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Der Experte

Einleitung

Der rechtskonservative Politikwissenschaftler Eckhard Jesse soll die sächsische CDU-Landtagsfraktion in der politischen Auseinandersetzung mit der NPD beraten.

Bild: Screenshot von der Homepage gfd-berlin.de

In der politikwissenschaftlichen Szenerie der Bundesrepublik ist Eckhard Jesse einer der offensivsten Vertreter der Totalitarismus/Extremismustheorie. Diese gewann in Folge des von der »Enquetekommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« favorisierten Primats der »vergleichenden Diktaturforschung« und der nachfolgend gegründeten »Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« enorm an Hegemonie im Wissenschaftsbetrieb. Indikator hierfür war die Gründung von Instituten, wie dem »Forschungsverbund SED-Staat« und dem »Hannah Arendt Institut« (HAIT), die mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet wurden.

Der bekenntnishafte wissenschaftliche Kanon der Totalitarismusforschung, also der linearen Vergleichbarkeit von NS-Regime und DDR, findet sich im von Eckhard Jesse herausgegebenen und 1996 bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienenen Band »Totalitarismustheorien im 20. Jahrhundert«. Dem Fachpublikum ist Jesse seit langem als einer der Co-Herausgeber des »Jahrbuch für Extremismus und Demokratie« bekannt, welches seit 1989 erscheint. In dieser jährlichen Monographie wird gebetsmühlenartig die Äquidistanz der »wehrhaften Demokratie« gegenüber Links- und Rechtsextremismus betont. Dem liegt natürlich eine positive Definition dessen zu Grunde, welche politischen Strömungen sich innerhalb des »Verfassungsbogen des Grundgesetzes« bewegen. Somit geraten emanzipatorische politische Bewegungen, die gesellschaftliche Veränderungen anstreben, fast automatisch unter den Verdacht des »Extremismus«.

Jesse und sein enger wissenschaftlicher Weggefährte Uwe Backes schreiben somit das seit Jahrzehnten hermetische Theoriefundament des Verfassungsschutzes fort, in dessen Berichten eine Organisation wie die VVN/BdA tendenziell ebenso als verfassungsfeindlich beschrieben wird wie neonazistische Gruppen.

Zu Beginn der 1990er Jahre bewegte sich Jesse zeitweise im Umfeld des wissenschaftlich-publizistischen Netzwerkes der »Neuen Rechten« um den damaligen Ullstein-Cheflektor Rainer Zitelmann. Gemeinsam mit diesem und Uwe Backes gab er 1990 bei Propyläen den Sammelband »Die Schatten der Vergangenheit – Impulse für die Historisierung des Nationalsozialismus« heraus. Dieser Band kann als Anknüpfungsversuch und Verteidigung der von Ernst Nolte eingenommenen Position innerhalb des Historikerstreits gelesen werden.

Die Mehrzahl der Autoren des Bandes beklagen den pädagogisch-moralischen Tonfall, in welchem die zeithistorischen Diskurse um die NS-Diktatur geführt würden. Dem gegenüber müsse die NS-Herrschaftszeit ebenso behandelt werden wie jede beliebige Epoche der Geschichte. Zudem verwehren sich die Autoren gegen eine Herleitung der Ursachen der NS-Diktatur aus der Geschichte des deutschen Sonderweges. In diesem Band ist Eckhard Jesse Autor eines Aufsatzes über die diskursive Funktionsweise von Antisemitismus. Darin vertritt er u.a. die These: »Jüdische Organisationen brauchen Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung, um für ihr Anliegen Gehör zu finden und ihre [...] Interessen besser zur Geltung zu bringen«.1 Hier wird der Eindruck genährt, die Juden seien für die Phänomenologie des Antisemitismus nicht nur selbst verantwortlich, diese nütze ihnen zudem, ihre Partikularinteressen zu artikulieren. Ein Argument, das selbst antisemitische Klischees offenbart.

Jesse, Jahrgang 1948, lehrt seit 1993 Politikwissenschaft an der TU Chemnitz. Seine Berufung aus einer Assistentenstelle an der Uni Trier verdankt er zweifellos der konservativen Hegemonie in der sächsischen Wissenschaftslandschaft, innerhalb derer 1991 mit dem »Hannah Arendt Institut« das Flaggschiff der deutschen Totalitarismusforschung etabliert wurde. Im Konflikt um die politische Ausrichtung des Instituts in den Jahren 1999/2002 spielte Jesse eine eskalierende Rolle, als es darum ging, die stramm rechtskonservative Hegemonie der Forschungsschwerpunkte im Institut gegen den sozialdemokratischen Direktor Klaus Dietmar Henke zu behaupten.2 Dies war für das Institut zwar mit einem gewissen Ansehensverlust verbunden, da einige Mitglieder des Institutsbeirates den konservativen Putschismus nicht mittragen mochten, letztlich behauptete sich jedoch Uwe Backes in seiner Funktion als stellvertretender Direktor gegenüber Henke, welcher inhaltlich mit dem totalitarismustheoretischen Grundkonzept des Instituts konform ging.

Kennzeichnend für Jesses Analysen des Rechtsextremismus ist nicht nur ihr platter linearer Links-Rechts-Vergleich, sondern ihre organisationssoziologische Fixierung auf Parteien, deren institutionell verfasste Strukturen und Programmatik im Fokus des Forschungsinteresses stehen. Das Phänomen der kulturellen Reproduktion rechtsextremer Einstellungsmuster und Lebenswelten, deren temporäre Mobilisierungsfähigkeit bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, sind im wissenschaftlichen Koordinatensystem von Extremismustheoretikern wie Jesse nicht existent.

Kritik an der Extremismustheorie denunziert Jesse in scharfem Ton: »Unter den heftigsten Gegnern der vergleichenden Extremismusforschung finden sich Autoren, die mit Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates auf Kriegsfuss stehen.«3 So finden sich manche wissenschaftliche Kritiker des Forschungsansatzes von Jesse in der antidemokratischen Ecke wieder.

Vor dem beschriebenen Hintergrund kann es nicht überraschen, dass Jesse der Sachsen-CDU im Umgang mit der NPD nicht nur demonstrative Gelassenheit, sondern die Öffnung der Partei zu den Themen der extremen Rechten empfiehlt. In der innerparteilichen Auseinandersetzung ergriff Jesse für den um den ehemaligen Kultusminister Rößler gruppierten rechten Flügel der Fraktion Partei. Die eigentliche Gefahr für die Demokratie geht nach Jesse ohnehin von der PDS im Landtag aus. Eine gemeinsame Resolution der sächsischen Landtagsfraktionen unter Einschluss der PDS gegen Rechtsextremismus, kritisierte Jesse als »Bruch des antitotalitären Konsens im Landtag«. Damit stärkt er jenen in der sächsischen CDU-Landtagsfraktion den Rücken, die eine allzu offensive politische Konfrontation mit der NPD vermeiden wollen, um deren Anhänger bei kommenden Wahlen wieder an sich binden zu können. 

  • 1Vgl. Jesse, Eckehard: Philosemitismus, Antisemitismus und Anti-Antisemitismus in: Backes, Uwe (Hrsg.) u.a. Die Schatten der Vergangenheit; Propyläen Verl. 1990 S.546.
  • 2Vgl. ZfG Nr. 51 (2003) S.205–236.
  • 3Vgl. Bayerische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) Einsichten und Perspektiven Nr. 5 / 04  S.32.