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Antifaschistische Mobilisierung zum 20. April 1989

Einleitung

Rückblick: Anläßlich des 20. Aprils 1989 mobilisierten westberliner AntifaschistInnen gegen den 100. Geburtstag von Adolf Hitler und gegen die damit zu erwartenden Neonaziaktionen. Auch der alltäglichen rassistischen Gewalt sollte mit der Kampagne - „Die antifaschistische Selbsthilfe organisieren“ - begegnet werden. Kurz zuvor hatten die extrem rechten Republikaner den Einzug in das Abgeordnetenhaus geschafft.

... die antifaschistische Selbsthilfe organisieren.

Der Westberliner Antifa-Bewegung ist es gelungen ihre Aktivitäten nach dem Wahlerfolg der „Republikaner“ (REP) 1 erheblich auszuweiten und Lehren aus den bisher gemachten Erfahrungen zu ziehen. Von entscheidender Wichtigkeit dafür waren die schon vor dem Wahltag begonnenen Aktionen und Strukturen der Antifa-Bewegung und der Kampagne gegen die Kandidatur der der REPs zu den Abgeordnetenhauswahlen. Auf der einen Seite wurde weiter gegen Treffen und Veranstaltungen der REPs und anderer Neonazigruppen demonstriert und diese auch teilweise verhindert. Auf der anderen Seite entwickeln sich neue Formen der antifaschistischen Arbeit. In einigen Stadtteilen wurden Kiezpalaver abgehalten, zu denen die Menschen aus den jeweiligen Bezirken über Hauswurfsendungen eingeladen worden sind. Mit diesen Zusammenkünften konnten viele Interessierte angesprochen werden, die sich ausquatschen und selbst aktiv werden wollten.

Antifa Stadtteilarbeit

Die AktivistInnen schlossen sich zu Stadtteilinitiativen und Bündnissen zusammen, um eine Politik von Unten- gegen das Erstarken reaktionärer und neonazistischer Tendenzen in der Bevölkerung – zu entwickeln. So beschäftigt sich auch ein Teil der von den Initiativen herausgegebenen Flugblätter mit der Widerlegung neonazistischer und rassistischer Hetze und Propaganda: Widerlegt wird in den Flugblättern zum Beispiel die Lüge, dass hier lebende AusländerInnen den Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen würden und Schuld an der Arbeitslosigkeit seien. In einem anderen Flugblatt wird das Frauenbild der REPs und anderer Neonazis dargestellt und kritisiert. Die Tatsache, dass die rechte Propaganda bei vielen Menschen aus sogenannten ärmeren Schichten, also der Arbeiterklasse, gegriffen hat, macht eine Aufklärung unbedingt nötig. Allzu deutlich geworden ist, dass das alleinige Aufzeigen, dass die REP-Partei  von Neonazis durchsetzt ist, nicht ausreicht um die Menschen davon abzuhalten sie zu wählen oder mit ihnen zu sympathisieren. Deswegen haben Teile der Antifa-Bewegung Überzeugungsarbeit und Gegeninformation zu einem der Schwerpunkte ihrer Arbeit gemacht.

Zunahme von Neonazi Übergriffen

Wie zu erwarten war löste der Wahlerfolg der REPs eine gesteigerte Anzahl von Überfällen auf AusländerInnen, Linke oder einfach anders als die Neonazis denkende und gekleidete Menschen aus. Aufgehetzte Leute, die sich vorher nicht getraut haben ihre türkischen Arbeitskollegen zu schikanieren und auszugrenzen, haben entsprechend Auftrieb bekommen. Auf dem Hintergrund der verbreiteten rassistischen Stimmungswelle gehen die Neonazis zu gewalttätigen Aktionen auf den Strassen, in den U-Bahnen und besonders an den Schulen über. Die löste als erstes eine ängstliche Stimmung bei vielen Antifa-AktivistInnen aus und verursachte eine erhebliche Verunsicherung im Hinblick darauf, wie damit umzugehen sei. Der zu erwartenden Verschärfung dieser Übergriffe und öffentliche Neonazi-Aktivitäten in den Tagen um den 20. April, dem 100. Geburtstag Hitlers, wurden von Seiten des Bündnisses gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus mit der Kampagne - „Die antifaschistische Selbsthilfe organisieren“ - begegnet. Dabei standen nicht die erwarteten Aktionen der Neonazis für den 20. April im Mittelpunkt, sondern die zum Alltag gewordenen Überfälle und die Entwicklung von Selbstverteidigungsstrukturen dagegen . Jeder Stadtteil muß in der Lage sein sich selbst zu schützen.2

