Der Pölchow Prozess
Neonaziüberfall vor Gericht
Michael Grewe und Dennis F. grinsen. Mehr tun die beiden Hauptangeklagten und Neonazis nicht im Prozess um den Neonazi-Überfall in Pölchow im Sommer 2007. Auch ihre Kameraden im Publikum lachen. Die Verhandlung des Angriffs aus einer Gruppe von mehr als einhundert Neonazis auf nicht-rechte Jugendliche, die auf dem Weg zu einer Protestveranstaltung gegen die NPD in Rostock waren, wird regelmäßig von zehn bis 30 Rechten aus der Region Rostock, aus Vorpommern und Westmecklenburg verfolgt. Und ihnen wird einiges geboten: Abenteuerliche Einlassungen der Angeklagten, vermeintliche Entlastungszeugen, die freimütig über die Vorbereitung ihrer Aussage durch Verteidiger und Neonazis sprechen und eine Staatsanwältin die fast gar nichts sagt. Zugleich gaben auch die Betroffenen in dem Prozess, der seit Mitte Januar vor dem Landgericht Rostock verhandelt wird, ihre Erinnerungen an den Überfall wieder und zeichneten ein Bild brutaler rechter Gewalt: Die BesucherInnen des alternativen Festivals »Fusion« bemerkten zu spät die Rechten in einem Waggon der Regionalbahn, die sie in Schwaan bestiegen. Beim Halt in Pölchow stürmten die Neonazis den Zug, zerstörten die Scheiben, schlugen auf sie ein. Unter Rufen wie »Ihr Schweine, jetzt seid ihr dran!« suchten sie nach ihren Opfern und zerrten sie nach draußen, wo andere Rechte mit Holzlatten weiterprügelten und sie über einen Zaun die Böschung hinunterwarfen. Einige der Betroffenen konnten flüchten, andere erlitten zum Teil erhebliche Verletzungen.
Polizei ermittelt gegen Opfer
Die Polizei jedoch behandelte nach ihrem Eintreffen die Opfer wie TäterInnen, filmte sie ausführlich, nahm ihre Personalien auf und widmete den Neonazis nur wenig Aufmerksamkeit. Unbehelligt konnten diese im Anschluss ihre Demonstration »gegen linke Gewalttäter« in Rostock durchführen. Monatelang ermittelte die Polizei gegen die Betroffenen des Angriffs, bis die Untersuchungen kleinlaut mangels Tatverdachts eingestellt wurden. Die Behörden waren damit der NPD auf den Leim gegangen, die von Anfang an die Ereignisse zu einem »linksextremen« Überfall umgedeutet hatte. Betroffene hatten bereits in Pölchow den Schweriner NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs, den Landesvorsitzenden Stefan Köster und das Landtagsmitglied Tino Müller erkannt. Beruhigend eingewirkt haben sie nicht auf ihre Kameraden. Statt dessen diktierte die NPD-Riege Polizei und Presse ihre Version, die in der Öffentlichkeit fortan Berichte über »Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten« zur Folge hatte. Obgleich die Situation vor Ort ein anderes Bild zeichnete, wurde fortan offenbar wenig Energie in die Ermittlungen gegen die Neonazis gesteckt. Der einschlägig bekannte NPD-Funktionär und Lokalpolitiker Michael Grewe wurde gar als »unbekannter Randalierer« zur Fahndung ausgeschrieben. Letztlich konnten nur drei Tatverdächtige ausgemacht werden. Neben Grewe noch Dennis F. aus Göttingen und der Wismarer Neonazi Stefan V. In der Verhandlung mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Angriff hüllte sich Stefan V. in Schweigen. Dafür jedoch glänzten Grewe zum Prozessbeginn und F. zum Verhandlungsende mit kreativen Einlassungen, die sie ohne die Möglichkeit zu Nachfragen von ihren Anwälten verlesen ließen und auf NPD- wie Neonazi-Websites veröffentlichten. Sie hätten Nothilfe angesichts linker Gewalt leisten müssen, taten sie kund, wichen auf dem Bahnsteig Steinen aus, die aus dem Zug geworfen worden seien, oder hätten einer »Wand« von Linken gegenübergestanden, die zum Schutz Frauen nach vorne gestellt hätten. Grewe behauptete, er sei bei seinen Versuchen, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen, in den Zug gedrängt worden. Im Anschluss an die Ereignisse hätte sie Udo Pastörs aufgefordert, sich zu Fuß ins zweieinhalb Stunden entfernte Schwaan zu begeben, um von dort Autos zu holen und mit diesen die Kameraden schnellstmöglich zur Demonstration nach Rostock zu bringen. Auch auf anderem Wege schien Pastörs vor dem Eintreffen der Polizei vom Tatort fliehen zu wollen: Der Zugführer berichtete, dass der NPD-Fraktionsvorsitzende ihn unmittelbar nach den Ereignissen zur Weiterfahrt gedrängt hatte.
