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Unerwünschte Gedenkstätte

Fried Kummer
Einleitung

Umbettung jüdischer Häftlings-Leichen aus Gründen der Kostenreduzierung – eine Verwaltungsangelegenheit

Foto: Thomas Bergner

Im Leipziger Süden liegt zwischen den Kleinstädten Borna, Frohburg und Bad Lausick der Ort Flößberg. Hier existierte im nahen Wald ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. In diesem Lager litten von Ende des Jahres 1944 bis zur Evakuierung des Lagers am 13. April 1945 tausende – meist jüdische – Häftlinge unter den harten Arbeitsbedingungen, Hunger und Misshandlungen. Das Lager wurde durch die Leipziger Rüstungsfirma Hugo Schneider Aktiengesellschaft betrieben. Die HASAG verfügte über ein weitmaschiges Netz von Betrieben im Deutschen Reich und im besetzten Polen, in denen zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie Häftlinge aus Konzentrationslagern zur Arbeit unter teilweise katastrophalen Bedingungen gezwungen wurden. Unter Historiker_innen gilt die Firma als das Unternehmen, welches am stärksten in »die Vernichtung durch Arbeit« verwickelt war. 

Die amerikanischen Truppen, welche im April 1945 das verlassene Lager im Wald von Flößberg vorfanden, entdeckten zahlreiche Massengräber. In den wenigen Monaten des Bestehens des Lager kamen mindestens 235 Menschen ums Leben. Im Rahmen einer öffentlichen Bestattung wurden 98 Leichen ins nahe Borna verbracht und öffentlich beigesetzt. Bei der Exhumierung und Umsetzung der Leichen wurden aus erzieherischen Gründen die  lokalen NSDAP-Funktionsträger gezwungen mitzuwirken. Weitere 38 Häftlingsleichen wurden im Wald nahe dem Lagergelände in Einzelgräbern bestattet.
Seit 2006 bemüht sich die Geschichtswerkstatt Flößberg e.V. um eine Aufarbeitung vor Ort und eine würdige Gestaltung des Ortes. Dabei stand für die Initiative die Vermittlung der weitestgehend unbekannten Geschichte des Außenlagers in der Region im Vordergrund.
Gemeinsam mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) wurde ein Konzept zur Gestaltung des Geländes entwickelt, welches bei einer Podiumsdiskussion am 24. Juni 2009 im Rahmen der Jüdischen Woche in Leipzig vorgestellt wurde. Kernstück dieser Planungen ist die Grabstätte im Flößberger Wald, da sie ein einziger hier verbliebener, sichtbarer Hinweis auf die Existenz des Lagers ist.

Doch die Dinge verliefen anders: nur wenige Tage nach der Vorstellung der Konzeption und dem Beginn einer Spendenaktion zur Realisierung der Gestaltungspläne, stimmte der zuständige Stadtrat der Stadt Frohburg, in welcher Flößberg eingemeindet ist, einer Öffnung der verbliebenen 38 Gräber und Umbettung auf die Grabstätte nach Borna zu. Auslöser war ein Vorstoß des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, welcher im Auftrag des Freistaates Sachsen die Gestaltung und Pflege der Gräber ausführt. Der Volksbund war gezielt mit dem Anliegen auf die Gemeinden Borna und Frohburg zugekommen, beide Grabstätten zu vereinigen. Hintergrund war deren Sanierungsbedürftigkeit. Aus Gründen der Kosteneinsparung und Effizienz hatte der Volksbund beschlossen, eine Zusammenlegung beider Grabstätten vorzuschlagen: dies spare laufende Kosten für die Pflege und es müsse lediglich für einen Ort eine Sanierung finanziert werden.  Der Antrag auf Exhumierung der Leichen und Umbettung nach Borna wurde bei der zuständigen Landesdirektion in Chemnitz gestellt.

Den Frohburger Stadträten fiel die Entscheidung offenbar leicht. Durch die Verlegung des Gedenkortes würde unter anderem der Bau einer Zufahrt entfallen, was für die Gemeinde eine erhebliche Kosteneinsparung bedeuten würde. Dass mit einer Umbettung auch eine Entledigung von unangenehmer Geschichte verbunden war, wird wohl bei der Entscheidungsfindung auch eine Rolle gespielt haben.

