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"Antifa heißt auch raus aus der metropolen Komfortzone..."

Kampagne HHgoesMV (Gastbeitrag)

Ende 2015 schlossen sich verschiedene Hamburger Antira- und Antifa-Gruppen zu der „Reiseallianz“ HHgoesMV zusammen. Die Selbstbezeichnung als „Reiseallianz“ verweist auf den Hauptfokus des Zusammenschlusses, aber auch auf das Bewusstsein in Bezug auf die Grenzen der eigenen Möglichkeiten. Ziel dieses Bündnisses war und ist es, aktive Antifaschist*innen vor Ort in Mecklenburg-Vorpommern (MV) zu unterstützen und dabei ein Bewusstsein für die Notwendigkeit zu schaffen, sich aus der linken Wohlfühlzone der einschlägigen Viertel herauszubewegen.

Wir wollten die Möglichkeit eröffnen, mit anderen AntifaschistInnen nach MV zu fahren, dort zu intervenieren und sich zu vernetzen. Allen beteiligten Gruppen ist klar, dass wir nicht von Hamburg aus die Probleme in MV lösen können, gleichzeitig war aber auch deutlich dass wir unsere Genoss*innen in MV mit einem so massiven Auftreten von Neonazis und Rassist*innen nicht alleine lassen wollen. Viele AntifaschistInnen aus MV haben zu Neonaziaufmärschen innerhalb des Bundeslandes deutlich weitere Wege bei der Anreise als es aus Hamburg der Fall ist. Einzelne Gruppen von Antifaschist*innen die zu Aufmärschen nach Boizenburg oder zu anderen Orten in MV fuhren, waren ob der schieren Übermacht von Rassist*innen stark in ihren Handlungsoptionen eingeschränkt. Ein Verhindern oder Stören der Neonaziaufmärsche war kaum möglich. Und das zu einer Zeit in der Rassist*innen von AfD bis NPD teilweise mehrmals die Woche auf die Straße gingen.

Wie in vielen Teilen Deutschlands ist die AfD auch in MV Nutznießer der rassistischen Mobilisierung gegen Geflüchtete. So nahmen an einer AfD-Demonstration in Rostock im Oktober 2015 ca. 2.000 Rassist*innen aus sämtlichen rechten Spektren teil. Neben der AfD formierte sich im vergangenen Jahr aber noch ein weiterer Akteur im rechten Hinterland MVs. Im Januar 2015 tauchte der NPD-beeinflußte Pegida-Ableger "MVgida" erstmalig auf. Anfänglich im Schutz der Dunkelheit demonstrierten rassistische Bürger*innen mit organisierten Neonazistrukturen Hand in Hand. Ab dem Spätsommer 2015 traten in Westmecklenburg dann Gruppen wie „Wismar wehrt sich“ und „Schwerin wehrt sich“ vermehrt in den Vordergrund. Täglich stattfindende Kundgebungen vor einer Notunterkunft für Geflüchtete in Schwerin bildeten den Auftakt zu wöchentlichen Demonstrationen in Wismar, Schwerin und anderen Städten in der Region — mit bis zu 700 Rassist*innen, bestehend aus einer Melange von NPD, organisierten Neonazistrukturen, Teilen der AfD, Hooligans und „besorgten Bürgern“.

