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Im Schatten von Regierung und Vergangenheit

Bild: flickr.com; Mark Michaelis; Thragor 2/CC BY 2.0

Zitelmann, Jesse und Backes gründeten 1990 den »Veldensteiner Kreis zur Geschichte und Gegenwart von Extremismus und Demokratie«, benannt nach Burg Veldenstein, dem Wohnsitz von Emma und Edda Göring.

Extremismusforschung der »Neuen Rechten«

Seit dem Sommer dieses Jahres befasst sich die Berliner Politik mit dem Rechtsextremismus, ein Problem, auf das AntifaschistInnen, Fachjournalismus und Wissenschaft seit Jahren hinweisen. Das es von den zuständigen Politikern und Behörden bislang vernachlässigt wurde, liegt auch an den sogenannten Experten, die jahrelang die offizielle Sichtweise, Verfassungsschutzberichte oder politische Bildung geprägt haben.

Bis heute spielen sie eine wesentliche Rolle bei der Wahrnehmung und Analyse des Rechtsextremismus. Zu einer Anhörung des Innenausschusses im Oktober diesen Jahres wurden als Sachverständige die Extremismusforscher Eckhard Jesse und Manfred Funke eingeladen. Immer noch vertreibt das Bundesinnenministerium das von Jesse und Uwe Backes herausgegebene »Jahrbuch Extremismus und Demokratie«. Die Auslassungen Jesses, Backes, Funkes oder Ernst Noltes zum Totalitarismus können als Sammelband bei der Bundeszentrale für politische Bildung kostenfrei bezogen werden.

Die Relativierung des Nationalsozialismus und der Veldensteiner Kreis

Jesse, Backes und Funke sind einem »neurechten« Netzwerk zuzurechnen, das in Fortsetzung des Historikerstreites zur Enttabuisierung und Verharmlosung des Nationalsozialismus beigetragen hat. Zusammen mit Rainer Zitelmann gaben Jesse und Backes 1990 im »Ullstein Verlag« den Sammelband »Schatten der Vergangenheit« heraus. Inspiriert von den Thesen Ernst Noltes im Historikerstreit 1986, beklagen die Herausgeber darin eine »mangelnde Offenheit der Diskussion« im Zusammenhang mit der Forschung über den Nationalsozialismus. Jesse fordert gar ein Ende der »selbstquälerischen Form der Vergangenheitsbewältigung«.

Mit Bezug auf Veröffentlichungen von Ronald Smelser, Patrick Moreau und Zitelmann wird die Aufmerksamkeit auf die »Erfolge« der Nationalsozialisten »in Sozial- und Wirtschaftspolitik« gelenkt. Die vorgebliche Offenheit der Autoren führt schnell zu alten rechtsextremen Denkfiguren, wie die Verkehrung von Tätern und Opfern. Etwa wenn Jesse in einem Beitrag die Ursachen des Antisemitismus im Verhalten der Juden selbst sucht: »Auf Dauer dürfte Judenfeindlichkeit nicht zuletzt gerade wegen mancher Verhaltensweisen von Repräsentanten des Judentums an Bedeutung gewinnen.«

Die Relativierung des Nationalsozialismus ist zentraler Bestandteil der Extremismustheorie von Jesse, Backes & Co, die sich nicht auf den Vergleich sogenannter »extremistischer Strömungen« in der Demokratie beschränkt, sondern »die Analyse erfolgreicher extremistischer Herrschaftsübernahme und -Praxis« einbezieht. Damit ist der Vergleich des Nationalsozialismus mit dem realexistierenden Sozialismus etwa in der DDR gemeint.

Auch Hans-Helmuth Knütter, der die Politik des Bundesinnenministeriums (BMI) und der Bundeszentrale für politische Bildung in den 90er Jahren nachhaltig prägte, schrieb in der BMI-Reihe »Texte zur inneren Sicherheit« 1990: »Die Aufdeckung kommunistischer Untaten legt es nahe, nationalsozialistische Taten zu relativieren und eben nicht als einmalig und unvergleichbar erscheinen zu lassen.«

Zitelmann, Jesse und Backes gründeten 1990 den »Veldensteiner Kreis zur Geschichte und Gegenwart von Extremismus und Demokratie«, benannt nach Burg Veldenstein, dem Wohnsitz von Emma und Edda Göring. Auf der letzten Tagung des Kreises im November 1999 referierte u.a. Bernd Rabehl zu der Frage »Waren Teile der Studentenbewegung nationalrevolutionär?«

In Aktion trat das Zitierkartell um Jesse und Backes anlässlich der Schwierigkeiten Zitelmanns in der Redaktion der »Welt am Sonntag« 1994. Er hatte, wie Karl Heinz Roth schrieb, als Leiter der »geistigen Welt« in seinem Ressort eine »rechtsextremistische Wende« durchgeführt und für das rechtsintellektuelle Spektrum die Tabugrenzen ausgelotet. Als er versuchte, den Springerschen Philosemitismus in einen »offenen Antisemitismus umzukehren«, war der Bogen überspannt.