Eine Diskussion darüber, ob eine durch deutsche Behörden beschlossene Umbettung aus ethischen Gründen schwierig sein könnte, fand während der Entscheidungsfindung der Stadträte nicht statt. Auch dafür, dass ein konkreter Ort der Erinnerung und eine daran geknüpfte Aufarbeitung vor Ort wichtig ist, gab es keinerlei Bewusstsein.

Erst die Intervention der Geschichtswerkstatt Flößberg, deren Projekt durch die Entscheidung akut gefährdet ist, da sonst kaum sichtbare Spuren vor Ort vorhanden sind, brachte die geplante Umbettung an die Öffentlichkeit. Da ein Gespräch zwischen der Stadtverwaltung Frohburg und der Geschichtswerkstatt kein Einlenken der Verwaltung brachte, ließ die Geschichtswerkstatt im Juli 2009 die Zusammenarbeit ruhen.

Die Landesdirektion Chemnitz prüft derzeit den Antrag auf Umbettung. Aus diesem Grund wurden auch die Stadt Borna sowie der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden um Stellungnahmen gebeten. In Borna wurde im Hauptausschuss – ein Stadtratsbeschluss war nicht erforderlich – beschlossen, dass einer Aufnahme der Leichen nichts im Wege stehen würde. Auch hier gab es keine inhaltliche Diskussion über einen respektvollen Umgang mit Erinnerungsorten und den Opfern von NS-Zwangsarbeit. Der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden steht einer Umbettung eher kritisch gegenüber. Eine Umbettung kann nach halachischen Gesetzen eigentlich nur in Familiengräber von Angehörigen oder nach Israel geschehen.

Mittlerweile regt sich jedoch weiterer Widerspruch gegen die Umbettung: ein offener Brief anderer Initiativen, welche sich für die Vermittlung der Geschichte von ehemaligen Außenlagern des KZ Buchenwald engagieren, haben sich gegen eine Exhumierung ausgesprochen.

Auch Überlebende des Lagers haben bereits gegen die Umsetzung nach Borna protestiert: In einem offenen Brief an den Bürgermeister der Stadt Frohburg äußerte der Holocaustüberlebende Stephen Casey sein Unverständnis für die Entscheidung. Darüber hinaus haben sich mehrere Landtagsabgeordnete aus der Region öffentlich gegen die Umbettung ausgesprochen. Ein gutes Zeichen, da somit der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden nicht der Einzige bleibt, der gegen das Vorhaben einer kosteneffizienten Entsorgung des Flößberger Gedenkortes Stellung bezieht.

Bleibt abzuwarten, wie sich die Landesdirektion Chemnitz entscheiden wird. Eines ist jedoch sicher: eine Umbettung der Leichen der Zwangsarbeiter wird nicht ohne öffentlichen Protest vonstatten gehen.

Mittlerweile gibt es wieder vorsichtige Annäherungen zwischen der Geschichtswerkstatt und der Stadtverwaltung. Im Rahmen eines öffentlichen Workshops Ende März 2010 wurden die Gespräche mit der Stadtverwaltung wieder aufgenommen. Einig war man sich, dass es einen Erinnerungsort im Flößberger Wald geben muss. Jedoch kam es nicht zu einem Signal, dass der Stadtrat seine schwierige Entscheidung nochmals überdenkt. Vielmehr wurde erneut auf die noch ausstehende Entscheidung an die Landesdirektion Chemnitz verwiesen.

Die Beisetzung in einem großen Grab in Borna sollte nach Lesart der Befürworter der Umbettung neben geringeren Pflegekosten auch mehr Sicherheit vor Zerstörungen bieten. Dass dies wohl eher kein Argument sein kann, zeigten die jüngsten Ereignisse. In der Nacht vor den Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag der Befreiung wurde das Denkmal für die Toten aus Flößberg in Borna durch Neonazis geschändet.