Totalitäre Erinnerung
Drei mal schrieb Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, an den sächsischen Ministerpräsidenten George Milbradt und bat um ein Gespräch über das Stiftungsgesetz für die Gedenkstätten des Landes. Als auch nach dem dritten Schreiben auf sein Anliegen nicht eingegangen wurde, beschloss der Zentralrat, die »Stiftung Sächsische Gedenkstätten« zu verlassen. Dem Austritt schlossen sich alle NS-Opferverbände an. Nicht die Taktlosigkeit war der eigentliche Anlass für die Austritte, sondern die Verabschiedung des Gesetzes zur Errichtung der »Stiftung Sächsische Gedenkstätten«. Der Zentralrat warf der Staatsregierung vor, mit dem Gesetz, das einer »Zwangsvereinigung« der Opferverbände gleichkomme, »fundamentale Unterschiede zwischen den Verbrechen der Nationalsozialisten [...] und denen der Willkürherrschaft des Kommunismus in Ostdeutschland [...] einzuebnen«.
Günther Nooke, Kulturpolitiker der CDU-Bundestagsfraktion und Urheber des Gesetzes, wies die Kritik an der Gleichsetzung zurück, betonte jedoch gleichzeitig den Anteil der Verbrechen der SED-Herrschaft am »nationalen Bewusstsein«. Ein Problem mit dem Austritt der Verbände hatte auch der Stiftungsgeschäftsführer Norbert Haase, der die »Glaubwürdigkeit der Stiftungsarbeit« gefährdet sah, aber trotz des Ausstiegs den Kontakt zu den Verbänden halten und »punktuell mit ihnen zusammenarbeiten« wollte. Im Allgemeinen übte sich die sächsische Regierung im Herunterspielen der Ereignisse, gab sich überrascht und betonte das Unverständnis ob der Einwände. Die Kritik des Zentralrates ist jedoch mehr als berechtigt.
Tatsächlich wird im Gesetzestext kein Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und dem SED-Staat gemacht. Die Grenzen zwischen Opfern und Tätern werden weder historisch noch begrifflich gezogen, stattdessen wird pauschalisierend von »politischen Gewaltverbrechen«, »politischer Verfolgung«, »Staatsterror und staatlich organisierte Morde«, »politischer Gewaltherrschaft« und »Diktaturen« gesprochen. Diese Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen ist nicht die Folge sprachlicher Missverständnisse oder gar historischer Naivität, sondern politische Intention.
Deutlich wird dies, wenn man die Protagonisten hinter dem Stiftungsgesetz betrachtet. Maßgeblich sind hier zu nennen der Minister für Wissenschaft und Kunst Matthias Rößler, Gerhard Besier, Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung e.V. (HAIT), und Uwe Backes, ebenfalls vom HAIT. Spätestens seit dem Skandal im Jahr 2000 befindet sich das HAIT auf der Linie eines geschichtsrelativierenden Totalitarismus. Als sich der damalige Institutsleiter Klaus Dieter Henke gegen die Veröffentlichung eines Artikels des Instituts-Mitarbeiters Lothar Fritze aussprach, der in der Frankfurter Rundschau dem Hitler-Attentäter Georg Elser »unmoralisches« Verhalten vorwarf und seine Tat für illegitim erklärte, wurde sein Vertrag nicht verlängert. Durchgesetzt hatte sich dank staatlicher Schützenhilfe des Ministers Rößler der neurechte Flügel im Institut um den stellvertretenden Direktor Uwe Backes. Backes hat ein eindeutiges politisches Umfeld. Zusammen mit Rainer Zitelmann und dem Autor des ehemaligen stark rechtem Blattes »Mut« Eckhard Jesse ist er Mitglied des »Veldensteiner Kreis«, benannt nach der Burg Veldenstein, dem ehemaligen Erholungsort Hermann Görings.
Ganz offensichtlich gibt es auf Seiten der sächsischen Staatsregierung und des HAIT kein Interesse an einer kritischen NS-Forschung, sondern man ist vielmehr bestrebt, die DDR zum tatsächlich totalitären Staat zu deklarieren. Bei der Gleichsetzung des NS mit der DDR geht es zum einen um die Entlastung und Relativierung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen zur Stützung des neuen außenpolitischen Selbstbewusstseins der BRD. Zum anderen geht es um die Etablierung der Totalitarismus-Theorie als staatliche Legitimationswissenschaft zur Bekämpfung der so genannten »Totalitarismen« und »Extremismen«, bei der die politische Mitte (das deutsche Volk) als demokratischer Akteur der Geschichte entsteht.
Der Zentralrat warnte in seiner Kritik auch vor einer bundespolitischen Signalwirkung des sächsischen Gedenkstättengesetzes. Hintergrund war ein Antrag der CDU-Bundestagsfraktion zur Neuordnung der Gedenkstätten des Bundes, in dem die sächsische Stiftung als Modell »für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen« angeführt wird. Nach den Protesten gegen das sächsische Gesetz wurde der Antrag von der CDU zurückgezogen, Er soll aber bereits in diesem Jahr wieder vorgelegt werden.