Erste Ergebnisse

Aus dieser Mobilisierung ist die Antifa mit einer neuen Stärke hervorgegangen, denn überall in der Stadt waren Gruppen unterwegs, um den Neonazis keinen Fußbreit der Strasse zu überlassen. Es gibt mittlerweile eine fast unüberschaubare Anzahl von Antifa-Initiativen, - Bündnissen und -Gruppen die an Schulen, in Stadtteilen, an Universitäten und in Gewerkschaften aktiv sind. Eine Vielfalt von Aktivitäten sind bereits entwickelt, von Überzeugungsarbeit über Selbstverteidigung gegen Übergriffe, von Konzerten bis zu Verhinderungen von Veranstaltungen der Neonazis. Die Vielfalt der Bewegung von Unten macht gerade die Stärke aus, die Notwendig sein wird, um den Vormarsch der alten und neuen Nazis zu stoppen. Doch so erfreulich die Verbreitung und Stärke der Antifa-Bewegung ist, es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass erst die ersten Schritte gemacht worden sind. Es gibt zum Beispiel noch viele Schulen, Betriebe und andere Bereiche, in denen die Neonazis ungestört ihre Propaganda verbreiten und neue Leute rekrutieren. Als Beispiel sei nur das massive Auftreten der Neonazis bei den Spiele von Hertha-BSC genannt. Zu begrüßen ist, das der Verein zwar dagegen Stellung bezogen hat, aber auf verstärkte Polizeipräsenz in und um das Stadium setzt. Es liegt an der Antifa-Bewegung ihren antifaschistischen Einfluss auszuweiten und nicht bei dem bisher Erreichtem stehen zu bleiben.

Reine Panikmache?

Die von den Neonazis angekündigten Aktivitäten, Feiern und Aufmärsche zum 20. April 1989 blieben aus. War die von der Antifa-Bewegung durchgeführte Mobilisierung reine Panikmache, wie ihr von verschiedenen Seiten vorgeworfen wurde? Hat sich der ganze Aufwand gelohnt? Welche Konsequenzen müssen wir daraus ziehen? Zwei Tatsachen hatten uns dazu bewogen, uns besonders breit und gründlich auf dieses Datum vorzubereiten: 1. die Zunahme rassistischer und neonazistischer Übergriffe seit dem Erfolg der Republikaner bei den Abgeordnetenhauswahlen, 2. die lange Vorbereitung der Neonazis auf den „Führergeburtstag“ sowie Informationen über eventuell geplante Aktivitäten zu diesem Anlaß. In den letzten Wochen mußten viele AntifaschistInnen, SchülerInnen, Emigranten die Erfahrung machen, daß bei Überfällen von Neonaziskins anwesende Polizisten den Opfern nicht zur Hilfe kamen, wegguckten, vorbeifuhren und sich erst wieder blicken ließen, wenn die Täter das Weite gesucht hatten. Stießen die rechtsextremen Schlägertrupps auf Gegenwehr, wurden die Antifaschisten von Polizisten verprügelt, festgenommen oder erhielten Anzeigen. Die Sympathien, die die REPs bei vielen Mitgliedern der Polizeitruppen genießen, sind seit den Wahlen offenkundig. Zumindest zwischen Teilen des Polizeiapparates und den rassistischen Schlägern hat sich unausgesprochen eine praktische Zusammenarbeit herausgebildet. Bei der bundesdeutschen und westberliner Justiz stoßen die „braunen Aktivisten auf Verständnis und Nachsicht, können sie, wie auch die ehemaligen KZ-Schergen“, mit milden Urteilen oder Freisprüchen rechnen. Wollten wir verhindern, daß Neonazis den 20. April nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen, und um Antifaschisten und Emigranten einzuschüchtern, mußten wir auf Mobilisierung unserer eigenen Kräfte setzen. Zwei Dinge waren uns besonders wichtig. 1. die politische Aufklärung und Mobilisierung, um einer Breitenwirkung rassistischer und faschistischer Inhalte entgegenzutreten. 2. Die Organisierung von praktischer Selbsthilfe und Gegenwehr, die solidarische Unterstützung Betroffener.