Im Laufe des Jahres spitzte sich die Situation mehr und mehr zu. Es wurden zahlreiche Brandanschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete verübt und Übergriffe gegen diese waren wieder trauriger Alltag. Im Rahmen einer „Herbstoffensive“ meldete MVgida dann wöchentliche Demonstrationen bis Ende des Jahres an. Auch in Boizenburg fühlten sich die rassistischen „Abendspaziergänger*innen“ von MVgida sehr wohl. Dabei ist der Ort ist kein unbeschriebenes Blatt, er gilt in der Region als braune Hochburg; rassistische Übergriffe und Gewalt gegen linke Jugendliche sind an der Tagesordnung. So ist es nicht überraschend, dass dort im Oktober 2015 ein Brandanschlag auf eine für 40 Menschen geplante Unterkunft verübt wurde. Dieser stellt wohl keinen Zufall dar, sondern dürfte auch ein Ergebnis der rassistischen Stimmungsmache MVgidas sein. Und das alles nur 50km von Hamburg und wenige Kilometer von der Hamburger Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Horst entfernt. Mit Bezug auf den Anschlag mobilisierte MVgida für einen weiteren Aufmarsch nach Boizenburg, diesmal um mit Laternen und Fackeln durch die Stadt zu ziehen. Dabei wurde der Anschlag als legitime Artikulation eines vermeintlichen Volkswillen verherrlicht. Vielen Hamburger Antifaschist*innen war klar, dass nach dem Brandanschlag, Neonaziaufmärsche dort nicht mehr ungestört verlaufen dürfen. Wenige Tage vor der MVgida Kundgebung mobilisierten wir unsererseits zu einer Gegenkundgebung. Da es in Boizenburg bis dahin keine Proteste gegen die regelmäßigen Neonaziaufmärsche gab, war für uns klar, dass wir ein komplettes Paket schnüren müssen. Das heißt es sind Busse, Autos und ein Lautsprecherwagen zu einer von uns angemeldeten Kundgebung gefahren. Die Kundgebung fand in einem Polizeikessel statt, vor Ort waren ca. 100 Menschen. Schon bei dieser Aktion fanden sich vereinzelte Menschen aus Boizenburg ein. Zu zwei weiteren Neonaziaufmärschen in Boizenburg, organisierten wir Gegendemonstrationen und die dazu gehörige Anreise. Bei der letzten Aktion kam fast die Hälfte der Demonstrierenden von vor Ort. Insgesamt waren rund 200 Leute am Start. Dies ist ein beachtlicher Anstieg des aktiven lokalen Protestes. Nicht nur nahmen viel mehr Boizenburger*innen als bisher an der Demonstration teil, sie liefen auch samt eigener Fronttransparente im vorderen Teil der Demonstration und steuerten eigene Parolen bei. Auf der Zwischenkundgebung gab es zudem einen Redebeitrag eines Boizenburger Aktivisten. Dies zeigt, dass unsere Aktionen einen Raum geschaffen haben in dem lokale Antifaschist*innen die Möglichkeit gegeben wurde, sich gemeinsam gegen Neonazis und Rassist*innen stärker zu positionieren.

Wir versuchen unseren Aktionsradius nicht auf das Hamburger Umland zu beschränken, so wurde von uns auch gegen die AfD in Schwerin (November 2015), die NPD in Schwerin (1. Mai 2016) und den Trauermarsch in Demmin (8. Mai 2016) mobilisiert. Wenig glücklich über genau diese antifaschistische Reisefreudigkeit zeigte sich die Polizei. Die Polizeiführung hat uns mehr als deutlich gemacht, dass nicht AfD- und NPD-Aufmärsche oder andere rassistische Mobilisierungen, sondern vielmehr der Protest dagegen ihr Problem sind. Obwohl diese Geisteshaltung in Lorenz Caffiers (CDU) MV zur Normalität gehört, muss immer wieder betont werden, dass wir als antifaschistische Zusammenhänge momentan nicht nur mit einem wachsenden rassistischen Konsens und Neonazi-Aktivitäten konfrontiert sind, sondern gerade die Polizei immer offensiver ihr politisches Interesse durchsetzen kann und versucht, antifaschistische Proteste kleinzuhalten.

Höhepunkt der polizeilichen Repression, war der 1. Mai in Schwerin. Die angereiste Gruppe aus Hamburg wurde wenige Minuten nach der Ankunft für acht Stunden in einen Kessel gesteckt und alle Anwesenden einer erweiterten Personalienfeststellung unterzogen. Wenn es außer einem leichten Sonnenbrand etwas vom 1. Mai in Schwerin mitzunehmen gibt, dann die wiederkehrende Erkenntnis, dass Antifaschismus und Antirassismus weder dem Staat, noch einer wie auch immer gearteten bürgerlichen Öffentlichkeit zu überlassen sind, sondern selbst in die Hand genommen werden müssen. Wenn uns ebendies erschwert werden soll, müssen wir zusätzliche Wege finden, wie der kreativen Rechtsauslegung der Landespolizei MVs auf Augenhöhe begegnet werden kann.

Es bleibt notwendig, aus den relativ gut aufgestellten Metropolen die Genoss*innen aus den strukturschwächeren Regionen zu supporten. Dass es dabei nicht um ein paternalistisches „Wir wissen es besser als ihr!“ geht, sollte allen klar sein. Solche Unternehmungen können nur dann im Ansatz funktionieren, wenn sich alle aufeinander einlassen und im Mittelpunkt das gemeinsame Ziel steht rechte Strukturen zu schwächen und eigene Strukturen aus- und aufzubauen. Dabei spielen natürlich persönliche Kontakte, genauso eine Rolle, wie die politische Einschätzung, dass wir es uns gerade jetzt nicht leisten können, dem rechten Mob irgendwas, irgendwo zu überlassen. Also, egal ob MV, Brandenburg oder sonst wo — es gibt kein ruhiges Hinterland!

Mehr Infos: hhgoesmv.blogsport.de