In der folgenden Auseinandersetzung stützten Jesse und Backes ihren Mitstreiter durch eine Ehrenerklärung, die auch von Manfred Funke, Alfred Mechtersheimer, Klaus Hildebrand, Klaus Rainer Röhl, Karlheinz Weißmann, Günter Zehm, Manfred Wilke oder Arnulf Baring unterzeichnet wurde. Die Ehrenerklärung sollte Zitelmann in bester Tradition der Extremismusforscher vom rechten Rand wieder in die Mitte rücken. Zitelmann, so heißt es, sei ein kompromissloser Verteidiger der Demokratie gegen Angriffe von links und rechts.

Anti-Antifaschismus und Verharmlosung des Rechtsextremismus

Die Beteiligung der Extremismusforscher an der Formierung der »Neuen Rechten« bestimmt auch ihre Wahrnehmung von Rechtsextremismus und Antifaschismus. Auf den ersten Blick erweckt ihr Ansatz – gleichermaßen gegen rechten wie linken Extremismus – den Anschein von Objektivität. Tatsächlich verharmlosen sie einerseits den Rechtsextremismus und haben andererseits für die Etablierung des bürgerlichen Anti-Antifaschismus gesorgt.

In der Indizierung der Auschwitz- und Kriegsschuldlüge etwa sehen Jesse, Backes und Zitelmann Verdrängung statt Bewältigung und plädieren für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Nazis und Neonazis, die Judenvernichtung und Gaskammern leugnen. In den »Republikanern« sehen Jesse und Backes bestenfalls eine »national-populistische Protestpartei«.

Noch 1999 konnte Jesse in einem in der Zeitschrift »Mut« veröffentlichten Aufsatz keine Rechtstendenz in der BRD erkennen und führte dafür eine abenteuerliche Argumentation ins Feld: »Die Tatsache, dass so stark vor einer Rechtsverschiebung gewarnt wird, ist ein Beleg für die Linksverschiebung.«

Auch Knütter hat Rechtsextremismus lediglich als ein Trugbild der Linken beschrieben. Die Bedeutung des Rechtsextremismus, so Knütter in einer BMI-Veröffentlichung 1991, »scheint nur in den Vorstellungen seiner Gegner zu liegen, die sich aber des rechtsextremen Schreckbildes oft nur zur Ablenkung bedienen.«

Die Schriften des Professors wurden in den 90er Jahren unkommentiert von der Bundeszentrale für politische Bildung verbreitet, während er gleichzeitig in der »Jungen Freiheit« den »ununterbrochenen Strom von Bewältigungspropaganda« beklagte, der auf die Bundesbürger einprassele. Mittlerweile gehört Knütter zu den ständigen Mitarbeitern der »Jungen Freiheit« und betreibt im Internet eine eigene Anti-Antifaseite.

Die Diskriminierung des Antifaschismus in den Verfassungsschutzberichten und teilweise auch der Medienberichterstattung geht wesentlich auf das Netzwerk um Knütter, Jesse und Backes zurück. In dem von der Bundeszentrale für politische Bildung als Grundlagenwerk verbreiteten Buch von Jesse und Backes, »Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland«, wird dem Antifaschismus eine »antidemokratische Ideologie« zugeschrieben, weil er angeblich das »für die parlamentarische Demokratie konstitutive antiextremistische Denken« schwäche.

Demokratische Gruppierungen werden schon vor dem Begriff des Antifaschismus gewarnt. Eine Bestandsaufnahme auch örtlicher Antifa-Initiativen und Zeitungen findet sich in der Veröffentlichung von Patrick Moreau über Linksextremismus. Moreau, der sich vor allem in diesem Thema qualifiziert hat, schrieb teilweise zusammen mit Backes die Länderberichte für die von der EU-Kommission unterstützte Sammlung »Extremism in Europe«.

Verfassungsschutz »stolz« auf Zusammenarbeit

Wie eng die Verbindung zwischen staatlichen Behörden und dem Netzwerk der »neurechten« Extremismusforscher ist, zeigt ein ungewöhnlicher Vorgang im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen im Dresdner Hannah-Arendt-Institut. Dessen stellvertretender Direktor Backes war 1999 innerhalb des Instituts in die Kritik geraten, weil er einen Aufsatz verteidigte, der dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus die Legitimation absprach.

In einem Brief griff der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, mit einer Ehrenerklärung auf der Seite Backes in den Konflikt ein und erklärte, er sei »stolz« auf die Zusammenarbeit mit dem Extremismusforscher. Mittlerweile haben Saul Friedländer und weitere liberale Kuratoriumsmitglieder den Beirat des Hannah-Arendt-Instituts verlassen. Der umstrittene Aufsatz soll nun im vom BMI vertriebenen Jahrbuch Extremismus und Demokratie veröffentlicht werden.