Selbsthilfe und Organisierung von unten

Die Tage um den 20. April geben Aufschluß über den derzeitigen Stand des Kräfteverhältnisses. Den organisierten Neonazis um die FAP etc. ist es nicht gelungen, die latent rassistische Stimmung in Teilen der Gesellschaft politisch zusammenzufassen und zu einer einheitlichen Aktion zu führen. Die Stimmung drückt sich vorerst noch aus in Stammtischdiskussionen, in der Stimmabgabe für die Republikaner oder die NPD und in Übergriffen von Fussballfans, Neonaziskins oder Jugendbanden. Für uns kein Grund die Hände in den Schoß zu legen, denn vor allem die Angriffe auf AusländerInnen und auf antifaschistische SchülerInnen sorgen für ein Klima der Angst und Einschüchterung. An der Fritz-Karsen-Schule im Berliner Stadtteil Britz wurde eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Rechtsextremismus vom Rektor nach Drohungen abgesagt, am 20. April schickten viele ausländische Eltern, auch mit Zustimmung der Lehrer, ihre Kinder nicht in die Schule. Die Liste solcher Zeitungsmeldungen, von besorgten Anfragen beim Antifa-Infotelefon usw. ließen sich fast endlos fortsetzen.
Die antifaschistischen Aktionen zum 20. April sollten vor allem aufzeigen, daß man vor den Neonazi Schlägern nicht kuschen muß, daß Betroffene sich wehren können, indem sie sich zusammenschließen und organisieren, sich mit anderen Initiativen und Organisationen zusammenfinden im Kampf gegen reaktionäre und rassistische „Lösungen“ der gesellschaftlichen Probleme. Das hat mit Selbstjustiz, wie uns von interessierter Seite unterstellt wird, nichts zu tun. Ein breites Netz an Info-Stellen über sämtliche Bezirke verteilt sollten der Eigeninitiative, der Berücksichtigung der konkreten Situation dienen und die Möglichkeit schaffen, daß Betroffene, ob Ausländer oder Deutscher, Schüler oder Lehrling sich direkt an die Info-Stelle wenden und praktisch mitarbeiten können. Ein breites Bündnis verschiedener Organisationen und von Initiativen, die in der letzten Zeit entstanden sind, hat sich an der Mobilisierung und Organisation beteiligt.

Türkische Jugendliche werden aktiv

Am frühen Abend des 20. April demonstrieren spontan türkische und deutsche Schüler auf dem Ku-Damm. In den späteren Abendstunden fanden sich in SO-363   mehrere hundert, meist türkische Jugendliche, zusammen um durch Kreuzberg und Neukölln zu ziehen. Sie wollten zeigen, daß sie nicht aus Angst zu Hause bleiben, daß sie bereit sind, sich gegen die deutschen Rassisten zur Wehr zu setzen. Die Ereignisse der letzten Wochen an vielen Schulen, vor allem aber die Zerstörungen auf dem türkischen Friedhof durch Rechtsextremisten in der Nacht vorher, hatten den letzten Anstoß gegeben. In den Demonstrationszügen kam die Wut und der Hass derjenigen zum Ausdruck, die tagtäglich den Rassismus bei der Lehrstellensuche, auf den Ämtern der westberliner Bürokratie, im Verhalten der Polizei am eigenen Leibe erfahren müssen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese tagtäglichen Erniedrigungen und Benachteiligungen, die Stimmungsmache der reaktionären Medien, sich in einer sozialen „Explosion“ entladen müssen. Es sind vor allem Kinder und Jugendlichen in der zweiten Generation der Emigranten, die gegen ihre gesellschaftliche Benachteiligung rebellieren.

