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Mit der NPD gegen die Nestbeschmutzer

Einleitung

Ob Zusammenarbeit mit der NPD oder die Wahl eines Neonazis zum Vize-Bürgermeister: Im Osten Mecklenburg-Vorpommerns herrscht in Lokalpolitik und Alltag Normalität gegenüber den ausgeprägten rechten Strukturen.

Die NPD-Aktivisten Marcus Neumann (rechts) und André G. (links) protestieren am 22. April 2009 gegen den Abriss von Garagen in Ueckermünde.

Karl-Dieter Lehrkamp wird sich in Zukunft wohl überlegen, mit wem er sein Bierchen trinkt. Dem CDU-Fraktionschef und Präsidenten des Kreistages von Ostvorpommern war Anfang November 2009 vorgeworfen worden, Kontakte zur NPD zu pflegen. Nicht nur würde er mit dem NPD-Politiker Michael Andrejewski am Biertisch der CDU gemeinsam die Parlamentssitzungen ausklingen lassen und vielleicht sogar Absprachen treffen, sondern auch regelmäßig Fahrgemeinschaften bilden.

Der Kritisierte dementierte zwar, gab jedoch zu, dass er nicht alle Vorwürfe ausräumen könne. Diese werden bedeutungsvoller angesichts des Wechsels, den die ostvorpommersche Lokalpolitik nach dem Wiedereinzug der NPD in den Kreistag vollzogen hat: »Da die bisherige Ausgrenzung nicht zum Erfolg geführt habe«, so Lehrkamp, wolle man nun »offensiver mit den Neonazis umgehen«. Als erstes Zeichen dieses Umgangs wurden ihre Vertreter mit den Stimmen aller Fraktionen und ohne Notwendigkeit über Listenwahlen in alle Ausschüsse des Parlaments gewählt. In der vorausgegangenen Wahlperiode hatte das Parlament, nur einzelnen Anträgen der NPD zugestimmt. Der Kreistag von Ostvorpommern ist eines von vielen Lokalparlamenten, in das die NPD dieses Jahr einziehen konnte – hier und im nahen Uecker-Randow-Kreis sogar in Fraktionsstärke. An die 60 Mandate erzielten Neonazis im ganzen Land, mehr als die Hälfte davon in Vorpommern. Hier sind sie stark genug, um Kandidaten auch in Gemeindeparlamente entsenden zu können – und hier gibt es wenig Berührungsängste anderer Lokalpolitiker. Einer von ihnen ist Joachim Saupe, CDU-Vorsitzender in Heringsdorf auf der Insel Usedom. Wie in anderen Orten auch hatte ein Wahlvorschlag der NPD eine Stimme aus den Reihen der anderen Abgeordneten erhalten. Freimütig teilte Saupe mit, dass diese Stimme »sicher« aus seiner Fraktion komme. Sie sei ein »kleineres Übel« gegenüber anderen Themen der Lokalpolitik. Einige seiner Parteikollegen protestierten gegen diese Verharmlosung und legten ihre Ämter nieder, ein Parteitag bestätigte Saupe allerdings kurz darauf im Amt. Enrico Hamisch und Michael Gielnik, Multi-Aktivisten in der Kameradschaftsszene, im NPD-Mitarbeiterstab oder bei dem lokalen Propaganda-Blättchen »Der Insel-Bote«, dürfen sich fortan über einen Sitz im Ausschuss für Tourismus, Verkehr und Ordnung freuen.

Wenig ordnungsliebend führten sich ihre Kameraden im nahen Bargischow auf, wo ausgerechnet ein CDU-Mitglied zum Ziel von Anfeindungen geworden ist. Bei der Kommunalwahl gelangten die beiden Neonazis Daniel Rosa und Lutz Genz als parteiunabhängige Kandidaten ins Gemeindeparlament. Bei der gleichzeitig stattfindenden Bürgermeisterwahl schaffte Genz es mit 43 Stimmen auf den dritten Platz. Beide gehören zum Umfeld des neonazistischen »Heimatbund Pommern«, Rosa war Gründungsmitglied des Vereins. Im Vorfeld der Wahlen war CDU-Bürgermeisterkandidat Ulrich Höckner wegen Kritik an der lokalen Neonazi-Szene massiv angefeindet und auf Flugblättern als »Nestbeschmutzer« diffamiert worden. Dieser Meinung schloss sich auch der Gemeinderat an: Als es um die Besetzung des Vize-Bürgermeisterposten ging, hatte Höckner keine Chance. Stattdessen erhielt der Neonazi Lutz Genz vier von insgesamt sechs Stimmen und amtiert damit fortan als ehrenamtlicher Stellvertreter des neuen Bürgermeisters André Stegemann. Dieser, hauptamtlich als Polizist tätig, hatte sich bei der Wahl für Genz ausgesprochen.

