Übersteigerter Ermittlungswahn
Eigentor für die Berliner Polizei
n der Nacht zum 28. August kam es in Berlin zu einer groß angelegten Polizeiaktion gegen die örtlichen Antifastrukturen. Anlass war eine Party des Kneipenkollektivs Subversiv im Bezirk Mitte. In einem Aufruf auf der Webseite des Antifaversands Red Stuff war den Gästen angeblich ein Cocktail für jedes mitgebrachte NPD-Plakat in Aussicht gestellt worden. Für die Berliner Polizei Grund genug, wegen »Aufforderung zu Straftaten« mit rund 300 Beamten sieben Objekte zu durchsuchen, darunter die Party selbst sowie zwei Privatwohnungen, eine Bürogemeinschaft, ein linker Stadtteilladen und die Räume des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums e.V. (Apabiz).
Dabei ging die Berliner Polizei mit der ihr eigenen Auffassung von Verhältnismäßigkeit der Mittel vor: Auf der Party wurden über 150 Personen, darunter viele Jugendliche, fotografiert und als der Zerstörung von Wahlkampfmaterial verdächtig registriert. In die Wohngemeinschaft eines der Aufforderung zu Straftaten Beschuldigten drang man gleich mit einem Sondereinsatzkommando ein und bedrohte die Anwesenden mit gezogenen Waffen. Gesucht wurde der Computer, von dem aus die inkriminierte Passage »Neonazis aus der gesamten BRD sind zur Zeit im Wahlkampf aktiv: wir auch! NPD-Plakate einsammeln, Kundgebungen blockieren oder Nazi-Material von Infotischen in blauen Müllsäcken entsorgen.« online gestellt wurde. Dabei nahmen die Beamten sieben Rechner, mehrere Festplatten und über 200 CDs sowie Dokumente mit, die mit der NPD offensichtlich nichts zu tun hatten. Gesucht wurde laut Durchsuchungsbeschluss alles, was »Auskunft über politische Aktivitäten außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und übersteigerten Hass der Beschuldigten auf die NPD geben« könnte. Eine Bürogemeinschaft und das Apabiz wurden nur aufgrund ihrer ehemaligen Nachbarschaft mit dem Red Stuff-Versand durchsucht. Es ist offensichtlich, dass nicht die Aufklärung einer Straftat, sondern das Durchleuchten und Einschüchtern antifaschistischer Strukturen Ziel der Polizeiaktion war.
Gelungene Antwort
Zumindest das Ziel der Einschüchterung wurde nicht erreicht – im Gegenteil: Die Aktion sorgte für bundesweites Aufsehen in der antifaschistischen Linken und für eine Welle der Solidarität. Der Rundumschlag der Berliner Polizei hatte auch ein parlamentarisches Nachspiel. Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses musste Innensenator Körting (SPD) sich für die auch nach Ansicht einiger grüner und Linkspartei-Abgeordneter überzogene Aktion rechtfertigen. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) rührte die Werbetrommel für eine »Antifa-Gala« und holte prominente UnterstützerInnen mit ins Boot. Offensiv wurde damit geworben, dass jede nachgewiesene Anti-Nazi-Aktivität mit einem Freigetränk prämiert werde. Über 200 Initiativen und Einzelpersonen riefen zur Teilnahme an der Gala auf, auf der ErstunterzeichnerInnenliste fanden sich Abgeordnete des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses. Die Gala wurde ein Erfolg: Über 1200 Menschen kamen und feierten, mehr als 300 Neonazi-Plakate wurden eingesammelt und zerstört. Ein Einsatz bei dieser Gala war wohl selbst der Berliner Polizei zu unverhältnismäßig, waren doch auch prominente Abgeordnete vor Ort. So stellt die Gala ein Beispiel für einen gelungenen, weil offensiven und medienwirksamen Umgang mit Repression dar – ob allerdings außerhalb von Wahlkampfzeiten ähnlich viele Parteifunktionäre den Protest unterstützt und für Öffentlichkeit gesorgt hätten, bleibt fraglich.
Kein Einzelfall
Die Aktion reiht sich ein in eine Serie von überzogenen Einsätzen der Berliner Polizei in den letzten Monaten. So wurden bereits am Morgen des 6. Juli 15 Wohnungen und Büros in Berlin und Umland vom Mobilen Einsatzkommando (MEK) gestürmt, wobei etliche Wohnungs- und Zimmertüren zu Bruch gingen und auch ein Unbeteiligter verletzt wurde. Nachdem das MEK die in den Wohnungen anwesenden Personen zu Boden gebracht und gefesselt hatte, überließ man den Kollegen vom Landeskriminalamt das Feld. Zwei Dutzend Computer, etliche Kleidungsstücke und ein Auto wurden beschlagnahmt. Anlass war ein angeblicher Angriff auf zwei Neonazis am Berliner Ostbahnhof einige Wochen zuvor. Als Grundlage der Durchsuchung diente ein Überwachungsvideo aus dem Bahnhof, auf dem nicht identifizierbare Personen zu sehen sind. Bei einer Protestdemonstration anlässlich der Durchsuchungen am folgenden Tag wurden wiederum 18 Menschen festgenommen und etliche verletzt. Am 20. August führte die bundesweite Neonaziszene in Berlin eine ihrer Ausweichdemos für den verbotenen Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel durch. Wiederum wurden am Rande der Nazidemo zahlreiche protestierende AntifaschistInnen durch Polizeiknüppel verletzt. Am Abend des gleichen Tages stürmte das Berliner Spezialeinsatzkommando (SEK) die Diskothek »Jeton«, wo sich Fans des Fußballclubs BFC Dynamo versammelt hatten. Da die Polizei unter ihnen auch etliche Hooligans vermutete, nahm sie auf Verhältnismäßigkeit oder Bürgerrechte keine Rücksicht. Das SEK stürmte die Diskothek laut Berichten von Augenzeugen mit dem Schrei »Auf den Boden, ihr Votzen!« und schlug auf alle ein, die sich bewegten. Auch in der lokalen Presse waren danach kritische Töne am Verhalten der Beamten zu hören, zeugten doch Bilder von Blutlachen und -spritzern von der Brutalität des Einsatzes. Am 26. August stürmte eine Einsatzhundertschaft der Berliner Polizei ein studentisches Protestcamp im Außenbezirk Reinickendorf. Auch hier gab es mehrere Verletzte. Am Rande einer Neonazidemonstration gegen den SPD-Parteitag in Berlin-Neukölln am 31. August schließlich wurden über 20 AntifaschistInnen festgenommen. Einige gaben an, nach ihrer Festnahme geschlagen worden zu sein. Zwei von ihnen erklärten gegenüber der taz, dass man sie schwer misshandelt habe und sie Anzeigen gegen Polizeibeamte erstattet hätten. Angesichts einer sich neu formierenden und erstarkenden gewaltbereiten Neonaziszene in Berlin ist es symptomatisch für die Haltung der Berliner Polizei, dass linkes und antifaschistisches Engagement massiv verfolgt wird, während die extreme Rechte nur »beobachtet« wird.