Neonazis wollten Situation »beruhigen«
Seine Verlautbarung, er habe »beruhigend auf die Situation einzuwirken« versucht, ließ Grewe über seinen Anwalt und Parteikollegen, das Landtagsmitglied Michael Andrejewksi, verlesen. Diesem stand außerdem der Rostocker Anwalt Thomas P. zur Seite, der seit einigen Jahren mehrmals als Verteidiger von Neonazi-Kadern aufgefallen ist. Sein Kanzlei-Kollege, Burschenschaftsbruder und Verteidiger von Dennis F., Sven R., wurde im Prozess in Verlegenheit gebracht, als zwei Entlastungszeugen aus der rechten Szene kundtaten, mit ihm ein gemeinsames Vorgespräch geführt zu haben. Einer der Rechten, die unmittelbar vor dem Angriff in einen Streit mit den alternativen Jugendlichen geraten sein wollen, gab sogar an, dank des Neonazis David Petereit, die Anklageschrift gelesen zu haben, die Teil der Ermittlungsakten ist.
Schaulaufen der Neonazi-Szene
Erst zum Prozessende tauchte der umtriebige Kader Petereit im Zuschauerbereich auf, nachdem andere Rechte aus dem ganzen Bundesland im Gericht bereits ein Schaulaufen der regionalen Neonazi-Szene veranstaltet hatten. Rostocker Neonazis wie der Liedermacher Martin Krause, die NPD-Sekretärin Franziska Vorpahl oder das Mitglied der »Nationalen Sozialisten Rostock« Michael F., die Westmecklenburger NPD-Aktivisten David Böttcher oder Torgaj Klingebiel sowie unter anderem Tino und Marko Müller, Lutz Giesen, Alexander Wendt, Matthias Krebs oder Michael Gielnik aus Ostvorpommern und dem Uecker-Randow-Kreis wohnten dem Prozess bei. Sie machten sich über die Aussagen der Betroffenen lustig und versuchten Freundinnen und Freunde der Opfer anzugehen. Einige der Neonazis waren selbst in die Ereignisse in Pölchow verwickelt, wurden jedoch nicht Ziel der Ermittlungen. Wenig Interesse am Prozess zeigte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, die nur durch vereinzelte Nachfragen auffiel und in ihrem Abschlussplädoyer den rechten Hintergrund der Tat wie auch der Täter ausblendete. Während Stefan V. mangels eindeutiger Belastungen freizusprechen sei, forderte sie für Grewe und F. Bewährungsstrafen. Die drei Vertreter der Nebenklage unterdessen wiesen klar darauf hin, dass der Angriff der Ideologie der Neonazis entspringe und - auch angesichts deren fehlender Reue und Verhöhnung der Tat durch ihre Einlassungen – eine Haftstrafe ein klares Signal in der Öffentlichkeit setzen müsse. Mitte März 2010 wird das Urteil gesprochen und es zeigt sich, ob die Unbekümmertheit von Michael Grewe und Dennis F. im Prozess berechtigt gewesen ist.
Weitere Informationen finden sich unter www.poelchow-prozess.info bei der Prozessgruppe Pölchow, die den Prozess begleitete und mit Freundinnen und Freunden der Betroffenen gegen die Neonazis und ihre Propaganda aktiv wurde.