy- oder Telefonnutzer senden sowie – wenn diese mit Skype online sind – ihnen diese als Sofortnachricht wie eine E-Mail auf den Bildschirm senden. Hätte ein Handy-Empfänger einer Laptop-Skype-Nachricht das Recht, dass diese nicht gespeichert wird, weil es eine Instant Message des Senders ist oder weil diese von Skype kommt? Wenn mit Instant Message und Short Message dasselbe gemeint wäre, dann steht zu befürchten, dass auch andere Anbieter von Instant Messages wie AOL und ICQ oder Yahoo und MSN oder Jabber und IRC vorratsdatenspeicherpflichtig werden. Werden also bald die Verbindungsdaten von jeder Chatzeile im Internet gespeichert? Und wie weit ist es zu dem Schritt auch den Inhalt der Nachricht zu protokollieren?

Beispiel: Google

Und auch in Goggle Mail hat der Nutzer die Wahl, ob er dem Empfänger eine »Message« oder eine »Instant Message« sendet. Die Offline-Kommunikation ist vorratsdatenspeicherpflichtig, die Online-Kommunikation über Instant Message hingegen nicht. Nun kann man sagen, der Nutzer befindet sich in Google »Mail« und daher wird alles gespeichert. Doch was ist dann der Unterschied zwischen Onlinekommunikation im Messenger ICQ und Onlinekommunikation in Googles Mail Messenger?

Die Unterscheidung wirkt absurd und zeigt, dass das Gesetz nicht nur inhaltlich fragwürdig, sondern zudem handwerklich schlecht gemacht ist. Man gewinnt den Eindruck, dass weder die Mitglieder der europäischen Kommission noch Deutschlands Gesetzgeber jemals in einem IRC-Chat gewesen sind.

Andererseits wirbt Google damit, dass im Dienst Google Mail keine E-Mail jemals wieder gelöscht wird. Auch als Suchmaschine speichert Google jede Anfrage seiner Nutzer im »Suchprotokoll« – wer hat wann wie oft nach welchen Begriffen gesucht – Bürgerinnen und Bürger werden entweder über das Google Konto, die IP-Adresse oder den Cookie des Browsers auch in der nächsten Onlinesitzung wieder reidentifiziert und erfasst.

Vorratsdatenspeicherung – legal und legitim geprüft?

Es besteht keinerlei Erfordernis die Telekommunikationsdaten bundesweit und verdachtsunabhängig zu speichern. Wenn der postulierte Zweck nun die mögliche Verfolgung schwerer Strafen sein soll, stellt sich in rechtlicher Hinsicht die Frage, warum die Möglichkeit zur Strafverfolgung nur für sechs Monate bestehen soll und wieso solche eklatanten Gesetzeslücken bei »Messages« bestehen, sodass viele Kommunikationswege unprotokolliert bleiben. Gravierender ist hingegen die Frage der Legitimität, warum die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Grundbedürfnis nach Kommunikation à priori unter Verdacht schwerer Straftaten gestellt werden. Der Eindruck drängt sich auf, dass all jene Politiker, die die Vorratsdatenspeicherung als einen wichtigen Hebel zur Terrorbekämpfung propagieren, in allen Bürgerinnen und Bürgern potenzielle Terroristen sehen. Eine Haltung, die neben einer fragwürdigen Gesellschaftsauffassung auch ein hohes Maß an Realitätsverlust aufweist.

Inzwischen beschäftigt sich auch das Bundesverfassungsgericht mit dem neuen Gesetz. Es existieren juristische Gutachten, die die Verfassungskonformität widerlegen.3 Ebenso sind erste Musterklagen zum Beispiel gegen die beabsichtigte Onlinedurchsuchung4 anhängig.


»Freiheit statt Angst« – Berliner Demonstration des »AK Vorrat«


Der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung (»AK Vorrat«)5 , ein Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern, IT-Experten und Juristen in Deutschland, verlangt die Rücknahme des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung und organisierte eine bundesweite Großkundgebung.

Über 20 Bürgerrechtsorganisationen, politische Gruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft riefen für den 22. September 2007 unter dem Motto »Freiheit statt Angst« zu einer Demonstration durch Berlin auf, um gegen die ausufernde Überwachung der Bürgerinnen und Bürger durch Staat und Wirtschaft zu protestieren. Die Organisationen zeigten sich einig, dass es höchste Zeit sei, vor dem Hintergrund permanenter Verschärfungen von Sicherheits- und Überwachungsgesetzen für die Bewahrung der Grundrechte auf die Straße zu gehen. Die DemonstrantInnen wandten sich unter anderem gegen die Vorratsspeicherung des Telekommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung, sowie gegen verdeckte Online-Durchsuchungen von Computern und die Speicherung von Nutzerprofilen im Internet.


Neben Datenschutzvereinigungen wie dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, FoeBuD und der Humanistischen Union unterstützten auch weitere gesellschaftliche Gruppen den Aufruf zur Demonstration, darunter Journalistenverbände, das gewerkschaftsnahe LabourNet und die Evangelische Konferenz für Telefonseelsorge. Mit dem Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen, der Berliner FDP-Fraktion und der Berliner Linkspartei fand der Marsch auch parteipolitische Unterstützung.

Software-Schutz gegen Speicherung und unbemerkten Dateneinblick


Auf der Berliner Großkundgebung wurden zahlreiche CD-Roms an die teilnehmenden Bürger und Bürgerinnen verteilt. Die vom »AK Vorrat« zusammengestellte Software kann die Vorratsdatenspeicherung abschwächen und den unbemerkten Blick auf eigene Daten verhindern. Die drei wichtigsten Programme werden auf der CD ausführlich vorgestellt: Der XERO-Browser zum Surfen, das E-Mail-Programm Retroshare sowie der Dateitransfer mit Imule.