Die Rolle der Polizei

Die breite Mobilisierung der Antifa-Bewegung hat zu einer verstärkten Präsens der Polizei in den Nächten um den 20. April geführt. Sie wollten und mußten ihren Alleinanspruch auf das Gewaltmonopol demonstrieren. 80 AntifaschistInnen wurden festgenommen, viele müssen mit einer Anzeige nach § 127 (Bildung bewaffneter Haufen) rechnen. Wegen der breiten Öffentlichkeitsarbeit und ihrem Echo in den Medien und bei Teilen der Bevölkerung mußte die Staatsgewalt auf der anderen Seite ein Interesse daran haben, dass organisierte Auftreten der Neonazis und mögliche Auseinandersetzungen mit ihnen zu verhindern. Zum Bild der „liberalen, weltoffenen Stadt“ paßt die offene Zur-Schau-Stellung der Neonazis noch nicht so recht. Aber ohne Mobilisierung wäre die Polizei nicht gezwungen worden auch gegen die rassistischen Aufmarschversuche vorzugehen. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die Staatsgewalt sich auch in Zukunft so verhalten wird. Die Herrschenden haben schon immer in der Eigeninitiative von unten, in linken Organisationen und Bewegungen, die ihre Interessen nicht an die bürgerlichen Parteien oder staatlichen Institutionen delegieren, eine potentielle Gefahr für ihre Ordnung gesehen. Während sie diese Initiativen verfolgen und kriminalisieren versuchen sie den rassistischen Mob für ihre Ziele und Zwecke einzuspannen und zu gebrauchen, denn rassistische und faschistische Ideologien und Vorstellungen fördern die Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

Konsequenzen des 20. April

Es ist noch zu früh, alle Ereignisse, die Organisation (und auch das Chaos) und die politische Kampagne zum 20. April zu bewerten. Dazu gehört auch die gründliche Aufarbeitung des Geschehenen und die politische Diskussion aller Beteiligten darüber. Wir wollen deshalb nur kurz einige Punkte benennen, die in diese Auseinandersetzung einfließen sollten: In unseren Augen war die große Beteiligung und die politische Breite ein Erfolg, der auch dazu beigetragen hat, Aktivitäten und Übergriffedurch Neonaziskins und neonazistische Organisationen zu verhindern oder zu behindern. Wir hatten allerdings vorher die Möglichkeiten und Absichten der Neonazis überschätzt. Wie stark sind sie wirklich, inwieweit ist es ihnen gelungen bei Neonaziskins, Fussballfans etc. Fuß zu fassen und sie zu organisieren? Ein schwacher Punkt war die mangelnde, fast völlig fehlende Absprache und Koordination mit ausländischen Organisationen und Genossen. Wie kommen wir da einen Schritt weiter, welche praktischen Erfahrungen liegen aus der Vegangenheit vor?

  • 1Da der Begriff Republikaner an sich nicht negativ besetzt ist und vielmehr durch die extrem rechte Partei „falsch“ besetzt wurde, weigerten sich Antifaschisten ihn zunächst im Zusammenhang mit der Partei auch zu verwenden.
  • 2Aufbauend auf die kontinuierliche Arbeit der Stadteilinitiativen wurden bezirkliche Infostellen eingerichtet. Sie organisierten Fahrwachen, um rechtzeitig mitzukriegen wo sich Neonazis zu sammeln versuchen und um möglichst schnell reagieren zu können wenn Angriffe stattfinden. Um notfalls viele Menschen mobilisieren zu können, wurden bezirkliche Telefonketten geschaffen.
  • 3SO 36 ist die alte Postleitzahl für den Berliner Bezirk Kreuzberg