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Conny Wessmann

Ein Gespräch mit ihrer Freundin Sabine – 20 Jahre später
Einleitung

Am 17. November 1989 wurde die damals 24-jährige Conny in Göttingen von Polizisten im Anschluss an einen antifaschistischen Interventionsversuch in den Tod getrieben. Sabine, eine Freundin von Conny, beschrieb in einem Interview im AIB Nr. 57/3.2002 sowohl die damalige politische Situation als auch den Umgang mit Connys Tod. Zwanzig Jahre später haben wir mit Sabine darüber gesprochen, wie sich ihr Blick und die politische Praxis in der Zwischenzeit verändert hat.

Foto: PM Cheung

Gedenkstein für Conny in Göttingen

AIB: Zum 20. Jahrestag von Connys Tod haben in Göttingen knapp eintausend Menschen demonstriert. Warst Du überrascht über die große Beteiligung ?

Überrascht war ich nicht. Connys Tod ist zwar 20 Jahre her, aber es war einfach ein Politikum, das damals in Göttingen selbst viele mobilisiert hatte. Ich denke, für einen Grossteil derer, die damals involviert waren, ist dieses Datum immer noch von großer Bedeutung – persönlich und politisch. Ich weiß allerdings auch, dass bei der Demo viele junge Leute waren, die die damalige Zeit sicherlich nicht bewusst miterlebt haben. Dass sie zur Demo kamen, spricht tatsächlich dafür, dass die Auseinandersetzung mit aufkommenden Rechtsextremismus und mit der Staatsgewalt präsent ist.

Welche Bedeutung hat für Dich – nach zwei Jahrzehnten – der Jahrestag von Connys Tod? Gibt es das Bedürfnis, die eigene Trauer abzugrenzen von der quasi öffentlichen Trauer?

Meine persönliche Betroffenheit und Trauer grenze ich sehr wohl von der öffentlichen Betroffenheit ab, so dass ich den Tag wirklich lieber mit einer vertrauten Person verbringe als mit öffentlichen Events. Aus meiner Perspektive ist es eine persönliche Geschichte und eine daraus resultierende Emotionalität. Die öffentliche Betroffenheit und deren Ausdruck fragen dagegen nach einer politischen Analyse und der politischen Entwicklung; da geht es um Antifaarbeit und die Entwicklung in der extremen Rechten. Es war natürlich ein anderer Jahrestag als die davor; in der Reflektion über die Zeit damals und die Tage nach Connys Tod wird sehr klar, wie jung wir damals wirklich waren. Wir waren in einem Alter, in dem man(n) und frau wirklich fest daran glaubte, Berge versetzen und die Realität verändern zu können. Und ich bin wirklich froh, dass Leute dass dann auch machten: viel weniger kompromissbereit, viel direkter in den Forderungen. Aus heutiger Sicht würde ich nicht mehr alles davon gutheißen. Aber es ist eine notwendige Energie, um überhaupt etwas zu bewegen.

Das beziehst du auf Eure Praxis antifaschistischer Arbeit damals?

Ja, sowohl das Positive daran, als auch die Tatsache, dass ich mir diese Praxis seit Connys Tod eben nicht mehr ungebrochen angucken kann.

Wenn Du die politische Situation vor zwanzig Jahren mit der aktuellen vergleichst: Hältst Du die Form der Organisierung und der Aktionen gegen Neonazis immer noch für sinnvoll?

Noch immer glaube ich auf jeden Fall, dass es gut und wichtig ist, sich mit anderen Leuten zusammen zu schließen, wenn man in irgendeiner Form gegen Neonazis was tun will. Weil man alleine dagegen nicht ankommt, weil man in der Gruppe die Möglichkeit der Reflektion hat und weil man alleine zu schwach ist. Ich glaube, dass das Auftreten der Neonazis heute anders ist; damals waren sie klar erkennbar als Neonaziskins und ihre Ziele waren für alle deutlich. Heute sind es eben nicht mehr die fünf Glatzen, die eine linke Kneipe angreifen – und alle kennen diese fünf Neonaziskins – bzw. das ist viel seltener geworden. Insofern ist die Frage nicht so einfach zu beantworten. Auf der anderen Seite finde ich es nach wie vor richtig, sich solchen Konflikten offensiv zu stellen – auch wenn ich sagen muss, dass ich viel, viel mehr Angst habe als früher. Und ich finde es wirklich ziemlich wichtig, nicht so zu tun, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Ich glaube inzwischen, dass es wirklich wichtig geworden ist, auch auf einer politischen Ebene zu agieren und nicht alleine in der direkten Auseinandersetzung. Weil sich die politische Landschaft verändert hat seit damals – und das nicht unbedingt zum besseren.