Anderswo versucht die NPD alltägliche Konf likte in einen Rundumschlag gegen Lokalpolitik, wie politisches System, umzuformen: In Ueckermünde etwa schlugen sich Neonazis um Marko Müller und Marcus Neumann mit einer Kundgebung auf die Seite einiger Einwohner, die gegen den Abrisses eines alten Garagenkomplexes protestierten. Müller und Neumann sind nicht nur Teil der dreiköpfigen NPD-Gruppe im Stadtparlament von Ueckermünde, in das sie mit 12,3 Prozent einziehen konnten. Zusammen mit den Landtagsabgeordneten Tino Müller und Dirk Bahlmann stellen sie auch eine Fraktion im Kreistag des Uecker-Randow-Kreises. Zugleich sind die Gebrüder Müller, der Aktivist des »Heimatbund Pommern« Neumann und der Bauunternehmer Bahlmann Gesichter eines Netzwerks in der Region, das unterschiedlichste Bereiche rechter Lebenswelt abdecken kann.

Während der »Heimatbund Pommern« mit Wanderungen und Zeltlagern neonazistische Jugendarbeit betreibt, verbergen sich hinter Namen wie der »National-Germanischen Bruderschaft« oder den »Aryan Warriors« Kameradschaften als überschaubare politische Zirkel mit dem Charakter von Freundeskreisen. Als Organisation für eine überregionale explizite politische Breitenwirkung wurde das »Soziale und Nationale Bündnis Pommern«, nach der Übernahme weiter Teile der NPD in Mecklenburg-Vorpommern durch die Kameradschaften, seit 2005 von der Partei abgelöst. Die Gruppenvielfalt wird von Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsheime oder von Propaganda-Vereinen wie der »Initiative für Volksaufklärung« um Enrico Hamisch und Michael Vedder ergänzt. Sie sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kreis aktiver Kader, welcher Unterstützung aus einem weiten rechten Umfeld bezieht und sich finanziell durch Mitarbeiterposten im Dunstkreis der NPD-Landtagsfraktion absichert, überschaubar ist. Mangelnde Gelder für ihre Projekte scheinen für diese Neonazis kein Problem zu sein: Eine alte Kaufhalle in Anklam, die nunmehr als Veranstaltungszentrum und »nationale Bibliothek« fungiert, konnten die Neonazis Enrico Hamisch und Alexander Wendt für 17.000 Euro von der Sparkasse Vorpommern erwerben. Für ein leeres Kino in Ueckermünde, soll Tino Müller dem Besitzer 500.000 Euro angeboten haben.

In die Hände spielt ihnen das Desinteresse, die Toleranz oder Unterstützung durch weite Teile der Bevölkerung. Anstatt sie aufgrund ihrer menschenverachtenden Ideologie und Praxis auszugrenzen, sind sie familiär oder freundschaftlich verbunden oder haben sie im Jugendclub, in der freiwilligen Feuerwehr oder auf Dorffesten als Teil der gesellschaftlichen Normalität akzeptiert. Ein Problembewusstsein fehlt auch Lokalpolitikern wie jenen in Bargischow, die den örtlichen Jugendclub der Schlüsselgewalt des »Heimatbund Pommern« überlassen. Die Normalisierung des Neonazismus über die Lokalpolitik sollte nicht unterschätzt werden – wo Neonazis im Parlament eine politische Kraft darstellen, gewinnen sie nicht nur Möglichkeiten für ihre Propaganda, sondern auch realen Einfluss. Ihre extrem rechten Inhalte werden zugleich diskursfähig, und Neonazi-Kader in der Lokalpolitik professionalisiert. Zumindest gelegentlich jedoch regt sich auch im ländlichen Raum Widerstand. Noch beim letztjährigen Sommerfest in Bargischow wurde ein Mann von Neonazis wegen seiner Beziehung zu einer polnischen Frau niedergeschlagen. Als beim diesjährigen Dorffest der »Heimatbund Pommern« wie in jedem Jahr Schwein am Spieß zubereitete, wollten nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner mit den Rechten essen. Ihr Protest: Ein Topf voller Gulasch.