Welche Konsequenzen habt Ihr für Euch daraus gezogen, dass Conny im Verlauf einer Aktion, die für viele damals selbstverständlich war – in einer größeren Gruppe gegen Neonazis vorzugehen – von Polizisten in den Tod getrieben wurde?

Ich finde es nach wie vor richtig, Neonazis zu vertreiben. Ich finde es entsetzlich mir vorzustellen, dass es nicht mehr so ist, dass Neonazis sich nicht in der Stadt breit machen können. Das war unser Anliegen und wir haben es auch geschafft, dass sie sich nicht in der Göttinger Innenstadt breit machen konnten. Weil wir ihrer menschenverachtenden Politik keinen Raum überlassen wollten. Trotzdem würde ich es heute nicht mehr so machen wie damals. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, mich Wochenende für Wochenende mit 15 Leuten alarmbereit in einer Wohnung zu treffen und auf den Anruf zu warten – aus diversen Gründen. Wenn man das aber wirklich machen will, dann muss man untereinander Vertrauen haben und die Menschen kennen, mit denen man das machen will. Wir konnten Prozesse verlangsamen und kurzzeitig aufhalten, aber wir konnten nicht verhindern, dass sich die Neonazis, aber auch die extrem rechten Einstellungen verbreiten und weiter ausbreiten. Es gibt in Teilen der jüngeren Antifabewegung immer wieder ein erstaunlich unreflektiertes Vertrauen in die Polizei, beispielsweise wenn davon ausgegangen wird, dass Polizeibeamte GegendemonstrantInnen bei Neonaziaufmärschen schützen würden. Unsere Erfahrung war ja ganz anders – und für mich hat sich diese Erfahrung leider in allen möglichen Situationen, in denen ich mich als öffentlich handelnde Person engagiert habe, immer wieder bestätigt. Auch in anderen Situationen in denen wir vor den Augen der Polizei von Neonazis bedroht wurden, wie beispielsweise bei Gerichtsverhandlungen, griffen anwesende Polizisten nicht ein.

Jüngere Antifas fragen manchmal, warum diejenigen unter Euch, die damals mit erlebt haben, wie Beamte des "Zivilen Streifenkommandos"Conny in den Tod trieben, später keine Anzeige gegen die Beamten stellen wollten und auch keine Aussagen bei der Staatsanwaltschaft dazu gemacht haben.

Ich habe mir ehrlich gesagt vor kurzem die Frage selbst gestellt. Aus meiner heutigen Sicht würde ich es eher in Betracht ziehen als damals. Und das nicht, weil sich mein Glaube an die Rechtsstaatlichkeit geändert hat, sondern, weil ich heute mehr Vertrauen dazu hätte, dass es die Möglichkeit einer solidarischen Bewegung hätte geben können, die die Einsatzmentalität der Polizei offen gelegt und zum Politikum gemacht hätte. Unsere Furcht damals selbst kriminalisiert zu werden, war natürlich sehr real und hat sich ja in Antifazusammenhängen u.a. durch § 129a-Ermittlungen auch immer wieder bestätigt. Die Erinnerung an den Tod von Conny ist unweigerlich mit der Maueröffnung und der darauf folgenden Welle rassistischer und neonazistischer Gewalt verbunden. Für mich ist der November 1989 immer wieder der Punkt, an dem mir der Unterschied zwischen Zeitgeschichte, wie sie in den bürgerlichen Medien verbreitet wird und persönlich erlebter Geschichte klar wird. Und das betrifft nicht nur mich, sondern ganz viele Menschen, die differenziert und kritisch auf die Veränderungen blicken können, die 1989 mit sich gebracht hat. Ich glaube nach wie vor daran, dass differenzierte Analysen und die Fähigkeit, sich eine gesellschaftliche Entwicklung offen und kritisch anzusehen und die Bereitschaft, sich darin immer wieder neu zu verorten und zu positionieren der einzige Weg sind, eine Gesellschaft zu verändern.

Danke für das Gespräch.